27.09.2012

Zur Hinzurechnung einer ausländischen Familienleistung

Ein in Deutschland lebender und Unterhalt zahlender Vater kann bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer (1998 - 2000) den verdoppelten Kinder- und den verdoppelten Betreuungsfreibetrag abziehen, wenn die in Norwegen lebende Mutter dort für das gemeinsame Kind Kindergeld erhält und die sog. Günstigerprüfung ergibt, dass das Kindergeld die gebotene steuerliche Freistellung des Kindesexistenzminimums nicht in vollem Umfang bewirkt. In diesem Fall ist das norwegische Kindergeld bei der Einkommensteuerveranlagung des Vaters der Einkommensteuer hinzuzurechnen.

BFH 28.6.2012, III R 86/09
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 1998 bis 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger hat aus einer früheren Beziehung einen damals noch minderjährigen Sohn, der bei der Mutter in Norwegen lebt. Für sein nichteheliches Kind leistete der Kläger Unterhalt nach norwegischem Recht. Die Mutter bezog norwegisches Kindergeld. Bei der Bemessung der Unterhaltshöhe blieb das Kindergeld unberücksichtigt, insbesondere stand dem Kläger nach norwegischem Recht kein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Eine dem früheren § 1612b Abs. 1 BGB vergleichbare Vorschrift existierte dort nicht.

Das Finanzamt berücksichtigte den Sohn dergestalt, dass es einen Kinderfreibetrag mit den verdoppelten Beträgen des § 32 Abs. 6 S. 1 EStG vom Einkommen abzog. Es ging hierbei davon aus, dass der Freibetrag günstiger sei als das norwegische Kindergeld. Die Beträge verdoppelte es im Hinblick auf die fehlende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht der Kindsmutter. Die tarifliche Einkommensteuer erhöhte es schließlich im Hinblick auf das in Norwegen bezogene Kindergeld. Den Hinzurechnungsbetrag setzte es in Höhe der in Deutschland geltenden Kindergeldsätze an.

Die Kläger verlangten hingegen, ihnen den Kinderfreibetrag zu gewähren, ohne zugleich die Einkommensteuer um das Kindergeld zu erhöhen. Das FG gab der Klage teilweise statt. Es sah zwar nur die Voraussetzungen für den Ansatz des einfachen Kinderfreibetrags als erfüllt an, erhöhte die tarifliche Einkommensteuer allerdings nicht um das Kindergeld. Auf die hiergegen gerichtete Revision des Finanzamtes hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Für den nichtehelichen Sohn des Klägers waren der verdoppelte Kinderfreibetrag und - im Streitjahr 2000 - der verdoppelte Betreuungsfreibetrag vom Einkommen abzuziehen. Die tarifliche Einkommensteuer war um die norwegische Familienleistung zu erhöhen. Da bislang nicht ermittelt wurde, in welcher Höhe der Kindsmutter norwegisches Kindergeld zugeflossen ist, muss das FG die erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachholen.

Nach § 31 S. 4 EStG sind bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag - in den Veranlagungszeiträumen 1998 und 1999 - oder die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG - im Veranlagungszeitraum 2000 - abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wird. Wurde das Einkommen in den Fällen des § 31 EStG um den Kinderfreibetrag - bzw. im Veranlagungszeitraum 2000 um einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG - vermindert, so wird gem. § 36 Abs. 2 S. 1 EStG im entsprechenden Umfang das gezahlte Kindergeld der Einkommensteuer hinzugerechnet.

Diesen gesetzlichen Vorgaben entsprach das angegriffene Urteil bereits deshalb nicht, weil das FG lediglich den einfachen Kinderfreibetrag beim Kläger in Ansatz gebracht hatte. Da die Mutter des Kindes nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, stand dem Kläger der verdoppelte Kinderfreibetrag und - bezogen auf das Streitjahr 2000 - auch der verdoppelte Betreuungsfreibetrag zu. Der im Gesetz verwandte Begriff "zustehen" ist hierbei i.S.v. "ist zu gewähren" zu verstehen; ein Wahlrecht besteht im Hinblick auf den Ansatz der verdoppelten Beträge also nicht. Dass die Klägerin nicht in einem Kindschaftsverhältnis zu ihrem Stiefsohn stand, war entgegen der Auffassung des FG rechtlich unerheblich.

Für die nach § 31 S. 4 EStG durchzuführende Vergleichsrechnung (sog. Günstigerprüfung) war demnach dem verdoppelten Freibetrag die in Norwegen an die Kindsmutter gezahlte Familienleistung in voller Höhe gegenüberzustellen. Denn der Umfang des Freibetrags ist maßgeblich für die Beantwortung der Frage, in welcher Höhe das Kindergeld bei der Günstigerprüfung anzusetzen ist.

Die norwegische Familienleistung war gem. § 36 Abs. 2 S. 1 EStG hinzuzurechnen. Das Gesetz verlangt die Hinzurechnung auch dann, wenn der Steuerpflichtige - wie hier der Kläger - weder das Kindergeld oder die vergleichbare ausländische Leistung erhält noch einen unterhaltsrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend machen kann, etwa weil die ausländische Rechtsordnung eine dem § 1612b Abs. 1 BGB  vergleichbare Vorschrift nicht kennt. Nur auf diese Weise ist eine steuerliche Doppelberücksichtigung des Kindesexistenzminimums zu vermeiden. Im vorliegenden Fall käme es zu einer solchen Doppelbegünstigung, wenn der eine Elternteil im Ausland Kindergeld bezöge und der im Inland wohnhafte Elternteil ohne Kindergeldhinzurechnung zusätzlich die verdoppelten - oder nach dem rechtlichen Ansatz des FG die einfachen - Freibeträge abziehen könnte.

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