20.05.2014

Zur Bestandskraft eines nicht angefochtenen und die Gewährung von Kindergeld ablehnenden oder aufhebenden Bescheids

Die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheids, durch den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt oder aufgehoben wird, erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht (nur) bis zum Tag seiner Bekanntgabe. Mit dieser Wertung setzt sich das FG in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH, wonach sich die Bestandskraft eines solchen Bescheids grundsätzlich bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe erstreckt.

FG Düsseldorf 6.3.2014, 16 K 3732/13 Kg
Der Sachverhalt:
Die Klägerin bezog Kindergeld für ihre im Juni 1993 geborene Tochter. Diese suchte nach Beendigung ihrer Schulausbildung im Juli 2012 einen Studienplatz bzw. Ausbildungsplatz. Ende November 2012 teilte die Berufsberatung der beklagten Familienkasse mit, dass die Tochter der Klägerin dort seit 29.11.2012 (offenbar im Anschluss an ein Beratungsgespräch) nicht mehr als Ausbildungsplatzsuchende geführt werde. Die Klägerin erklärte der Familienkasse, ihre Tochter interessiere sich für einen Studiengang an einer privaten Hochschule, der im nächsten Wintersemester beginne. Das Studium sei allerdings recht kostenintensiv, derzeit werde daher versucht, die möglichen Finanzierungsmaßnahmen zu klären.

Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 29.1.2013 ab Dezember 2012 auf. Die Ausbildungswilligkeit der Tochter sei (nur) bis November 2012 nachgewiesen worden. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid trägt den Vermerk: "Ich stelle Ihnen anheim, beigefügten Vordruck ausgefüllt und unterschrieben wieder bei uns einzureichen. Legen Sie bitte weitere Ausbildungsnachweise (Bewerbungen, Ablehnungsschreiben, Eigenbemühungen um einen Ausbildungsplatz) vor." Anfang Juli 2013 stellte die Klägerin bei der Familienkasse einen Kindergeldantrag für die Tochter. Sie fügte eine Studienbescheinigung der Hochschule vom 17.6.2013 bei, wonach die Tochter voraussichtlich ab dem WS 2013/14 ein sechssemestriges Studium zum Bachelor of Arts absolvieren werde.

Die Familienkasse setzte daraufhin im Juli 2013 laufendes Kindergeld ab Juni 2013 fest. Daneben bat die Familienkasse, Unterlagen einzureichen (Bescheinigungen der Hochschule, Einladung zum Eignungstest, Ablehnungsbescheids zum Sommersemester o.ä.), woraus sich Eigenbemühungen im Zeitraum Dezember 2012 bis Mai 2013 ergäben. Die Klägerin wies nach, dass ihre Tochter u.a. im Januar 2013 wegen einer Terminvereinbarung im laufenden Kontakt mit der Hochschule stand, dass sie Anfang Februar eine Bewerbungsmappe übersandt und einen Termin für den Aufnahmetest vereinbart hatte. Mitte Mai 2013 wurde der Tochter die Zusendung der Immatrikulationsbescheinigung (nach Eingang der Einschreibegebühr) zugesagt.

Im August 2013 setzte die Familienkasse gegenüber der Klägerin Kindergeld für März 2013 bis Mai 2013 fest. Sie erläuterte, da die Klägerin erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.1.2013 ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen sei, könne die Aufhebung für die Vergangenheit nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht mehr korrigiert werden. Kindergeld könne frühestens ab dem Monat erneut festgesetzt werden, der dem Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids vom 29.1.2013 folge, also ab März 2013.

Das FG gab der Klage, mit der die Klägerin Gewährung von Kindergeld für Februar 2013 begehrt, statt. Die Revision zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

Die Gründe:
Die Familienkasse hat die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin für ihre Tochter für den Monat Februar 2013 zu Unrecht versagt.

Die Tochter der Klägerin war im Februar 2013 als ausbildungssuchendes Kind i.S.d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 c) EStG zu berücksichtigen. Indem sie Anfang Februar 2013 eine Bewerbungsmappe an die Hochschule gesendet und einen Termin für den Aufnahmetest vereinbart hat, hat sie nachweislich ernsthafte Bemühungen um einen Studienplatz unternommen. Der bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom 29.1.2013, der gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am 1.2.2013 als bekannt gegeben gilt, steht der Neufestsetzung des Kindergelds für Februar 2013 nicht entgegen. Regelungsinhalt dieses Bescheids kann aus Empfängersicht nur sein, dass damit die Kindergeldfestsetzung ab Dezember 2012 aufgehoben und das Bestehen eines Kindergeldtatbestands für die Monate Dezember 2012 sowie Januar und Februar 2013 verneint worden ist, weil die Familienkasse die Informationssammlung über Studiengänge und die Telefonate der Tochter nicht als hinreichend ernsthafte Bemühungen um einen Studienplatz angesehen hat.

Damit ist auch für den begonnen Monat Februar 2013 die Kindergeldfestsetzung zunächst versagt worden, aber noch nicht abschließend und endgültig; die darüber hinaus unterstellte Rechtsfolge, damit werde das künftige Bestehen und Entstehen eines Kindergeldanspruchs bis Ende Februar 2013 versagt, erscheint weder zwingend noch sachgerecht. Der Ablehnungsbescheid verhindert nicht, dass im weiteren Verlauf des Monats Februar 2013 ein Kindergeldtatbestand neu verwirklicht und damit ein erneuter Kindergeldanspruch begründet werden konnte. Vorliegend hat die Tochter der Klägerin durch Übersendung der Bewerbungsunterlagen an die Hochschule (Eingang 7.2.2013) die Informationsphase beendet und die Ausbildungssuche nachgewiesen, so dass sie hierdurch zum 7.2.2013 wieder einen Kindergeldtatbestand verwirklicht hat. Dieser Umstand konnte in dem am 1.2.2013 bekannt gegebenen Ablehnungsbescheid offensichtlich nicht berücksichtigt werden.

Der BFH hat zwar die Auffassung vertreten, die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheids, durch den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt oder aufgehoben wird, erstrecke sich in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe. Damit würde der am 1.2.2013 bekannt gegebene Ablehnungsbescheid im Falle seiner Bestandskraft tatsächlich, wovon auch die Familienkasse ausgegangen ist, eine spätere Kindergeld-Neufestsetzung für den Februar 2013 verhindern. Die Berücksichtigung der Verwirklichung des Kindergeldtatbestandes im Verlauf des Februar 2013 und damit das erneute Entstehen eines Kindergeldanspruchs für Februar 2013 könnte nur durch einen Einspruch gegen den am 1.2.2013 bekannt gegebenen Bescheid geltend gemacht werden. Dieses Ergebnis erscheint jedoch nicht sachgerecht.2

Alternativ könnte ein neuer kindergelderheblicher Sachverhalt durch eine Änderung gem. § 70 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden, wenn man als "Zeitpunkt" der Änderung i.S.d. Vorschrift den Ereignistag, nicht den Monat (als kleinsten kindergeldrelevanten Zeitraum, § 66 Abs. 2 EStG) interpretiert. Damit hätte der Ablehnungsbescheid vom 29.1.2013 "im Prinzip" zwar versagende Bindungswirkung bis Ende Februar 2013, wäre aber bei einer neuen Verwirklichung des Kindergeldtatbestands im Verlauf des Februar 2013 ohne weiteres wieder abänderbar. In diesem Falle könnte man allerdings auch gleich auf jegliche in die Zukunft reichende Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids verzichten. Letztere Alternative erscheint als dogmatisch zulässig und sachgerecht. Demnach erstreckt sich die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheids, durch den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt bzw. aufgehoben wird, in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich (nur) bis zum Tag seiner Bekanntgabe.

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