Zum Vorliegen einer neuen Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
FG Düsseldorf 14.1.2016, 16 K 1906/14 EDie Klägerin ist Pfarrerin. Sie bewohnte unentgeltlich eine Pfarrerdienstwohnung ihrer Arbeitgeberin, der evangelischen Kirche. Der hierfür den Arbeitslohn erhöhend angesetzte geldwerte Vorteil erwies sich nach Überprüfung, in die auch die Oberfinanzdirektion (OFD) eingeschaltet war, als zu hoch bewertet. Hierzu hatte die OFD am 14.1.2011 informiert sowie Kurzmitteilungen am 8.8.2011 und am 17.1.2012 herausgegeben, in denen die Vorgehensweise bei der Ermittlung der geldwerten Vorteile vorgegeben wurde. Danach sollte in jedem Einzelfall eine Begutachtung durch die amtlichen Bausachverständigen durchgeführt werden und sollten die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Berichtigung bereits erlassener Bescheide im Einzelfall zu prüfen sein.
Die Wohnung der Klägerin wurde am 23.11.2012 von einer Bausachverständigen begutachtet. Es wurde berücksichtigt, dass es sich um eine "Großwohnung" mit einer engen wertmindernden Verbindung von Amts- und Wohnbereich handele, deren Lage durch die Nähe zum sonstigen Kirchenbetrieb beeinträchtigt sei. Die Klägerin hatte bereits am 10.11.2009 im Hinblick auf die Höhe des geldwerten Vorteils aus der Überlassung der Dienstwohnung für die Veranlagungszeiträume 2003 bis 2006 Änderungsanträge gestellt, die später beschieden wurden. Am 29.12.2011 stellte sie den Antrag, die Steuerfestsetzungen 2007 bis 2010 zu ändern.
Dieser Antrag wurde in Bezug auf die Streitjahre 2009 und 2010 abgelehnt. Das Finanzamt war der Ansicht, es seien zwar rechtserhebliche neue Tatsachen bekannt geworden. Denn im Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft der Steuerbescheide sei der Behörde nicht bekannt gewesen, dass der zu Grunde gelegte Bruttoarbeitslohn anteilig aus Sachbezügen aus der teilentgeltlichen Überlassung einer Pfarrerdienstwohnung bestanden habe und wie die Höhe des geldwerten Vorteils von der Arbeitgeberin berechnet worden sei. Jedoch hätte die Klägerin das Finanzamt hierüber frühzeitig in Kenntnis setzen müssen. Die Klägerin treffe deshalb ein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden, das eine Berichtigung ausschließe.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt.
Die Gründe:
Die Änderungs-Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind erfüllt. Der Höhe nach ist der Arbeitslohn der Klägerin um die dem Klageantrag zu entnehmenden Beträge, von denen die Beteiligten der Begutachtung folgend übereinstimmend ausgehen, zu mindern.
Steuerbescheide sind gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufzuheben oder zu ändern, wenn und soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Dies war hier der Fall. Von dem Gutachten des Bausachverständigen aus November 2012, das erstmals die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen beinhaltete, erhielt das Finanzamt erst im Jahr 2013 Kenntnis. Dieser Zeitpunkt lag nach dem Ergehen der Einkommensteuerfestsetzungen und nach der Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide 2009 und 2010. Auf die möglicherweise vorhandenen Kenntnisse der OFD kam es hierbei nicht an.
Diese Tatsachen waren auch rechtserheblich. Denn wären dem Finanzamt die Merkmale bereits bei der Steuerfestsetzung bekannt gewesen, hätte es diese nicht unberücksichtigt lassen können und sollen. Vielmehr war seit den Änderungsanträgen aus 2009 ersichtlich, dass die Ermittlung der geldwerten Vorteile aus der Nutzung der Pfarrerdienstwohnungen bisher zu ungenau und regelmäßig zum Nachteil für die betroffenen Pastoren erfolgt war. An der Berücksichtigung dieser bereits in den streitigen Veranlagungszeiträumen existierenden wertbildenden Umstände war das Finanzamt nicht aus Rechtsgründen gehindert, sondern aus tatsächlichen Gründen, weil die Inaugenscheinnahme der Wohnung der Klägerin durch den Bausachverständigen noch nicht erfolgt war.
Die Klägerin traf letztlich auch kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen. Sie hatte nicht die ihr nach ihren persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht entschuldbarem Maße verletzt. Sie war nicht verpflichtet und wohl auch nicht in der Lage, gegenüber dem Finanzamt die Zusammensetzung ihres Bruttolohnes zu erläutern und Details zur Ermittlung des Lohnbestandteiles "geldwerter Vorteil" auszubreiten. Die Klägerin durfte davon ausgehen, dass hierzu die Prüfung durch die OFD stattfindet und zwischen den Behörden ein entsprechender Informationsaustausch stattfindet. Ein grobes Verschulden war auch nicht daraus herzuleiten, dass die Klägerin bzw. ihr Steuerberater nicht Einspruch gegen die Einkommensteuerbescheide eingelegt hatten. Sie waren nämlich nicht gehalten, sozusagen "ins Blaue hinein" Einspruch einzulegen und einen nicht bezifferbaren Antrag zu stellen.
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