15.04.2013

Zur Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenze nach § 1 Abs. 3 EStG

Der europäische Gedanke gebietet es, Einkünfte, die nicht bereits bei der Ermittlung der Welteinkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG außer Acht zu lassen sind, unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG unberücksichtigt zu lassen, um zu verhindern, dass der Betroffene aufgrund der jeweiligen Regelungen in keinem der beiden Staaten in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen kann. Diese Vorschrift kann aber nicht im Umkehrschluss dazu führen, dass in Deutschland steuerfreie Einkünfte nur deshalb berücksichtigt werden, weil sie im Ausland steuerpflichtig sind.

FG Köln 29.1.2013, 1 K 3219/11
Der Sachverhalt:
Die in den Niederlanden wohnhafte Klägerin erzielte im Streitjahr 2009 in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 15.032 €. In den Niederlanden erhielt sie nicht der deutschen Besteuerung unterliegende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 9.482 € und Arbeitslosengeld i.H.v. 3.768 €. Beides wurde in den Niederlanden besteuert.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte die Klägerin zunächst die getrennte Veranlagung von ihrem ebenfalls in den Niederlanden wohnhaften Ehemann, der in Deutschland eine Kfz-Werkstatt betreibt und daraus im Jahr 2009 einen Verlust aus Gewerbebetrieb von - 13.457 € erzielt hatte. In den Niederlanden erhielt er im Streitjahr zudem nicht der deutschen Besteuerung unterliegendes - in den Niederlanden steuerpflichtiges - Krankengeld i.H.v. 13.425 €.

Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr antragsgemäß auf 2.127,00 € fest. Es hatte eine Einzelveranlagung nach den Vorschriften der beschränkten Steuerpflicht durchgeführt. Im Rahmen des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin eine Einkommensteuererklärung ein und beantragte die Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann. Diesem Wunsch kam die Steuerbehörde allerdings nicht nach. Die Klägerin und ihr Ehemann seien nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln. Die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung seien damit nicht gegeben.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt.

Die Gründe:
Das Finanzamt hatte es zu Unrecht abgelehnt, die Zusammenveranlagung durchzuführen.

Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gem. §§ 26 Abs. 1 S. 1, 26b EStG u.a. zusammenveranlagt werden, wenn sie die Voraussetzungen der sog. fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllen. Eine Zusammenveranlagung ist danach möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sog. relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 15.668 € nicht übersteigen (sog. absolute Wesentlichkeitsgrenze). Die Einkünfteermittlung vollzieht sich dabei in zwei Stufen. Zunächst ist in einem ersten Schritt die Summe der Welteinkünfte zu ermitteln. Diese sind sodann in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen, und die Einkünfte, bei denen dies nicht der Fall ist, aufzuteilen.

Infolgedessen waren hier die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt. Die absolute Wesentlichkeitsgrenze war nicht überschritten, da die nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG zu berücksichtigenden nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte weniger als 15.668 € betrugen. Bei der Ermittlung der Welteinkünfte der Kläger (erste Stufe) war neben den in Deutschland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb auch das niederländische Arbeitslosengeld in die Berechnung mit einzubeziehen, da es, weil nicht aufgrund der in § 3 Nr. 2 EStG aufgeführten Vorschriften gewährt, bei unterstellter inländischer Besteuerung nach deutschem Einkommensteuerrecht nicht steuerbefreit wäre. Nicht zu den Welteinkünften der Kläger zählte allerdings das dem Ehemann der Klägerin in den Niederlanden zugeflossene Krankengeld. Dieses wäre, deutsches Einkommensteuerrecht zugrunde gelegt, nach § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei.

Der europäische Gedanke gebietet es, Einkünfte, die nicht bereits bei der Ermittlung der Welteinkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG außer Acht zu lassen sind, unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG unberücksichtigt zu lassen, um zu verhindern, dass der Betroffene aufgrund der jeweiligen Regelungen in keinem der beiden Staaten in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen kann. Diese Vorschrift kann aber nicht im Umkehrschluss dazu führen, dass in Deutschland steuerfreie Einkünfte - entgegen der Vorgabe das Welteinkommen nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln - nur deshalb berücksichtigt werden, weil sie im Ausland steuerpflichtig sind.

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