14.09.2023

Zur Berechnung der Beteiligungsschwelle für Streubesitzdividenden

Der Begriff "Beteiligung" bei der Berechnung der Beteiligungsschwelle des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG für sog. Streubesitzdividenden (10 %) nimmt auf die allgemeinen Grundsätze der steuerrechtlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 AO) Bezug. Entscheidend ist somit das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen.

Kurzbesprechung
BFH v. 7.6.2023 - I R 50/19

KStG § 8b Abs 4 S 1
AO § 39 Abs 2 Nr. 1


Nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bleiben Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. In diesem Fall gelten 5 % dieser Bezüge als nicht abziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG).

Die Steuerfreistellung gilt nach § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG allerdings dann nicht, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat. Die Höhe der Beteiligung ist dabei ohne Anwendung des § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG zu ermitteln (§ 8b Abs. 4 Satz 2 KStG). Überlässt eine Körperschaft Anteile an einen anderen und hat der andere diese oder gleichartige Anteile zurückzugeben, bleiben die Anteile der überlassenden Körperschaft zugerechnet (§ 8b Abs. 4 Satz 3 KStG). Im Übrigen gilt ein strenges Stichtagsprinzip; maßgebend ist die Höhe der Beteiligung zu Beginn eines Kalenderjahres. Allerdings gilt nach § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt.

Im Streitfall hatte das FG zutreffend entschieden, dass die Steuerfreiheit nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG nicht durch § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG ausgeschlossen wird. Denn die Steuerpflichtige hatte die hierfür erforderliche Beteiligungsschwelle von 10 % bereits zu Beginn des Streitjahres 2014 überschritten.

§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG stellt auf die Beteiligung am Grund- oder Stammkapital ab. Hieraus folgt zunächst, dass inkongruente Gewinn- oder Stimmrechtsverteilungen nicht entscheidend sind. Auch kommt es für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung nicht allein auf das zivilrechtliche Eigentum an. Vielmehr ist die steuerrechtliche Zurechnung der Kapitalanteile nach § 39 AO maßgebend. Dies folgt bereits daraus, dass sich § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG auf "Bezüge im Sinne des Absatzes 1" bezieht und als Rechtsfolge anordnet, diese Bezüge "abweichend von Absatz 1 Satz 1" bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen. Aus dieser Bezugnahme ist zu schließen, dass es auch bei der Beteiligungsschwelle im Sinne des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG nur um diejenigen Anteile gehen kann, die zu Bezügen im Sinne des § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG führen können.

Für die im Streitfall maßgeblichen Einkünfte aus Dividenden im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt dies nach der Maßgabe des § 20 Abs. 5 EStG eine Zurechnung der Anteile nach § 39 AO voraus. Die damit verbindliche Anwendung des steuerrechtlichen Konzepts des sogenannten wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Tatbestand des § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG an zivilrechtliche Begriffe (Grund- oder Stammkapital) anknüpft.

Nach § 39 Abs. 1 AO kommt es für die steuerrechtliche Zurechnung von Wirtschaftsgütern zunächst auf das zivilrechtliche Eigentum an. Zum Stichtag 01.01.2014 war die Steuerpflichtige zwar noch nicht zivilrechtliche Eigentümerin der Stückaktien geworden, die sie mit Vertrag vom 16.12.2013 X erworben hatte und die ihre Beteiligungsquote auf über 10% anheben sollte. Allerdings war sie am 1.1.2014 nach den Maßgaben des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO bereits wirtschaftliche Eigentümerin dieser Anteile.

Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist ein Wirtschaftsgut demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über dieses Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den (zivilrechtlichen) Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Beim Erwerb von Aktien kommt es darauf an, ob der Erwerber eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und ob die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrecht) sowie die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind.

Maßgebend sind aber letztlich nicht einzelne Strukturelemente, sondern wem nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die wirtschaftliche Dispositionsbefugnis zusteht. Dabei ist für den Fall des Erwerbs von Wertpapieren zu berücksichtigen, dass die "Rechtsmacht" des Erwerbers vom Inhaber des Wertpapiers (als Verkäufer) abgeleitet sein muss und somit der konkrete Ausschluss der (wirtschaftlichen) Inhaberschaft des Verkäufers erforderlich ist.

Im Streitfall war das FG zu Recht vom Vorliegen wirtschaftlichen Eigentums zum 1.1.2014 ausgegangen und hatte zutreffend dem fehlenden Übergang der mit den Aktien verbundenen Verwaltungsrechte (insbesondere der Stimmrechte) keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Dies hatte das FG im Wesentlichen daraus abgeleitet, dass es auf Grundlage des Vertrags allein in der Hand der Erwerberin lag, die aufschiebende Bedingung durch Zahlung des bereits fälligen Kaufpreises eintreten zu lassen und dadurch die entsprechenden Verwaltungsrechte (einschließlich der Stimmrechte) vollständig an sich zu ziehen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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