Zur Ermessensausübung bei der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes
Hessisches FG 8.8.2011, 8 V 1281/11Der Antragsteller ist Freiberufler und betreibt ein Ingenieurbüro. Nachdem der Betrieb zunächst als sog. "Großbetrieb" eingestuft worden war, erhielt er zuletzt die Klassifizierung "Kleinbetrieb". Im Jahr 2010 wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass bei ihm eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO angeordnet worden sei. Gleichzeitig wurde um Beantwortung einer beigefügten Prüfungsanfrage gebeten. Diese beinhaltete die Aufforderung, diverse Unterlagen - wie etwa die Finanzbuchhaltung, Debitoren- und Kreditorenkonten, Bankauszüge, Kassenbücher, Kassenbelege usw. - vorzulegen. Hinsichtlich der digital erfassten Unterlagen wurde er gebeten, diese auf einem Datenträger zur Verfügung zu stellen. Mit einer Fristsetzung war die Aufforderung nicht verbunden.
Da vom Steuerberater des Antragstellers nur Teile der Unterlagen beim Finanzamt eingereicht worden waren, forderte die Behörde ihn auf, die Prüfungsanfrage fristgerecht vollständig zu erfüllen machte ihn auf eine mögliche Festsetzung eines Verzögerungsgeldes aufmerksam. Letztlich setzte das Finanzamt ein Verzögerungsgeld wegen zweier Pflichtverletzungen nach Maßgabe von § 146 Abs. 2b AO i.H.v. 5.000 € fest.
Die Behörde führte aus, dem Antragsteller seien mehrfach fernmündlich ausreichende Fristen zur Beantwortung der Prüfungsanfrage eingeräumt worden. Mit einer schriftlichen Erinnerung sei eine weitere Frist gewährt worden. Auf vorgetragene Krankheiten des Antragstellers und dessen Steuerberater sei ausreichend Rücksicht genommen worden, denn zwischen der Prüfungsanfrage und der Festsetzung des Verzögerungsgeldes hätten nahezu vier Monate gelegen. Das Ermessen sei rechtmäßig ausgeübt worden. Dabei sei das Entschließungsermessen durch das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO bereits vorgeprägt.
Das Finanzamt stellte dem Antragsteller eine Vollstreckungsankündigung zum Verzögerungsgeld zu. Das FG gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt.
Die Gründe:
Es bestanden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes. Die Entscheidung des Finanzamtes erwies sich aus mehreren Gründen als ermessensfehlerhaft.
Zunächst hatte das Finanzamt ermessensfehlerhaft sowohl wegen der nicht fristgerechten Einräumung des Datenzugriffs als auch wegen der nicht fristgerechten Vorlage von Unterlagen ein Verzögerungsgeld mit dem Mindestsatz von jeweils 2.500 € bemessen und der Festsetzung i.H.v. 5.000 € zu Grunde gelegt. Diese - auf einzelne Pflichtverletzungen bezogene - eigenständige Bewertung und die damit verbundene tatbestandliche Vervielfältigung ließen sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Regelung entnehmen. Zwar kann die Finanzbehörde auch dann ein Verzögerungsgeld festsetzen, wenn der Steuerpflichtige gleich mehrere Pflichten oder eine bestimmte Pflicht mehrfach verletzt. Eine tatbestandliche Vervielfältigung des Mindestsatzes pro Pflichtverletzung begegnet jedoch ernstlichen rechtlichen Zweifeln. Dies galt hier umso mehr, als ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen der Pflicht zur fristgerechten Einräumung des Datenzugriffs und zur fristgerechten Vorlage von Unterlagen bestand.
Der Gesetzgeber hat die Zulässigkeit mehrerer Androhungen von Zwangsmitteln in § 332 Abs. 3 S. 1 AO ausdrücklich dahingehend geregelt, dass eine neue Androhung wegen der selben Verpflichtung erst dann zulässig ist, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos ist. Wird vom Pflichtigen ein Dulden oder Unterlassen gefordert, so kann das Zwangsmittel für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht werden, § 332 Abs. 3 S. 2 AO. Eine ähnliche gesetzliche Regelung ist in der hier zu beurteilenden Vorschrift gerade nicht enthalten. Der Gesetzgeber hat auch nicht auf § 332 Abs. 3 AO verwiesen. Eine analoge Anwendung des § 332 Abs. 3 AO kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil nicht zu erkennen ist, dass das Fehlen einer entsprechenden Regelung auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht.
Letztlich war das Entschließungsermessen durch das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 146 Abs. 2 b AO auch nicht vorgeprägt. Da der Gesetzgeber keine konkreten Ermessensleitlinien umschrieben hat, scheint sich zu Recht in Literatur und Rechtsprechung die Tendenz abzuzeichnen, die Anwendung der Vorschrift auf wesentliche Fälle zu begrenzen, Bagatellfälle auszuklammern bzw. in das Entschließungsermessen alle entscheidungserheblichen Umstände einzubeziehen, insbesondere Verschuldensaspekte, auch wenn diese im Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO nicht ausdrücklich genannt sind. Hier hatte das Finanzamt allerdings keine ausreichenden Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemacht.
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