Zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 UStG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL
Kurzbesprechung
BFH v. 15. 12. 2021 - XI R 3/20
UStG § 4 Nr. 21, § 4 Nr. 21 Buchst b DBuchst aa
EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst i, Art. 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst j
Streitig war, ob der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Tätigkeit als Präventions- und Persönlichkeitstrainer im Streitjahr (2010) steuerfreie Umsätze ausgeführt hatte.
Der BFH entschied, dass die Umsätze nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG steuerfrei sind, weil der Steuerpflichtige selbst weder als Ersatzschule genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt wurde noch eine gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG entsprechende Bescheinigung vorgelegt hat.
Eine Befreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG kam nicht in Betracht, da die streitigen Leistungen nicht unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienen. Nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer u.a. an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen steuerfrei. Das Tatbestandsmerkmal "unmittelbar" bezieht sich nicht auf den Inhalt der Leistungen, sondern beschreibt die Art und Weise, in der die Leistungen bei der Erfüllung des Schul- und Bildungszwecks der Einrichtung eingesetzt werden müssen, d.h. es dienen solche Leistungen unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck, die ihn nicht nur ermöglichen, sondern ihn selbst bewirken. Daher werden von § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG nur die von selbständigen Lehrern persönlich ‑‑und nicht durch von diesen beauftragte selbständige Dozenten‑‑ erbrachten Unterrichtsleistungen an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen von dieser Vorschrift erfasst.
Auch hatte der Steuerpflichtige keinen Schul- oder Hochschulunterricht i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erteilt. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL enthält keine Definition des Begriffs "Schul- und Hochschulunterricht". Der EuGH hat insoweit klargestellt, dass die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vom Unterrichtenden an die Studierenden ein besonders wichtiger Bestandteil der Unterrichtstätigkeit ist und dass sich der Begriff nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern andere Tätigkeiten einschließt, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben.
Der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" verweist daher allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen. Ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt, ist nicht angesprochen.
Vor diesem Hintergrund waren die streitigen Präventionskurse als spezialisierter und punktuell erteilter Unterricht kein Schul- oder Hochschulunterricht i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL.
Das FG hatte es jedoch unterlassen zu prüfen, ob sich eine Steuerbefreiung der Leistungen des Klägers aus anderen Gründen ergeben könnte. Es war nicht der Frage nachgegangen, ob eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i Richtlinie 77/388/EWG) in Betracht kommt, weil die Präventionskurse des Steuerpflichtigen als "Erziehung von Kindern und Jugendlichen" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind.
Das FG hatte auch nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG) erfüllt sind. Die Bestimmung ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass steuerfrei die Unterrichtseinheiten sind, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen. Die Steuerbefreiung umfasst Tätigkeiten, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben Dass die einzelne Unterrichtseinheit des jeweiligen Privatlehrers der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommen müsste, scheint deshalb nicht erforderlich zu sein. Nach Auffassung des BFH dürfte es ausreichen, dass sich seine Unterrichtseinheit auf einen Schul- oder Hochschulunterricht "bezieht". Der Steuerpflichtige könnte außerdem nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG ein Privatlehrer im Sinne der Vorschrift sein.
Der BFH wies daher den Streitfall zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das FG zurück.
Verlag Dr. Otto Schmidt
UStG § 4 Nr. 21, § 4 Nr. 21 Buchst b DBuchst aa
EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst i, Art. 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst j
Streitig war, ob der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Tätigkeit als Präventions- und Persönlichkeitstrainer im Streitjahr (2010) steuerfreie Umsätze ausgeführt hatte.
Der BFH entschied, dass die Umsätze nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG steuerfrei sind, weil der Steuerpflichtige selbst weder als Ersatzschule genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt wurde noch eine gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG entsprechende Bescheinigung vorgelegt hat.
Eine Befreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG kam nicht in Betracht, da die streitigen Leistungen nicht unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienen. Nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer u.a. an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen steuerfrei. Das Tatbestandsmerkmal "unmittelbar" bezieht sich nicht auf den Inhalt der Leistungen, sondern beschreibt die Art und Weise, in der die Leistungen bei der Erfüllung des Schul- und Bildungszwecks der Einrichtung eingesetzt werden müssen, d.h. es dienen solche Leistungen unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck, die ihn nicht nur ermöglichen, sondern ihn selbst bewirken. Daher werden von § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG nur die von selbständigen Lehrern persönlich ‑‑und nicht durch von diesen beauftragte selbständige Dozenten‑‑ erbrachten Unterrichtsleistungen an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen von dieser Vorschrift erfasst.
Auch hatte der Steuerpflichtige keinen Schul- oder Hochschulunterricht i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erteilt. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL enthält keine Definition des Begriffs "Schul- und Hochschulunterricht". Der EuGH hat insoweit klargestellt, dass die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vom Unterrichtenden an die Studierenden ein besonders wichtiger Bestandteil der Unterrichtstätigkeit ist und dass sich der Begriff nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern andere Tätigkeiten einschließt, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben.
Der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" verweist daher allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen. Ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt, ist nicht angesprochen.
Vor diesem Hintergrund waren die streitigen Präventionskurse als spezialisierter und punktuell erteilter Unterricht kein Schul- oder Hochschulunterricht i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL.
Das FG hatte es jedoch unterlassen zu prüfen, ob sich eine Steuerbefreiung der Leistungen des Klägers aus anderen Gründen ergeben könnte. Es war nicht der Frage nachgegangen, ob eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i Richtlinie 77/388/EWG) in Betracht kommt, weil die Präventionskurse des Steuerpflichtigen als "Erziehung von Kindern und Jugendlichen" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind.
Das FG hatte auch nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 77/388/EWG) erfüllt sind. Die Bestimmung ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass steuerfrei die Unterrichtseinheiten sind, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen. Die Steuerbefreiung umfasst Tätigkeiten, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben Dass die einzelne Unterrichtseinheit des jeweiligen Privatlehrers der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommen müsste, scheint deshalb nicht erforderlich zu sein. Nach Auffassung des BFH dürfte es ausreichen, dass sich seine Unterrichtseinheit auf einen Schul- oder Hochschulunterricht "bezieht". Der Steuerpflichtige könnte außerdem nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG ein Privatlehrer im Sinne der Vorschrift sein.
Der BFH wies daher den Streitfall zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das FG zurück.