27.03.2013

Zur Teilverjährung festzustellender Besteuerungsgrundlagen

Der Ablauf der Frist zur Feststellung von privaten Veräußerungsverlusten wird nicht durch § 10d Abs. 4 S. 6, 1. Halbs. i.V.m. § 23 Abs. 3 S. 8 EStG gehemmt, soweit die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum zwar wegen Hinterziehung der auf Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallenden Einkommensteuer verlängert ist, die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen (Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften) die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung aber nicht erfüllen (Prinzip der Teilverjährung).

BFH 20.11.2012, IX R 30/12
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr (2002) auf der Grundlage ihrer im Mai 2003 eingereichten Einkommensteuererklärung zuletzt mit Bescheid vom August 2006 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Im Rahmen einer strafbefreienden Selbstanzeige erklärte der Kläger im Jahr 2010 bislang nicht erklärte Einkünfte aus Kapitalvermögen und privaten Veräußerungsgeschäften für die Jahre 1999 bis 2008 nach. Auf das Streitjahr entfielen Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. rd. 13.500 € und negative Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften von rd. 30.000 €.

Im geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom September 2010 berücksichtigte das Finanzamt die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mangels Verrechenbarkeit mit ebensolchen Gewinnen aber nicht. Mit Schreiben vom Oktober 2010 beantragten die Kläger, auf den 31.12.2002 einen verbleibenden Verlustvortrag hinsichtlich der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften von 30.000 € festzustellen. Dies lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom November 2010 wegen eingetretener Verjährung ab.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG hat das Finanzamt unzutreffend dazu verpflichtet, verbleibende Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften des Klägers i.H.v. 30.000 € festzustellen. Ein derartiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 23 Abs. 3 S. 9 EStG) ist durch Verjährung (§§ 169 bis 171 AO) erloschen, § 47 AO. Die Feststellungsfrist wäre ohne Berücksichtigung des § 10d Abs. 4 S. 6, 1. Halbs. EStG am 31.12.2009 abgelaufen. Die Beteiligten streiten nur darüber, ob die besondere Ablaufhemmung des § 10d Abs. 4 S. 6, 1. Halbs. EStG eingreift. Indes ist auch die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum des Streitjahres abgelaufen, so dass die Voraussetzungen der besonderen Ablaufhemmung nicht vorliegen.

Die Festsetzungsfrist verlängert sich nicht auf zehn Jahre. § 169 Abs. 2 S. 2 AO ist nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist. Hinterzogen wurde im Streitfall nur die Einkommensteuer, die auf Einkünfte aus Kapitalvermögen entfällt. Aus dem Gesetz folgt umgekehrt: Soweit die Steuer nicht hinterzogen ist, bleibt es bei der regulären Festsetzungsfrist. Damit kommt in Bezug auf die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften die nicht durch § 169 Abs. 2 S. 2 AO verlängerte vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO zum Zuge. Dieser aus dem Gesetz abgeleitete Grundsatz der Teilverjährung ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 169 Abs. 2 S. 2 AO und der dort verwendeten restriktiven Konjunktion "soweit". Eine unterschiedliche Verjährung einzelner Teilbeträge desselben Steueranspruchs ist danach möglich.

Entgegen dem FG lässt sich damit eine entsprechende Einschränkung aus § 10d Abs. 4 S. 6 EStG entnehmen, indem diese Vorschrift mit der "Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum" auf die §§ 169 ff. AO verweist, an die dort geregelten Tatbestände anknüpft und insbes. die Teilverjährung des § 169 Abs. 2 S. 2 AO in sich aufnimmt. Verlängert sich die Festsetzungsfrist nur für Steuern, soweit sie hinterzogen wurden, wird auch der Ablauf der Feststellungsfrist dann nicht gehemmt, soweit es um die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen geht, welche die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung nicht erfüllen. Damit ist auch die systematische Argumentation des Klägers hinfällig: Wenn das Gesetz auf die gesamten in § 169 AO enthaltenen Regelungen verweist, so auch auf die in § 169 Abs. 2 S. 2 AO enthaltenen Restriktionen.

Das bedeutet vorliegend, dass die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO lediglich in Bezug auf die Einkommensteuer noch nicht abgelaufen ist, die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfällt. Infolgedessen ist i.Ü. Festsetzungsverjährung eingetreten (nämlich schon mit Ablauf des Jahres 2007), mit der weiteren Folge, dass die besondere Ablaufhemmung für die Feststellungsfrist gem. § 23 Abs. 3 S. 9 i.V.m. § 10d Abs. 4 S. 6 EStG nicht eingreift und die Feststellungsfrist am 31.12.2009 abgelaufen war. Da die Vorentscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, war sie aufzuheben. Die Klage war abzuweisen. Da die reguläre Feststellungsfrist unstreitig Ende 2009 ablief, war Feststellungsverjährung eingetreten und eine gesonderte Feststellung der Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften des Streitjahres darf nicht mehr ergehen.

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