29.10.2018

Zur Abzugsfähigkeit sog. finaler Betriebsstättenverluste

Aus dem EuGH-Urteil "A/S Bevola und Jens W. Trock Aps" ergibt sich mit hinreichender Klarheit, dass es die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gebietet, dass von einem unbeschränkten Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat erzielte Verluste abgezogen werden können, wenn auf Grund der Einstellung der Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat dort dauerhaft kein Abzug der Verluste mehr möglich sein wird. Soweit der BFH aus der EuGH-Entscheidung "Timac Agro" einen anderen Schluss gezogen hat, ist dies jedenfalls durch die EuGH-Entscheidung "Bevola" überholt.

Hessisches FG 4.9.2018, 4 K 385/17
Der Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine als Wertpapierhandelsbank eingetragene AG. Sie hat ihren Hauptsitz im Inland. Der Unternehmensgegenstand umfasst die Bereiche Anlagevermittlung, Abschlussvermittlung, Finanzportfolioverwaltung und Eigenhandel. Sie hatte und hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1.7. eines Jahres bis zum 30.6. des folgenden Jahres.

Im Jahr 2004 hatte die Klägerin eine Niederlassung in Großbritannien gegründet und dort Tätigkeiten im Bereichen "Research" und "Sale", d.h. im Bereich Aktienanalyse und Wertpapierhandel ausgeübt. In den Jahren 2004 und 2005 wurden zehn britische Mitarbeiter für die Niederlassung eingestellt. Zwischen der Hauptniederlassung und der Zweigstelle bestanden mit Ausnahme von Geschäftsführungsleistungen keine Leistungsbeziehungen. Es waren (unstreitig) auch keine materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgüter überführt worden und keine personellen Änderungen erfolgt. Es erfolgten auch keine gegenseitigen Dienstleistungen auf dem Gebiet der rechtlichen, wirtschaftlichen oder finanziellen Beratung.

Die Klägerin erzielte aus der Niederlassung keine Gewinne, weshalb die unverzügliche Schließung beschlossen wurde. Mit jedem Mitarbeiter wurde ein Vergleich geschlossen (sog. "Compromise Agreement"). Noch im gleichen Jahr wurde die Einstellung des Betriebs der Zweigniederlassung im englischen Handelsregister (Companies) eingetragen. Der englische Steuerberater teilte der Klägerin mit, dass aufgrund der Schließung der Zweigniederlassung die steuerlichen Verluste nicht mehr vorgetragen werden könnten. Im Jahr 2008 teilte die englische Finanzbehörde der Klägerin zudem mit, dass für das Wirtschaftsjahr 2007/2008 und späteren Wirtschaftsjahre keine Abgabe von Steuererklärungen für die Betriebsstätte mehr notwendig sei.

In den inländischen Steuererklärungen für 2007 gab die Klägerin zunächst an, dass der von ihr 2006/2007 in der Zweigniederlassung erzielte - im Jahresergebnis der Klägerin enthaltene - Verlust i.H.v. rund 3,4 Mio. € bei der Ermittlung des Einkommens nicht als Folge der abkommensrechtlichen Freistellung (Art. XVIII Abs. 2 a) DBA-Großbritannien i.V.m. Art. III Abs. 1 S. 2 DBA-Großbritannien) hinzurechnen sei, sondern auf Grund der Schließung der Zweigniederlassung in voller Höhe abzugsfähig sei. Dem folgte das Finanzamt jedoch nicht, sondern erließ Körperschaft- und Gewerbesteuermessbescheide für 2007, in denen der Verlust der Zweigniederlassung als nicht abzugsfähig berücksichtigt wurde.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:

Zur Überzeugung des Gerichts wird die Klägerin aus der 2007 geschlossenen Niederlassung voraussichtlich keine Einnahmen mehr erzielen, so dass es zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) geboten ist, die Summe der abkommensrechtlich (Art. Art. XVIII Abs. 2 a) DBA-Großbritannien i.V.m. Art. III Abs. 1 S. 2 DBA-Großbritannien) zunächst im Einklang mit dem Unionsrecht nicht abzugsfähig gewesenen Verluste der Niederlassung im Streitjahr von dem zu versteuernden Einkommen und dem Gewerbeertrag abzuziehen und die angefochtenen Bescheide entsprechend zu ändern.

Aus dem EuGH-Urteil vom 12.6.2018 (Rs.: C-650/16 "A/S Bevola und Jens W. Trock Aps" ergibt sich mit hinreichender Klarheit, dass es die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gebietet, dass von einem unbeschränkten Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat erzielte Verluste abgezogen werden können, wenn auf Grund der Einstellung der Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat dort dauerhaft kein Abzug der Verluste mehr möglich sein wird. Soweit der BFH aus der EuGH-Entscheidung "Timac Agro" einen anderen Schluss gezogen hat, ist dies jedenfalls durch die EuGH-Entscheidung vom 12.6.2018 "Bevola" überholt. Denn dort hat der EuGH im Ergebnis ausgeführt, dass sich eine inländische und ausländische Betriebsstätte, die Verluste erzielt, hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Verluste von (anderen) Gewinnen des Steuerpflichtigen im Grundsatz in der gleichen Situation befindet, so dass es eine im Grundsatz durch die Niederlassungsfreiheit verbotene Ungleichbehandlung darstellt, wenn nur die Verluste der inländischen Betriebsstätte von (anderen) im Inland steuerpflichtigen Gewinnen abgezogen werden können.

Das gleiche gilt für Zwecke der Gewerbesteuer (so auch schon BFH-Urteil vom 9.6.2010, Az.: I R 107/09, vor der EuGH-Entscheidung "Timac Agro"). Denn bei einer Kapitalgesellschaft gelten alle inländischen Betriebsstätten als ein einheitlicher Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 S. 1 GewStG). Dies bedeutet, dass die Verluste einer inländischen Betriebsstätte stets nicht nur mit den zukünftigen Gewinne derselben Betriebsstätte, sondern auch mit den (gleichzeitigen oder zukünftigen) Gewinnen anderer inländischer Betriebsstätten ausgleichsfähig sind, wodurch eine ausländische Verlustbetriebsstätte im Vergleich zu einer inländischen Verlustbetriebsstätte benachteiligt wird. Auch diese Benachteiligung ist zwar für die Dauer des Bestehens der ausländischen Betriebsstätte gerechtfertigt, um auch insoweit eine doppelte Verlustnutzung im In- und Ausland zu verhindern. Mit der Schließung der Betriebsstätte fällt aber die Gefahr der doppelten Verlustnutzung weg und die Ungleichbehandlung durch die gewerbesteuerrechtlich bereits unilateral bestehende Freistellungsmethode kommt im gleichen Maßen wie die körperschaftsteuerrechtlich sich "nur" aus dem Abkommensrecht ergebende Freistellungsmethode dauerhaft zum Tragen.

Das Gericht ist schließlich auch davon überzeugt, dass vorliegend im Streitjahr die Betriebsstättenverluste der Klägerin "final" geworden sind. Die Ermittlung der seit Gründung der Betriebsstätte erlittenen und nunmehr insgesamt im Streitjahr abzugsfähigen Betriebsstättenverluste begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Das Gericht hält letztlich auch keine gegenläufige Korrektur durch steuermindernde Herabsetzung der - auf Grund der Gewerbesteuervorauszahlungen ohnehin geringeren - Gewerbesteuerrückstellung zum 30.6.2007 und erst recht keine gegenläufige Korrektur durch ertragswirksame Aktivierung des Anspruchs auf Erstattung der für 2007 geleisteten Gewerbesteuervorauszahlungen zum 30.6.2007 für geboten.

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