Zulässigkeit und Umfang einer Bilanzänderung: Zur Aktivierung eines Anspruchs auf Investitionszulage
BFH v. 27.5.2020 - XI R 8/18
Der Sachverhalt:
Die klagende AG war in den Streitjahren 1995 und 1996 mit der Vermietung von Baumaschinen und Baustellenausrüstungen befasst. Sie war alleinige Gesellschafterin der C-GmbH. Zwischen der Klägerin und dem für sie zunächst zuständigen Finanzamt stand u.a. der zutreffende steuerbilanzielle Wertansatz der Beteiligung an der C-GmbH zum 31.12. des jeweiligen Streitjahres sowie die Höhe der von der Klägerin zum 31.12.1996 vorgenommenen Teilwertabschreibung auf ihre Forderungen gegen die C-GmbH im Streit. Im Rahmen einer sog. tatsächlichen Verständigung einigten sich die Beteiligten im ersten Rechtsgang vor dem FG darauf, die Teilwertabschreibungen in einer bestimmten Höhe anzusetzen. Auf dieser Grundlage machte die Klägerin geltend, die Bilanzen der Streitjahre nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG zu ändern, um die verbleibenden Gewinnerhöhungen zu kompensieren. Dazu sollten bisher nicht berücksichtigte Sonderabschreibungen nach § 4 FöGbG a.F. in Anspruch genommen werden.
Das Finanzamt stellte zwar das entsprechende Sonderabschreibungsvolumen nicht in Abrede, hielt aber den Rahmen für eine Bilanzänderung für überschritten. Die in den Prüfungsfeststellungen und der Einspruchsentscheidung berücksichtigte gewinnmindernde Zuführung zu Rückstellungen wegen drohender Rückforderung von Investitionszulagen ("IZ 1995") mindere ungeachtet der nach § 10 Satz 1 InvZulG a.F. angeordneten außerbilanziellen Korrektur den Steuerbilanzgewinn, der für die Bestimmung des Änderungsrahmens nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG allein maßgeblich sei. Darüber hinaus stritten die Beteiligten über die Aktivierung eines Anspruchs auf Investitionszulage für 1995 und 1996. Nach Ansicht der Klägerin hätten zum jeweiligen Bilanzstichtag keine Forderungen auf Investitionszulage aktiviert werden dürfen, weil diese vor der jeweiligen Bilanzerstellung noch nicht beantragt worden sei. Jedenfalls sei für den Fall einer Aktivierungspflicht der entsprechende Ertrag durch die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens auf drei Jahre zu verteilen.
Das FG gab der Klage im ersten Rechtsgang teilweise statt; die Bilanzänderung durch Vornahme von Sonderabschreibungen sei zuzulassen, allerdings auch der Anspruch auf Investitionszulage in den Streitjahren anzusetzen. Auf die Revisionen der Beteiligten hob der BFH das Urteil des FG in Bezug auf die Körperschaftsteuerfestsetzungen für die Streitjahre aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und verwies die Sache bezogen auf diesen Streitgegenstand zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Dem Urteil lasse sich nicht entnehmen, in Bezug auf welche konkreten Wirtschaftsgüter die Sonderabschreibungen in welcher Höhe vorgenommen werden sollen. Zum Streitgegenstand der gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen gem. § 47 Abs. 1 KStG a.F. auf den 31.12.1995 und 31.12.1996 kam es zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Mit Wirkung vom 1.1.2016 ist nun das beklagte Finanzamt für die Besteuerung der Klägerin zuständig geworden (gesetzlicher Beteiligtenwechsel). Die Beteiligten gingen nunmehr übereinstimmend davon aus, dass die Berichtigungen der Bilanzen auf der Grundlage der sog. tatsächlichen Verständigung und den weiteren unstreitigen Berichtigungen, die auch die Anpassung der Gewerbesteuerrückstellungen und die nachträgliche Erfassung der Gewerbesteuerforderung umfassen, zu einer Erhöhung des Gewinns in den Streitjahren führen. Darüber hinaus hatte die Klägerin zum Zwecke der Berücksichtigung von Sonderabschreibungen nach § 4 FöGbG a.F. die Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungskosten sowie den jeweiligen Abschreibungsbetrag im Einzelnen bezeichnet.
Das FG gab der Klage nun teilweise statt. Die Körperschaftsteuerfestsetzungen der Streitjahre seien dahingehend zu ändern, dass die durch Bilanzberichtigungen ausgelösten Gewinnerhöhungen jeweils durch Bilanzänderungen zu kompensieren seien. Im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab. Damit hielt es an seiner Auffassung, die es zur Frage des Bilanzänderungsrahmens und zur Aktivierung des Anspruchs auf Investitionszulage bereits im ersten Rechtsgang vertreten hatte, fest. Auf die erneuten Revisionen der Beteiligten hob der BFH das Urteil wiederum auf und verwies die Sache erneut zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Die Gründe:
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG darf der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht (Bilanz) auch nach ihrer Einreichung beim Finanzamt ändern, soweit sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht. Darüber hinaus ist, wie aus § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. folgt, der - was die Streitjahre des vorliegenden Rechtsstreits betrifft - nach § 52 Abs. 9 EStG a.F. auch auf Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden ist, eine Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG auf den Gewinn reicht. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist formell verfassungsgemäß, auch wenn das BVerfG zu § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG a.F. dahin erkannt hat, dass diese Norm mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist. Verfassungsrechtliche Bedenken materieller Art gegen die rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG auf die den Streitfall betreffenden Veranlagungszeiträume 1995 und 1996 bestehen nicht.
Die durch Berichtigung der die Streitjahre betreffenden Bilanzen ausgelösten und unstreitigen Gewinnerhöhungen konnten nicht vollumfänglich durch bisher unberücksichtigte und gleichfalls unstreitige Sonderabschreibungen i.S.d. § 4 FöGbG a.F. nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG im Wege der Bilanzänderung kompensiert werden. Die Bilanzänderungen scheitern zwar nicht schon daran, dass die Klägerin bislang - auch im Verlauf des zweiten Rechtsgangs - keine berichtigten und geänderten Bilanzen für die Streitjahre eingereicht hatte. Denn sie ist nicht verpflichtet, gleichzeitig mit der Beantragung einer Bilanzänderung auch eine geänderte Bilanz einzureichen, wenn - wie hier - Streitfragen zu den Voraussetzungen der Bilanzänderung zunächst gerichtlich zu klären sind. Die gestaltende Wirkung des Urteils würde die Berichtigung der jeweiligen Bilanz bewirken. Gleiches gilt für die Bilanzänderung. Allerdings müssen außerbilanzielle Korrekturen einer Bilanzberichtigung bei der Bemessung des Bilanzänderungsrahmens i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG unberücksichtigt bleiben.
Im Streitfall wird der Bilanzänderungsrahmen daher nicht dadurch erweitert, dass die gewinnmindernde Erhöhung der Rückstellungen für Investitionszulagenrückforderung außerbilanziell gewinnerhöhend zu korrigieren ist, da die Investitionszulage nach § 10 Satz 1 InvZulG a.F. nicht zu den Einkünften i.S. des EStG gehört. Diese außerbilanzielle Korrektur betrifft nicht die Ebene der steuerbilanziellen Gewinnermittlung. Eine Bilanzänderung ist nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nur möglich, soweit die Auswirkung der Bilanzberichtigung auf den Gewinn reicht; die Bilanzänderung ist betragsmäßig begrenzt auf die Gewinnänderung durch Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG.
Unter dem in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG in Bezug genommenen Begriff "Gewinn" ist der Bilanzgewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, und nicht der "steuerliche" Gewinn zu verstehen, so dass nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG eine gewinnmindernde Bilanzänderung nicht in Höhe der aus der Bilanzberichtigung resultierenden steuerrechtlichen Gewinnerhöhung, sondern nur in Höhe der sich aus der Steuerbilanz ergebenden Gewinnberichtigung als solcher möglich ist. Der Anspruch auf Investitionszulage war im Grundsatz sowohl handels- als auch steuerbilanziell zum jeweiligen Bilanzstichtag (hier: jeweils zum 31.12. der Streitjahre) zu aktivieren. Der Zeitpunkt für die Aktivierung von Forderungen bestimmt sich bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung.
Gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Nach dem darin kodifizierten Realisationsprinzip als Ausprägung des Vorsichtsprinzips dürfen Vermögensmehrungen nur erfasst werden, wenn sie disponibel sind. Die Aktivierung von Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz und Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz bestimmt sich in erster Linie nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Maßgeblich ist nicht, ob eine Forderung fällig oder ein Recht realisierbar ist, sondern ob der Vermögensvorteil wirtschaftlich ausnutzbar ist und einen durchsetzbaren gegenwärtigen Vermögenswert darstellt. An Letzterem fehlt es typischerweise bei einer bestrittenen Forderung. Umstrittene Forderungen können erst am Schluss des Wirtschaftsjahres angesetzt werden, in dem über den Anspruch rechtskräftig entschieden wird oder in dem eine Einigung mit dem Schuldner zustande kommt. Ist eine Forderung noch nicht rechtsförmlich entstanden, genügt es für die Aktivierung, wenn die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest rechnen kann.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der Anspruch auf Investitionszulage entstand mit Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem die Investitionen vorgenommen worden sind. Infolge der zeitgerechten Investitionen und deren Zuordnung zu einer Betriebsstätte im Fördergebiet waren unabhängig von einer Antragstellung jeweils bereits mit Ablauf des 31.12. die wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen für den Anspruch auf Investitionszulage gesetzt. Für die Investitionszulage war auch kein passiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden und die Erträge mithin nicht auf den dreijährigen Zeitraum des Verbleibens i.S.d. § 2 Satz 1 InvZulG a.F. zu verteilen. Die Investitionszulage war allerdings nur zu aktivieren, soweit die Klägerin spätestens zum Zeitpunkt der jeweiligen Bilanzaufstellung eine Antragstellung tatsächlich beabsichtigt hatte.
BFH online
Die klagende AG war in den Streitjahren 1995 und 1996 mit der Vermietung von Baumaschinen und Baustellenausrüstungen befasst. Sie war alleinige Gesellschafterin der C-GmbH. Zwischen der Klägerin und dem für sie zunächst zuständigen Finanzamt stand u.a. der zutreffende steuerbilanzielle Wertansatz der Beteiligung an der C-GmbH zum 31.12. des jeweiligen Streitjahres sowie die Höhe der von der Klägerin zum 31.12.1996 vorgenommenen Teilwertabschreibung auf ihre Forderungen gegen die C-GmbH im Streit. Im Rahmen einer sog. tatsächlichen Verständigung einigten sich die Beteiligten im ersten Rechtsgang vor dem FG darauf, die Teilwertabschreibungen in einer bestimmten Höhe anzusetzen. Auf dieser Grundlage machte die Klägerin geltend, die Bilanzen der Streitjahre nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG zu ändern, um die verbleibenden Gewinnerhöhungen zu kompensieren. Dazu sollten bisher nicht berücksichtigte Sonderabschreibungen nach § 4 FöGbG a.F. in Anspruch genommen werden.
Das Finanzamt stellte zwar das entsprechende Sonderabschreibungsvolumen nicht in Abrede, hielt aber den Rahmen für eine Bilanzänderung für überschritten. Die in den Prüfungsfeststellungen und der Einspruchsentscheidung berücksichtigte gewinnmindernde Zuführung zu Rückstellungen wegen drohender Rückforderung von Investitionszulagen ("IZ 1995") mindere ungeachtet der nach § 10 Satz 1 InvZulG a.F. angeordneten außerbilanziellen Korrektur den Steuerbilanzgewinn, der für die Bestimmung des Änderungsrahmens nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG allein maßgeblich sei. Darüber hinaus stritten die Beteiligten über die Aktivierung eines Anspruchs auf Investitionszulage für 1995 und 1996. Nach Ansicht der Klägerin hätten zum jeweiligen Bilanzstichtag keine Forderungen auf Investitionszulage aktiviert werden dürfen, weil diese vor der jeweiligen Bilanzerstellung noch nicht beantragt worden sei. Jedenfalls sei für den Fall einer Aktivierungspflicht der entsprechende Ertrag durch die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens auf drei Jahre zu verteilen.
Das FG gab der Klage im ersten Rechtsgang teilweise statt; die Bilanzänderung durch Vornahme von Sonderabschreibungen sei zuzulassen, allerdings auch der Anspruch auf Investitionszulage in den Streitjahren anzusetzen. Auf die Revisionen der Beteiligten hob der BFH das Urteil des FG in Bezug auf die Körperschaftsteuerfestsetzungen für die Streitjahre aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und verwies die Sache bezogen auf diesen Streitgegenstand zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Dem Urteil lasse sich nicht entnehmen, in Bezug auf welche konkreten Wirtschaftsgüter die Sonderabschreibungen in welcher Höhe vorgenommen werden sollen. Zum Streitgegenstand der gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen gem. § 47 Abs. 1 KStG a.F. auf den 31.12.1995 und 31.12.1996 kam es zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Mit Wirkung vom 1.1.2016 ist nun das beklagte Finanzamt für die Besteuerung der Klägerin zuständig geworden (gesetzlicher Beteiligtenwechsel). Die Beteiligten gingen nunmehr übereinstimmend davon aus, dass die Berichtigungen der Bilanzen auf der Grundlage der sog. tatsächlichen Verständigung und den weiteren unstreitigen Berichtigungen, die auch die Anpassung der Gewerbesteuerrückstellungen und die nachträgliche Erfassung der Gewerbesteuerforderung umfassen, zu einer Erhöhung des Gewinns in den Streitjahren führen. Darüber hinaus hatte die Klägerin zum Zwecke der Berücksichtigung von Sonderabschreibungen nach § 4 FöGbG a.F. die Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungskosten sowie den jeweiligen Abschreibungsbetrag im Einzelnen bezeichnet.
Das FG gab der Klage nun teilweise statt. Die Körperschaftsteuerfestsetzungen der Streitjahre seien dahingehend zu ändern, dass die durch Bilanzberichtigungen ausgelösten Gewinnerhöhungen jeweils durch Bilanzänderungen zu kompensieren seien. Im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab. Damit hielt es an seiner Auffassung, die es zur Frage des Bilanzänderungsrahmens und zur Aktivierung des Anspruchs auf Investitionszulage bereits im ersten Rechtsgang vertreten hatte, fest. Auf die erneuten Revisionen der Beteiligten hob der BFH das Urteil wiederum auf und verwies die Sache erneut zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Die Gründe:
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG darf der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht (Bilanz) auch nach ihrer Einreichung beim Finanzamt ändern, soweit sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht. Darüber hinaus ist, wie aus § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. folgt, der - was die Streitjahre des vorliegenden Rechtsstreits betrifft - nach § 52 Abs. 9 EStG a.F. auch auf Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden ist, eine Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) nur zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG auf den Gewinn reicht. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG ist formell verfassungsgemäß, auch wenn das BVerfG zu § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG a.F. dahin erkannt hat, dass diese Norm mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist. Verfassungsrechtliche Bedenken materieller Art gegen die rückwirkende Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG auf die den Streitfall betreffenden Veranlagungszeiträume 1995 und 1996 bestehen nicht.
Die durch Berichtigung der die Streitjahre betreffenden Bilanzen ausgelösten und unstreitigen Gewinnerhöhungen konnten nicht vollumfänglich durch bisher unberücksichtigte und gleichfalls unstreitige Sonderabschreibungen i.S.d. § 4 FöGbG a.F. nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG im Wege der Bilanzänderung kompensiert werden. Die Bilanzänderungen scheitern zwar nicht schon daran, dass die Klägerin bislang - auch im Verlauf des zweiten Rechtsgangs - keine berichtigten und geänderten Bilanzen für die Streitjahre eingereicht hatte. Denn sie ist nicht verpflichtet, gleichzeitig mit der Beantragung einer Bilanzänderung auch eine geänderte Bilanz einzureichen, wenn - wie hier - Streitfragen zu den Voraussetzungen der Bilanzänderung zunächst gerichtlich zu klären sind. Die gestaltende Wirkung des Urteils würde die Berichtigung der jeweiligen Bilanz bewirken. Gleiches gilt für die Bilanzänderung. Allerdings müssen außerbilanzielle Korrekturen einer Bilanzberichtigung bei der Bemessung des Bilanzänderungsrahmens i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG unberücksichtigt bleiben.
Im Streitfall wird der Bilanzänderungsrahmen daher nicht dadurch erweitert, dass die gewinnmindernde Erhöhung der Rückstellungen für Investitionszulagenrückforderung außerbilanziell gewinnerhöhend zu korrigieren ist, da die Investitionszulage nach § 10 Satz 1 InvZulG a.F. nicht zu den Einkünften i.S. des EStG gehört. Diese außerbilanzielle Korrektur betrifft nicht die Ebene der steuerbilanziellen Gewinnermittlung. Eine Bilanzänderung ist nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG nur möglich, soweit die Auswirkung der Bilanzberichtigung auf den Gewinn reicht; die Bilanzänderung ist betragsmäßig begrenzt auf die Gewinnänderung durch Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG.
Unter dem in § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG in Bezug genommenen Begriff "Gewinn" ist der Bilanzgewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, und nicht der "steuerliche" Gewinn zu verstehen, so dass nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG eine gewinnmindernde Bilanzänderung nicht in Höhe der aus der Bilanzberichtigung resultierenden steuerrechtlichen Gewinnerhöhung, sondern nur in Höhe der sich aus der Steuerbilanz ergebenden Gewinnberichtigung als solcher möglich ist. Der Anspruch auf Investitionszulage war im Grundsatz sowohl handels- als auch steuerbilanziell zum jeweiligen Bilanzstichtag (hier: jeweils zum 31.12. der Streitjahre) zu aktivieren. Der Zeitpunkt für die Aktivierung von Forderungen bestimmt sich bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung.
Gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Nach dem darin kodifizierten Realisationsprinzip als Ausprägung des Vorsichtsprinzips dürfen Vermögensmehrungen nur erfasst werden, wenn sie disponibel sind. Die Aktivierung von Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz und Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz bestimmt sich in erster Linie nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Maßgeblich ist nicht, ob eine Forderung fällig oder ein Recht realisierbar ist, sondern ob der Vermögensvorteil wirtschaftlich ausnutzbar ist und einen durchsetzbaren gegenwärtigen Vermögenswert darstellt. An Letzterem fehlt es typischerweise bei einer bestrittenen Forderung. Umstrittene Forderungen können erst am Schluss des Wirtschaftsjahres angesetzt werden, in dem über den Anspruch rechtskräftig entschieden wird oder in dem eine Einigung mit dem Schuldner zustande kommt. Ist eine Forderung noch nicht rechtsförmlich entstanden, genügt es für die Aktivierung, wenn die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest rechnen kann.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der Anspruch auf Investitionszulage entstand mit Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem die Investitionen vorgenommen worden sind. Infolge der zeitgerechten Investitionen und deren Zuordnung zu einer Betriebsstätte im Fördergebiet waren unabhängig von einer Antragstellung jeweils bereits mit Ablauf des 31.12. die wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen für den Anspruch auf Investitionszulage gesetzt. Für die Investitionszulage war auch kein passiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden und die Erträge mithin nicht auf den dreijährigen Zeitraum des Verbleibens i.S.d. § 2 Satz 1 InvZulG a.F. zu verteilen. Die Investitionszulage war allerdings nur zu aktivieren, soweit die Klägerin spätestens zum Zeitpunkt der jeweiligen Bilanzaufstellung eine Antragstellung tatsächlich beabsichtigt hatte.