Zur Einreihung langer Dehnhülsen in die Kombinierte Nomenklatur
BFH 8.11.2016, VII R 9/15Das beklagte Hauptzollamt wendet sich gegen ein Urteil, mit dem er unter Aufhebung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) verpflichtet wurde, eine vZTA zu erteilen, nach der "Dehnhülsen", deren Länge den äußeren Querschnitt des Rohres mehr als zweimal überschreitet, in die Unterpos. 7318 29 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) als ähnliche Waren aus Eisen oder Stahl ohne Gewinde wie "Schrauben, Bolzen, Muttern, Schwellenschrauben, Schraubhaken, Niete, Splinte, Keile, Unterlegscheiben" einzureihen sind.
Die Klägerin beantragte die Erteilung einer vZTA mit dem Vorschlag der Einreihung unterschiedlich langer Dehnhülsen in die Unterpos. 7326 90 98 KN ("andere Waren aus Eisen oder Stahl"). Das Hauptzollamt erließ im März 2012 zwei vZTA. Die Dehnhülsen, deren Länge den Querschnitt des Rohres mehr als zweimal überschritt (vgl. Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur - ErlKN - zu Pos. 7304 Rz 01.0), reihte das HZA mit der streitgegenständlichen vZTA in die zur Pos. 7304 KN "Rohre und Hohlprofile, nahtlos, aus Eisen (ausgenommen Gusseisen) oder Stahl" gehörende Codenr. 7304 39 92 30 0 KN ein. Die die kürzeren Dehnhülsen betreffende vZTA ist nicht im Streit.
Das FG gab der Klage, mit der die Klägerin die Einreihung der längeren Dehnhülsen in die Unterpos. 7318 29 00 KN beantragt, hat statt und verpflichtete das Hauptzollamt unter Aufhebung der streitgegenständlichen vZTA, eine vZTA zu erteilen, in der die streitgegenständlichen Waren in die Unterpos. 7318 29 00 KN eingereiht werden. Die langen Dehnhülsen seien zwar Rohre i.S.d. Unterpos. 7304 39 92 KN, jedoch auch den in der Unterpos. 7318 29 00 KN genannten Waren, insbesondere den Unterlegscheiben, ähnlich und damit gemäß den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zu Pos. 7304 Rz 29.0 aus der Pos. 7304 KN "ausgewiesen".
Auf die Revision des Hauptzollamtes hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.
Die Gründe:
Die angefochtene vZTA ist rechtmäßig.
Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Daneben gibt es Erläuterungen und Einreihungsavise, die ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen sind. Auf den Verwendungszweck einer Ware darf abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird. Der Verwendungszweck kann ein objektives Einreihungskriterium sein, sofern er sich aus der Natur des Erzeugnisses ergibt bzw. der Ware innewohnt; ob dies zutrifft, muss sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses beurteilen lassen.
Umstände des Vertriebs, die Beschreibung in Verkaufs- oder Herstellerprospekten, der Umfang der tatsächlichen Verwendung und die Bezeichnung im Handelsverkehr sind keine Kriterien, aus denen die Einreihung einer Ware folgt. Gleichwohl lassen sich aus den genannten Unterlagen, insbesondere bei Spezialanfertigungen, bei denen der Verwendungszweck nicht auf der Hand liegt, mitunter Anhaltspunkte für die Prüfung und Ermittlung der objektiven Beschaffenheitsmerkmale gewinnen; insoweit können auch detaillierte Auftrags- oder Lieferunterlagen, Zeichnungen und Skizzen für die Ermittlung der für die Zweckbestimmung artspezifischen, charakteristischen Merkmale zu berücksichtigen sein.
Das FG hat unbestritten festgestellt, die Waren würden vom Wortlaut der Pos. 7304 KN "Rohre und Hohlprofile, nahtlos, aus Eisen (ausgenommen Gusseisen) oder Stahl" erfasst. Es stellt sich deshalb lediglich die Frage, ob die Rohre auch den Tatbestand einer anderen Position der KN erfüllen, d.h. ob eine Konkurrenzsituation besteht, die nach den allgemeinen Vorschriften aufzulösen ist, bzw. ob der Tatbestand der ErlHS Pos. 7304 Rz 29.0 (Verarbeitung zu eindeutig erkennbaren Waren) erfüllt ist. Beides ist nicht der Fall. In die Unterpos. 7318 29 00 KN, deren Tatbestand nach Auffassung des FG erfüllt ist, sind Waren aus Eisen oder Stahl einzureihen, die Schrauben, Bolzen, Muttern, Schwellenschrauben, Schraubhaken, Nieten, Splinten, Keilen, Unterlegscheiben (einschließlich Federringen und -scheiben) ohne Gewinde ähnlich sind. Eine Ähnlichkeit der streitgegenständlichen Waren mit den der eigentlichen Befestigung bzw. Verbindung von Waren dienenden Schrauben etc. hat das FG unstreitig zutreffend ausgeschlossen.
Das FG hat lediglich eine Ähnlichkeit mit Unterlegscheiben angenommen. Das sind im Allgemeinen kleine, ziemlich dünne Scheiben mit einem Loch in der Mitte, die zwischen die Mutter und das zu verbindende Stück gesetzt werden, um dieses zu schützen Diese Merkmale liegen bei der hier zu tarifierenden Ware jedoch nicht vor. Vielmehr haben die streitgegenständlichen Waren optisch keine Ähnlichkeit mit Unterlegscheiben (einschließlich Federringen und -scheiben) und sind nach ihren objektiven Eigenschaften auch nicht geeignet, das zu verbindende Stück zu schützen. Vorliegend kommt hinzu, dass die Waren unterschiedliche Längen haben und nicht einmal von der Klägerin das Vorliegen "einer" "dehnhülsenspezifischen" Länge behauptet wird. Auch aus der Verwendung eines für den "Windanlagenbau" geeigneten Materials und entsprechender Herstellungsprozesse folgt nicht, dass die Waren den Unterlegscheiben ähnlich sind, denn für den "Windanlagenbau" werden die unterschiedlichsten Waren benötigt.
Linkhinweis:
- Die Volltexte der Entscheidungen sind auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.