Zur Auflösung einer Ansparrücklage bei fehlender Existenzgründereigenschaft
BFH 6.9.2011, VIII R 38/09Die Beteiligten streiten um Einkommensteuer 1999 und 2000. Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Arzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus einer Ende 1995 übernommenen Praxis. Zuvor hatte der Kläger als Vertreter anderer (niedergelassener) Ärzte gearbeitet. Seinen Gewinn ermittelte er nach § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmenüberschussrechnung.
In den Jahren 1997 bis 1999 zog der Kläger gem. § 7g Abs. 6 EStG Betriebsausgaben für Existenzgründerrücklagen nach § 7g Abs. 7 EStG i.H.v. insgesamt 175.000 DM ab. Die Ansparabschreibung 1997 wurde 1998 i.H.v. 25.000 DM aufgelöst, d.h. als Betriebseinnahme behandelt; im Jahr 2000 i.H.v. 30.000 DM. Da der Kläger 2001 seine Praxis aus gesundheitlichen Gründen aufgab, behandelte er die verbliebene Ansparabschreibung i.H.v. 120.000 DM im nämlichen Jahr als Betriebseinnahme. Nach Einreichung der Einkommensteuererklärungen 1999 und 2000 erfolgten die Veranlagungen für die Streitjahre - wie auch die Veranlagung für 2001 - zunächst erklärungsgemäß.
Im Rahmen einer Außenprüfung wurde jedoch festgestellt, der Kläger sei kein Existenzgründer i.S.d. § 7g Abs. 7 EStG, weil er seit 1992 als sog. Vertretungsarzt Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt habe, die 1997 und 1998 gebildeten Ansparabschreibungen seien daher spätestens in den Kalenderjahren 1999 und 2000 aufzulösen. Demgemäß errechnete die Prüferin zwar für das Jahr 2001 eine Minderung der Betriebseinnahmen, für 1999 und 2000 indes eine Gewinnerhöhung. Das Finanzamt änderte die Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 entsprechend gem. § 174 Abs. 3 AO.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Finanzamt die Einkommensteuerveranlagung der Kläger 1999 und 2000 gem. § 174 Abs. 3 AO ändern durfte.
Nach dieser Regelung kann eine Steuerfestsetzung geändert werden, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen ist und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt; die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts unterblieben ist, kann insoweit nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO vor, weil das Finanzamt den Kläger zunächst irrig als Existenzgründer angesehen und deshalb davon abgesehen hat, die Ansparabschreibung des Klägers schon nach zwei Jahren aufzulösen.
Der Kläger war kein Existenzgründer i.S.d. § 7g Abs. 7 EStG 1997, weil er bereits von 1992 bis 1995, d.h. innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums vor Bildung der Rücklage (vgl. § 7g Abs. 7 S. 2 Nr. 1 EStG 1997), Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit bezogen hatte. Indes erfüllte er unstreitig die Voraussetzungen für eine Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 3 EStG 1997, so dass die (Regel-)Ansparabschreibung, welche die Höchstgrenze des § 7g Abs. 3 S. 5 EStG 1997 von 300.000 DM nicht überstieg, zu bilden war. Da der Steuerpflichtige kein Wahlrecht hat, ob er die "normale" Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG 1997 oder die Existenzgründerrücklage gem. § 7g Abs. 7 EStG 1997 in Anspruch nehmen will, fällt eine Rücklage, die die Voraussetzungen des Abs. 7 der Norm nicht erfüllt, unter den Tatbestand des § 7g Abs. 3 EStG 1997.
Das Finanzamt ist zu Unrecht von der Existenzgründereigenschaft des Klägers und damit von einem fünfjährigen Auflösungszeitraum ausgegangen. Gem. § 7g Abs. 4 S. 2 EStG 1997 waren die Ansparabschreibungen wegen der fehlenden Existenzgründereigenschaft des Klägers und der unterlassenen Investition zwingend innerhalb von zwei Jahren aufzulösen; bei Einnahmenüberschussrechnung - wie hier - ist der vom Steuerpflichtigen vorgenommene Abzug zu diesem Zeitpunkt durch eine Betriebseinnahme (Zuschlag) auszugleichen. Aus der Sicht der Finanzbehörde bestand indes keine Veranlassung, die Rücklage bereits nach zwei Jahren aufzulösen. Geht das Finanzamt wie hier davon aus, ein bestimmter Sachverhalt werde steuerliche Folgen erst in einem späteren Veranlagungszeitraum entfalten, obwohl die steuerlichen Folgen tatsächlich früher zu berücksichtigen waren, ist eine Änderung gem. § 174 Abs. 3 AO zulässig.
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