Zur Bedeutung des Widerrufs einer verbindlichen Auskunft für das Klageverfahren gegen eine Steuerfestsetzung
BFH 16.5.2013, V R 23/12Die Klägerin bot im Streitzeitraum entgeltliche Leistungen durch die Nutzungsüberlassung sog. Floating-Tanks an. Diese enthielten konzentrierte Salzwasserlösungen, so dass beim sog. Floaten die Last des eigenen Körpergewichts entfiel und sich Muskeln entspannen konnten. Die Tanks waren schallisoliert, wodurch der "sensorische Input" auf ein Minimum reduziert wurde. Die Methode wurde zur Entspannung im Wellnessbereich sowie zu therapeutischen Zwecken eingesetzt.
Das Finanzamt hatte im Januar 2008 unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs eine verbindliche Auskunft erteilt, nach der die Floating-Leistungen der Klägerin dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG 2005 unterliegen. Im Januar 2009 widerrief die Steuerbehörde diese verbindliche Auskunft. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, über den das Finanzamt noch nicht entschieden hat. In ihrer Umsatzsteuervoranmeldung I/2009 beantragte die Klägerin die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Das Finanzamt lehnte dies ab und setzte die Umsatzsteuer auf die Floating-Leistungen nach dem Regelsteuersatz fest.
Während des FG-Verfahrens änderte das Finanzamt den Umsatzsteuerbescheid, da die verbindliche Auskunft noch für Januar 2009 Wirkung entfaltet habe und minderte die Umsatzsteuer entsprechend. Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Die Gründe:
Zu Unrecht hatte das FG das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzung nicht gem. § 74 FGO ausgesetzt, bis über den Einspruch gegen den Widerruf der verbindlichen Auskunft abschließend entschieden ist. Schließlich ist die Entscheidung über die Wirksamkeit des Widerrufs der im Januar 2008 erteilten Zusage vorgreiflich für die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr 2009.
Unterlässt das FG eine gebotene Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO, liegt darin ein Verfahrensfehler i.S. eines Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens, der von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Voraussetzung für die Aussetzung des Verfahrens ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Das ist etwa der Fall, wenn der Ausgang des einen (möglicherweise auszusetzenden) Rechtsstreits (hier: des Verfahrens gegen die Umsatzsteuer-Festsetzung für 2009) von dem anderen (möglicherweise vorgreiflichen) Verfahren (hier: dem Einspruchsverfahren gegen den Widerruf einer bereits erteilten Zusage) in der Sache beeinflusst werden kann. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.
Die verbindliche Auskunft ist nur dann nicht bindend, wenn sie - anders als im Streitfall, in dem das Finanzamt zugunsten der Klägerin zugesagt hatte, dass die Floating-Leistungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterlägen - zuungunsten des Steuerpflichtigen dem geltenden Recht widerspricht. Das Finanzamt kann die Auskunft, sofern sich ihre Rechtswidrigkeit herausstellt, zwar auch ex nunc aufhebenn. Die Bindungswirkung entfällt dann nach § 2 Abs. 2 StAuskV ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden. Liegen diese Voraussetzungen aber nicht vor, bindet die erteilte Auskunft, wenn sie - wie hier - zugunsten des Steuerpflichtigen wirkt, bei identischem Sachverhalt selbst dann, wenn sie dem geltenden Recht widerspricht. Der Behörde ist in Bezug auf die positive Feststellung in der Auskunft eine Rechtmäßigkeitsprüfung im Rahmen der Steuerfestsetzung verwehrt. Ist aber bei einer verwaltungsaktbezogenen Klage die Prüfung der Rechtmäßigkeit ausgeschlossen, besteht insoweit eine Abhängigkeit i.S.d. § 74 FGO.
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