Zur Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen
Kurzbesprechung
BFH v. 15. 11. 2022 - VII R 55/20
GG Art 3 Abs 1, Art 20 Abs 3
AO § 227, § 233, § 233a, § 238, § 240
Streitig war die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge (§ 240 AO). Der BFH hat dies auch vor dem Hintergrund des BVerfG - Beschlusses v. 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl I 2021, 4303 ausdrücklich verneint. Denn die vom BVerfG in seinem Beschluss vom 08.07.2021 herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen.
Anknüpfungspunkt für die vom BVerfG in seiner Entscheidung als verfassungswidrig angesehene Ungleichbehandlung war die in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO geregelte fünfzehnmonatige Karenzzeit, welche nach Ansicht des BVerfG zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen führt, nämlich derjenigen Steuerschuldner, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit (zutreffend) festgesetzt wurde, gegenüber denjenigen, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wurde, mithin eine Ungleichbehandlung zinszahlungspflichtiger gegenüber nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern. Das BVerfG sah die verfassungsrechtlich relevante Ungleichheit folglich nicht in einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Zinszahlungspflichtigen in dem Sinne, dass sie im Binnenverhältnis durch die Bestimmung des Zinssatzes nicht rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet würden, sondern allein in einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung der nach § 233a AO zinszahlungspflichtigen gegenüber den nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern durch die typisierende Annahme eines durch eine späte Steuerfestsetzung entstandenen potentiellen Liquiditätsvorteils in Höhe von monatlich 0,5 % Zinsen.
Dabei spielte die Frage, ob ein Zinssatz von monatlich 0,5 % den durch eine Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen auszugleichenden Vorteil der Höhe nach realitätsgerecht abbildet, erst in der anschließenden Rechtfertigungsprüfung nach strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen eine Rolle. Das BVerfG sah diesen potentiell entstehenden Vorteil mit dem monatlichen Zinssatz von 0,5 % ab 2014 als nicht mehr realitätsgerecht bemessen an.
Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es nach Auffassung des BFH jedoch bereits an einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben. Denn die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Nachzahlungszinsen sind dementsprechend weder Sanktion noch Druckmittel, sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung.
Anders verhält es sich hingegen im Hinblick auf die verschiedenen Funktionen der Säumniszuschläge. Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen.
Die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen ist damit nicht Haupt-, sondern nur Nebenzweck der Regelung Es geht folglich nicht um einen Vorteilsausgleich gegenüber anderen Steuerpflichtigen, sondern lediglich als Nebenzweck um einen Ausgleich gegenüber der Finanzverwaltung. Schon daran zeigt sich, dass die Sachverhalte nicht vergleichbar sind.
Allein der Umstand, dass bei Säumniszuschlagspflichtigen anders als jetzt bei den zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern das strukturelle Niedrigzinsniveau seit 2014 nicht berücksichtigt wird, genügt für eine Vergleichbarkeit der zwei Gruppen nicht. Denn das behandelt die eigentliche Frage nach der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bereits als Tatbestandsmerkmal der Ungleichbehandlung.
Auch innerhalb der Gruppe der Säumniszuschlagspflichtigen selbst ist keine Ungleichbehandlung gegeben, weshalb ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ausscheidet.
Die Höhe des Säumniszuschlags verletzt auch nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot. Denn die Höhe des Säumniszuschlags ist auch in einer Niedrigzinsphase durch den vom Gesetzgeber intendierten Zweck der Norm gedeckt.
Für die Annahme eines verfassungswidrig überhöhten und nicht mehr realitätsgerecht typisierenden Zinsanteils bedürfte es der Festlegung auf einen bestimmten prozentualen Zinsanteil als Maßstab. Einen solchen Anteil haben aber weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung dem Säumniszuschlag bisher zugewiesen. Vielmehr hat die Rechtsprechung im Rahmen der Ermessensentscheidung über einen Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit dem Druckmittelcharakter der Säumniszuschläge einen Anteil von 50 % zugemessen. Aus dieser Aufteilung des Säumniszuschlags im Rahmen der ‑ eigenen rechtlichen Grundsätzen folgenden ‑ Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme kann jedoch nicht generell ein fester ‑ typisierter ‑ Zinsanteil hergeleitet werden.
Lässt sich jedoch ein fester und typisierender Zinssatz der Regelung in § 240 AO nicht entnehmen, sondern kommt der Norm neben ihrem primären Sanktionszweck für die nicht rechtzeitige Leistung ‑ lediglich ‑ auch ein Zinscharakter zu, fehlt es damit aber an einer festen Größe eines Zinssatzes, die auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden könnte. Eine (anteilige) Behandlung des Säumniszuschlags als Zins scheidet daher aus.
Verlag Dr. Otto Schmidt
GG Art 3 Abs 1, Art 20 Abs 3
AO § 227, § 233, § 233a, § 238, § 240
Streitig war die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge (§ 240 AO). Der BFH hat dies auch vor dem Hintergrund des BVerfG - Beschlusses v. 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl I 2021, 4303 ausdrücklich verneint. Denn die vom BVerfG in seinem Beschluss vom 08.07.2021 herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen.
Anknüpfungspunkt für die vom BVerfG in seiner Entscheidung als verfassungswidrig angesehene Ungleichbehandlung war die in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO geregelte fünfzehnmonatige Karenzzeit, welche nach Ansicht des BVerfG zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen führt, nämlich derjenigen Steuerschuldner, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit (zutreffend) festgesetzt wurde, gegenüber denjenigen, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wurde, mithin eine Ungleichbehandlung zinszahlungspflichtiger gegenüber nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern. Das BVerfG sah die verfassungsrechtlich relevante Ungleichheit folglich nicht in einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Zinszahlungspflichtigen in dem Sinne, dass sie im Binnenverhältnis durch die Bestimmung des Zinssatzes nicht rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet würden, sondern allein in einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung der nach § 233a AO zinszahlungspflichtigen gegenüber den nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern durch die typisierende Annahme eines durch eine späte Steuerfestsetzung entstandenen potentiellen Liquiditätsvorteils in Höhe von monatlich 0,5 % Zinsen.
Dabei spielte die Frage, ob ein Zinssatz von monatlich 0,5 % den durch eine Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen auszugleichenden Vorteil der Höhe nach realitätsgerecht abbildet, erst in der anschließenden Rechtfertigungsprüfung nach strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen eine Rolle. Das BVerfG sah diesen potentiell entstehenden Vorteil mit dem monatlichen Zinssatz von 0,5 % ab 2014 als nicht mehr realitätsgerecht bemessen an.
Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es nach Auffassung des BFH jedoch bereits an einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben. Denn die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Nachzahlungszinsen sind dementsprechend weder Sanktion noch Druckmittel, sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung.
Anders verhält es sich hingegen im Hinblick auf die verschiedenen Funktionen der Säumniszuschläge. Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen.
Die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen ist damit nicht Haupt-, sondern nur Nebenzweck der Regelung Es geht folglich nicht um einen Vorteilsausgleich gegenüber anderen Steuerpflichtigen, sondern lediglich als Nebenzweck um einen Ausgleich gegenüber der Finanzverwaltung. Schon daran zeigt sich, dass die Sachverhalte nicht vergleichbar sind.
Allein der Umstand, dass bei Säumniszuschlagspflichtigen anders als jetzt bei den zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern das strukturelle Niedrigzinsniveau seit 2014 nicht berücksichtigt wird, genügt für eine Vergleichbarkeit der zwei Gruppen nicht. Denn das behandelt die eigentliche Frage nach der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bereits als Tatbestandsmerkmal der Ungleichbehandlung.
Auch innerhalb der Gruppe der Säumniszuschlagspflichtigen selbst ist keine Ungleichbehandlung gegeben, weshalb ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ausscheidet.
Die Höhe des Säumniszuschlags verletzt auch nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot. Denn die Höhe des Säumniszuschlags ist auch in einer Niedrigzinsphase durch den vom Gesetzgeber intendierten Zweck der Norm gedeckt.
Für die Annahme eines verfassungswidrig überhöhten und nicht mehr realitätsgerecht typisierenden Zinsanteils bedürfte es der Festlegung auf einen bestimmten prozentualen Zinsanteil als Maßstab. Einen solchen Anteil haben aber weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung dem Säumniszuschlag bisher zugewiesen. Vielmehr hat die Rechtsprechung im Rahmen der Ermessensentscheidung über einen Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit dem Druckmittelcharakter der Säumniszuschläge einen Anteil von 50 % zugemessen. Aus dieser Aufteilung des Säumniszuschlags im Rahmen der ‑ eigenen rechtlichen Grundsätzen folgenden ‑ Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme kann jedoch nicht generell ein fester ‑ typisierter ‑ Zinsanteil hergeleitet werden.
Lässt sich jedoch ein fester und typisierender Zinssatz der Regelung in § 240 AO nicht entnehmen, sondern kommt der Norm neben ihrem primären Sanktionszweck für die nicht rechtzeitige Leistung ‑ lediglich ‑ auch ein Zinscharakter zu, fehlt es damit aber an einer festen Größe eines Zinssatzes, die auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden könnte. Eine (anteilige) Behandlung des Säumniszuschlags als Zins scheidet daher aus.