10.06.2021

Zur Verfahrensaussetzung bei zweifelhafter Annahme einer typisch stillen Gesellschaft

Erscheint es möglich, dass Einnahmen aus einer Beteiligung an einem Handelsgewerbe als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft erzielt werden, muss das FG das Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides, in dem Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG erfasst sind, gemäß § 74 FGO aussetzen, bis durch einen --positiven oder negativen-- Bescheid entschieden ist, ob eine gesonderte und einheitliche Feststellung geboten ist. Unterbleibt dies, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor.

Kurzbesprechung
Bleibt das Mitunternehmerrisiko eines stillen Gesellschafters hinter der Rechtsstellung zurück, die das HGB dem Kommanditisten zuweist, ist gleichwohl von einem atypisch stillen Gesellschaftsverhältnis auszugehen, wenn die Möglichkeit des stillen Gesellschafters zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative besonders stark ausgeprägt ist. Diese Möglichkeit kann sich bei einer GmbH & Still auch aus der Stellung des stillen Gesellschafters als Geschäftsführer oder Prokurist der GmbH ergeben

BFH v. 12.4.2021 - VIII R 46/18

EStG § 20 Abs. 1 Nr.4, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AO
FGO § 74
AO § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 180 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
HGB § 230


Ein Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung muss bereits dann durchgeführt werden, wenn zweifelhaft ist oder es nur möglich erscheint, dass Einkünfte vorliegen, an denen mehrere im Inland ansässige Personen beteiligt sind. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Zweifel rechtlicher oder tatsächlicher Natur sind. In beiden Fällen entspricht es dem materiell-rechtlichen Zweck des Feststellungsverfahrens und der dem § 179 AO zugrunde liegenden Kompetenzverteilung, eine inhaltlich identische Sachbehandlung gegenüber allen potentiell betroffenen Steuerpflichtigen sicherzustellen. Ein Feststellungsverfahren ist auch dann durchzuführen, wenn das für dieses Verfahren zuständige Finanzamt gleichzeitig für die Festsetzung der Einkommensteuer aller möglicherweise an den Einkünften beteiligter Steuerpflichtiger zuständig ist. Es kann nur unterbleiben, wenn offensichtlich ein Fall von geringer Bedeutung i.S. des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt.

Im Streitfall war in Betracht zu ziehen, dass der Steuerpflichtige die streitigen Einnahmen als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft erzielt hat und diese daher im Rahmen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung zu erfassen sind.

Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter oder aus partiarischen Darlehen, es sei denn, dass der Gesellschafter oder Darlehensgeber als Mitunternehmer anzusehen ist. Mitunternehmer ist derjenige Gesellschafter, der kumulativ Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt.

Im Streitfall durfte das FG nicht ohne weiteres annehmen, der Steuerpflichtige sei nicht als Mitunternehmer anzusehen und erziele als typisch stiller Gesellschafter Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Vielmehr ist unklar --und somit im Rahmen eines noch durchzuführenden Feststellungsverfahrens zu entscheiden--, ob der Steuerpflichtige als typisch oder atypisch stiller Gesellschafter anzusehen ist.

Die Annahme einer Mitunternehmerstellung des Steuerpflichtigen kommt in Betracht, weil die geringere Ausprägung des Mitunternehmerrisikos des Steuerpflichtigen (möglicherweise) in Anbetracht seiner (spätestens ab 2002 bestehenden) Tätigkeit als leitender Angestellter und Prokurist der GmbH durch eine stärkere Ausprägung seiner Mitunternehmerinitiative ausgeglichen worden sein könnte.

Nach den Feststellungen des FG bzw. den Regelungen des Gesellschaftsvertrages war der Steuerpflichtige zu 20 % am Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt, ohne dass betragsmäßige Obergrenzen vereinbart waren. Jedoch war er weder an den stillen Reserven noch am Geschäftswert beteiligt. Sein mitunternehmerisches Risiko blieb mithin hinter der Rechtsstellung zurück, die das HGB dem Kommanditisten zuweist.

Allerdings könnte dieses Defizit durch eine besonders ausgeprägte Mitunternehmerinitiative ausgeglichen sein. Zwar oblag nach dem Vertrag die Geschäftsführung der stillen Gesellschaft allein dem Vater des Steuerpflichtigen, während er die Rechte nach § 716 BGB zustanden und er den Jahresabschluss und die Buchführung durch einen Wirtschaftsprüfer prüfen lassen konnte. Jedoch war er seit 2002 auch leitender Angestellter und Prokurist der GmbH, so dass es keinesfalls ausgeschlossen erscheint, dass ihm als solchem Aufgaben der Geschäftsführung, mit denen ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum und damit auch ein Einfluss auf grundsätzliche Fragen der Geschäftsleitung verbunden war, zur selbständigen Ausübung übertragen waren.

Von einer Aussetzung des Klageverfahrens gegen die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre gemäß § 74 FGO konnte nicht abgesehen werden, weil kein Fall von geringer Bedeutung vorlag.
Verlag Dr. Otto Schmidt
Zurück