08.10.2020

Zulässigkeit und Umfang einer Bilanzänderung (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG); Aktivierung eines Anspruchs auf Investitionszulage

§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG (i.d.F. seit StBereinG 1999) ist formell verfassungsgemäß.
"Gewinn" i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist der Bilanzgewinn i.S. des § 4 Abs. 1 EStG und nicht der steuerliche Gewinn; § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG erlaubt daher eine Bilanzänderung lediglich in Höhe der sich aus der Steuerbilanz infolge der Bilanzänderung des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG ergebenden Gewinnänderung und nicht in Höhe der sich aus einer Bilanzänderung ergebenden steuerlichen Gewinnänderung, die auf einer Hinzurechnung außerhalb der Steuerbilanz (im Streitfall: § 10 Satz 1 InvZulG a.F.) beruht.
Ein Anspruch auf Investitionszulage ist auch vor einer förmlichen Antragstellung im Wirtschaftsjahr der Anschaffung/Herstellung der betreffenden Wirtschaftsgüter auszuweisen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen mit der Anschaffung/Herstellung erfüllt sind und die (spätere) Antragstellung bereits ernstlich beabsichtigt ist; der Ertrag ist nicht über einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten auf den gesetzlichen Verbleibenszeitraum periodisch abzugrenzen.

Kurzbesprechung
BFH v. 27.5.2020 - XI R 8/18

EStG § 4 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 2 S. 2, § 5 Abs. 1, § 5 Abs. 5 S. 1 Nr. 2, § 52 Abs 9
HGB § 250 Abs. 2, § 252 Abs. 1 Nr. 4
InvZulG § 2 S. 1, § 10 S. 1
FöGbG § 4
GG Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 S 2, Art. 42 Abs. 1, Art. 76 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 , Art 20 Abs. 3


Streitig war die Zulässigkeit einer Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG darf der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht (Bilanz) auch nach ihrer Einreichung beim FA ändern, soweit sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht. Darüber hinaus ist, wie aus § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des StBereinG 1999 folgt, der --was die Streitjahre des vorliegenden Rechtsstreits betrifft-- nach § 52 Abs. 9 EStG i.d.F. dieses Gesetzes auch auf Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden ist, eine Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG auf den Gewinn reicht.

§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist formell verfassungsgemäß, auch wenn das BVerfG zu § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1977 i.d.F. des StBereinG 1999 dahin erkannt hat, dass diese Norm mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist.

Verfassungsrechtliche Bedenken materieller Art gegen die rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG auf die den Streitfall betreffenden Veranlagungszeiträume 1995 und 1996 bestanden nicht.

Die durch Berichtigung der die Streitjahre betreffenden Bilanzen ausgelösten und unstreitigen Gewinnerhöhungen konnten nicht vollumfänglich durch bisher unberücksichtigte und gleichfalls unstreitige Sonderabschreibungen i.S. des § 4 FöGbG a.F. nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG im Wege der Bilanzänderung kompensiert werden. Die Bilanzänderungen scheitern zwar nicht schon daran, dass die Steuerpflichtige bislang --auch im Verlauf des zweiten Rechtsgangs-- keine berichtigten und geänderten Bilanzen für die Streitjahre eingereicht hatte. Denn sie ist nicht verpflichtet, gleichzeitig mit der Beantragung einer Bilanzänderung auch eine geänderte Bilanz einzureichen, wenn --wie im Streitfall-- Streitfragen zu den Voraussetzungen der Bilanzänderung zunächst gerichtlich zu klären sind. Die gestaltende Wirkung des Urteils würde die Berichtigung der jeweiligen Bilanz bewirken. Gleiches gilt für die Bilanzänderung. Allerdings müssen außerbilanzielle Korrekturen einer Bilanzberichtigung bei der Bemessung des Bilanzänderungsrahmens i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG unberücksichtigt bleiben.

Im Streitfall wird der Bilanzänderungsrahmen daher nicht dadurch erweitert, dass die gewinnmindernde Erhöhung der Rückstellungen für Investitionszulagenrückforderung außerbilanziell gewinnerhöhend zu korrigieren ist, da die Investitionszulage nach § 10 Satz 1 InvZulG a.F. nicht zu den Einkünften i.S. des EStG gehört. Diese außerbilanzielle Korrektur betrifft nicht die Ebene der steuerbilanziellen Gewinnermittlung. Eine Bilanzänderung ist nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nur möglich, soweit die Auswirkung der Bilanzberichtigung auf den Gewinn reicht; die Bilanzänderung ist betragsmäßig begrenzt auf die Gewinnänderung durch Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG.

Unter dem in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG in Bezug genommenen Begriff "Gewinn" ist der Bilanzgewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, und nicht der "steuerliche" Gewinn zu verstehen, so dass nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG eine gewinnmindernde Bilanzänderung nicht in Höhe der aus der Bilanzberichtigung resultierenden steuerrechtlichen Gewinnerhöhung, sondern nur in Höhe der sich aus der Steuerbilanz ergebenden Gewinnberichtigung als solcher möglich ist.

Der Anspruch auf Investitionszulage war im Grundsatz sowohl handels- als auch steuerbilanziell zum jeweiligen Bilanzstichtag (hier: jeweils zum 31.12. der Streitjahre) zu aktivieren. Der Zeitpunkt für die Aktivierung von Forderungen bestimmt sich bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung.

Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Nach dem darin kodifizierten Realisationsprinzip als Ausprägung des Vorsichtsprinzips dürfen Vermögensmehrungen nur erfasst werden, wenn sie disponibel sind. Die Aktivierung von Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz und Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz bestimmt sich in erster Linie nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Maßgeblich ist nicht, ob eine Forderung fällig oder ein Recht realisierbar ist, sondern ob der Vermögensvorteil wirtschaftlich ausnutzbar ist und einen durchsetzbaren gegenwärtigen Vermögenswert darstellt. An Letzterem fehlt es typischerweise bei einer bestrittenen Forderung. Umstrittene Forderungen können erst am Schluss des Wirtschaftsjahres angesetzt werden, in dem über den Anspruch rechtskräftig entschieden wird oder in dem eine Einigung mit dem Schuldner zustande kommt.

Ist eine Forderung noch nicht rechtsförmlich entstanden, genügt es für die Aktivierung, wenn die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest rechnen kann.

Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt. Der Anspruch auf Investitionszulage entstand mit Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem die Investitionen vorgenommen worden sind. Infolge der zeitgerechten Investitionen und deren Zuordnung zu einer Betriebsstätte im Fördergebiet waren unabhängig von einer Antragstellung jeweils bereits mit Ablauf des 31.12. die wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen für den Anspruch auf Investitionszulage gesetzt.

Für die Investitionszulage war auch kein passiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden und die Erträge mithin nicht auf den dreijährigen Zeitraum des Verbleibens i.S. des § 2 Satz 1 InvZulG a.F. zu verteilen.

Die Investitionszulage war allerdings nur zu aktivieren, soweit die Steuerpflichtige spätestens zum Zeitpunkt der jeweiligen Bilanzaufstellung eine Antragstellung tatsächlich beabsichtigt hatte.
Verlag Dr. Otto Schmidt
Zurück