09.11.2023

Zur Mitunternehmerstellung einer GbR - Abfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte

1. Dass eine GbR nach der bis 2001 geltenden Rechtsprechung zivilrechtlich nicht Kommanditistin einer KG sein und auch nicht als solche in das Handelsregister eingetragen werden konnte, steht der Annahme ihrer Mitunternehmerstellung nicht zwingend entgegen.
2. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen Beteiligungseinkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte abfärben, verfassungsgemäß (Bestätigung des Urteils des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 06.06.2019 - IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649).
3. Der in § 52 Abs. 32a EStG 2007 angeordnete zeitliche Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007, der in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG fortwirkt, verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Bestätigung des BFH-Urteils vom 19.07.2018 - IV R 39/10, BFHE 262, 149, BStBl II 2019, 77).
4. § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt (Bestätigung des BFH-Urteils vom 06.06.2019 - IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649).

Kurzbesprechung
BFH v. 5.9.2023 - IV R 24/20

AO § 41
EStG § 15 Abs 3, § 52 Abs. 20b u. Abs 32a
GewStG § 2 Abs 1 S 1 u. 2
GG Art 3 Abs 1, Art 20 Abs 1


Streitig war, ob die Steuerpflichtige, eine GbR, aufgrund des Bezugs von gewerblichen Einkünften aus der Beteiligung an einer GmbH & Co. KG (KG) in vollem Umfang sowohl einkommensteuerrechtlich als auch gewerbesteuerrechtlich als Gewerbebetrieb gilt.

1. Mitunternehmerschaft

Mitunternehmer im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist, wer zivilrechtlich Gesellschafter einer Personengesellschaft ist oder ‑ in Ausnahmefällen ‑ eine diesem wirtschaftlich vergleichbare Stellung innehat, Mitunternehmerrisiko trägt und Mitunternehmerinitiative entfaltet sowie die Absicht zur Gewinnerzielung hat. Im Streitfall war die Steuerpflichtige Mitunternehmerin der KG.

Das FG hatte zur Beantwortung der Frage der Mitunternehmerschaft maßgeblich auf den Gesellschaftsvertrag der KG abgestellt, der vorsieht, dass den Gesellschaftern der Steuerpflichtigen ein Kommanditanteil zusteht.

Entstehungstatbestand und Grundlage der KG war der Abschluss des Gesellschaftsvertrags. Durch ihn werden die Rechtsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern im Innenverhältnis begründet. Die Steuerpflichtige war danach Mitunternehmerin im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Anhaltspunkte dafür, dass ihre Befugnisse hinter denen eines Kommanditisten nach dem Regelstatut des Handelsgesetzbuchs zurückgeblieben waren, fehlten im Streitfall.

Dass die Steuerpflichtige als GbR nach der bis 2001 geltenden Rechtsprechung zivilrechtlich nicht Kommanditistin einer KG sein und auch nicht als solche in das Handelsregister eingetragen werden konnte, stand der Annahme einer Mitunternehmerstellung nicht entgegen. Denn ein unwirksames Rechtsgeschäft bleibt gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 AO jedenfalls für die Besteuerung erheblich, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen. Eine Mitunternehmerschaft kann daher auch vorliegen, obwohl der Erwerb der Beteiligung oder der Gesellschaftsvertrag unwirksam war. Maßgebend war im Streitfall, dass die Beteiligten nicht nur vereinbart hatten, dass die Steuerpflichtige Kommanditistin der KG sein sollte, sondern sie den insoweit bestehenden, ihnen bekannten zivilrechtlichen Mangel unbeachtet gelassen und die Steuerpflichtige stets als Mitunternehmerin der KG behandelt hatten.

2. Aufwärtsabfärbung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG

Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG gilt die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausübt (Alternative 1) oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bezieht (Alternative 2). Dies gilt unabhängig davon, ob aus der Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ein Gewinn oder Verlust erzielt wird oder ob die gewerblichen Einkünfte im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG positiv oder negativ sind (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 EStG).

Im Streitfall lagen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG (sogenannte Aufwärtsabfärbung) liegen vor. Die Steuerpflichtige hatte die Beteiligungseinkünfte als "andere Personengesellschaft" im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG bezogen, denn auch eine GbR unterfällt dieser Regelung.

§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ist in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen (Beteiligungs-)Einkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte der Gesellschaft abfärben, verfassungsgemäß. Die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG ist mit Blick auf die verfolgten Ziele nach Auffassung des BFH auch verhältnismäßig. Sie fügt sich mit ihrer Typisierung in das Regelungssystem von Einkommen- und Körperschaftsteuer ein und gleicht ‑ was die steuerliche Verstrickung von Wirtschaftsgütern betrifft ‑ die Stellung von Personengesellschaften derjenigen von Kapitalgesellschaften an, die ausschließlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen (§ 8 Abs. 2 KStG). Dabei stehen die mit § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG verbundenen Nachteile für die Personengesellschaft beziehungsweise ihre Gesellschafter in einem vertretbaren Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Ziel.

Eine sogenannte Bagatellgrenze ‑ wie diese von der Rechtsprechung für gemischt tätige freiberufliche Personengesellschaften entwickelt wurde und die auch im Rahmen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG (sogenannte Seitwärtsabfärbung) zu beachten ist ‑ gilt im Zusammenhang mit der Aufwärtsabfärbung nicht. Die Regelung ist auch ohne eine entsprechende Bagatellgrenze verfassungsgemäß.

3. Rückwirkungsverbot

Die in § 52 Abs. 32a EStG 2007 angeordnete zeitliche Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007 auf Veranlagungszeiträume vor 2006, die in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG fortwirkt, unterliegt ebenfalls keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelung verstößt insbesondere nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

Die in § 52 Abs. 32a EStG 2007 angeordnete rückwirkende Geltung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 EStG 2007, die in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG fortwirkt, stellt ‑ jedenfalls für die Streitjahre vor 2006 ‑ eine "echte" Rückwirkung dar. Diese "echte" Rückwirkung hat der BFH ausnahmsweise verfassungsrechtlich nicht beanstandet.

Zwar sind Gesetze mit "echter" Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig Jedoch sind Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist.

Der BFH entschied, dass der Gesetzgeber mit § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 i.V.m. § 52 Abs. 32a EStG 2007 in zulässiger Weise eine Rechtslage festgeschrieben hat, die vor dem BFH-Urteil vom 06.10.2004 - IX R 53/01 (BStBl II 2005, 383) einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen hat. Die Klägerin konnte bis zum Ergehen der vorgenannten Entscheidung nicht auf eine Rechtslage vertrauen, nach der eine Abfärbewirkung gewerblicher Beteiligungseinkünfte bei einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft ausgeschlossen war.

4. Gewerbesteuer

Im Streitfall hatte das FG § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG zutreffend verfassungskonform dahin ausgelegt, dass ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG n.F. nicht als nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt. Denn ansonsten käme es zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).

Die verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG durch den BFH überschreitet auch die von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck der Norm gezogenen Grenzen nicht und widerspricht nicht dem gesetzlichen Regelungsgefüge. Ferner stellt die Auslegung des Begriffs des Gewerbebetriebs in § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG durch den BFH keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung dar.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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