Zu im Ausland realisierten Veräußerungsverlusten und ihrer Berücksichtigung hinsichtlich des Progressionsvorbehalts
BFH 1.2.2012, I R 34/11Streitig ist, ob sich der Verlust aus der Veräußerung einer in der Schweiz betriebenen Arztpraxis nach § 32b Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung (EStG 2002) nur zu einem Fünftel oder in vollem Umfang steuersatzmindernd auswirkt.
Die Kläger, die im Streitjahr ihren Wohnsitz zeitweise im Inland hatten, wurden vom Finanzamt als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Zum 1.4.2006 veräußerten sie ihre bis zu diesem Zeitpunkt in A betriebene zahnärztliche Gemeinschaftspraxis. Ihre zuvor (am 1.2.2006) eröffnete zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in B (Schweiz) gaben sie zum 30.9.2006 wieder auf, um anschließend wieder eine entsprechende Tätigkeit in A auszuüben.
Das Finanzamt, das den Veräußerungsgewinn einer begünstigten Besteuerung (§ 34 EStG 2002) unterwarf, berücksichtigte den Veräußerungsverlust hinsichtlich der Praxis in B im Rahmen des sog. negativen Progressionsvorbehalts unter Hinweis auf § 32b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 abweichend von der Rechtsauffassung der Kläger nur zu einem Fünftel.
Das FG gab der gegen diese Steuerfestsetzung gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat ohne Rechtsfehler den ausländischen Veräußerungsverlust bei der Ermittlung des Steuersatzes vollen Umfangs berücksichtigt.
Die abkommensrechtlich zugelassene Einbeziehung der (negativen) Einkünfte bei der Festsetzung des inländischen Steuersatzes erfolgt im Wege des sog. Progressionsvorbehalts. Dabei ist der Veräußerungsverlust bei der Ermittlung des sog. Steuersatzeinkommens in vollem Umfang mindernd zu berücksichtigen; außerordentliche Einkünfte, die insoweit nach § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 nur zu einem Fünftel anzusetzen sind, liegen nicht vor. Das FG hat ohne Rechtsfehler darauf erkannt, dass der in der Schweiz erzielte und im Inland steuerfrei gestellte Veräußerungsverlust den Einkünftebegriff des § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 erfüllt und nicht zugleich als außerordentliche Einkunft anzusehen ist.
Ein Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 und des § 18 Abs. 3 EStG 2002 unterfällt als außerordentliche Einkunft der Begünstigung des § 34 Abs. 1 EStG 2002, da es durch die Vollrealisierung der stillen Reserven in typisierter Weise zu einer Zusammenballung von Ergebnissen mehrerer Jahre kommt. Insoweit ist es sachgerecht, infolge einer progressiven Besteuerung eintretende (jedenfalls typisiert anzunehmende) Härten in dieser Situation abzumildern.
Diese Sonderregelung (Tarifermäßigung) bezieht sich nach dem Regelungsgegenstand aber nur auf einen Gewinn (positive Einkünfte). Ein Veräußerungsverlust, der progressionsbedingte Steuermehrbelastungen nicht auslösen kann, ist - jedenfalls soweit nicht in demselben Veranlagungszeitraum auch ein Veräußerungsgewinn als (weitere) außerordentliche Einkunft erzielt wurde - für den Regelungsbereich einer Tarifermäßigung nicht relevant.
Diese aus § 34 EStG 2002 ableitbare Struktur hat der Gesetzgeber durch die Verwendung der entsprechenden Begrifflichkeit auf § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 übertragen. Dazu hat er aus der zur Ermittlung des sog. Steuersatzeinkommens beim Progressionsvorbehalt maßgebenden Größe "Einkünfte" die "außerordentlichen Einkünfte" separiert, um sie zur Abmilderung der Auswirkungen des progressiven Tarifs nur zu einem Bruchteil (wie ebenfalls in § 34 EStG 2002) zu erfassen. Diese Rechtsfolge bezieht sich aber dann auch parallel zu § 34 EStG 2002 nicht auf negative Einkünfte.
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