25.01.2012

Zur Vorsteuerberichtigung bei nachträglicher Berufung auf Steuerfreiheit nach Unionsrecht

Die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse ändern sich i.S.d. § 15a Abs. 1 S. 1 UStG, wenn sich der Steuerpflichtige während des Berichtigungszeitraums auf die Steuerfreiheit der gleichbleibenden Verwendungsumsätze gem. Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG beruft. Die Entscheidung ist für alle Fälle von Bedeutung sein, in denen sich Unternehmer nachträglich auf Steuerbefreiungen des Unionrechts berufen, die im nationalen Recht nicht zutreffend umgesetzt sind.

BFH 15.9.2011, V R 8/11
Der Sachverhalt:
Die klagende GmbH führte in den Streitjahren 1999 bis 2003 u.a. Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit aus. In den Umsatzsteuererklärungen für diese Kalenderjahre wurden diese Umsätze als steuerpflichtig behandelt und hiermit im Zusammenhang stehende Vorsteuerbeträge aus dem Erwerb sonstiger Wirtschaftsgüter und von Geldspielgeräten geltend gemacht.

Nachdem der EuGH im Gegensatz dazu entschieden hatte, dass derartige Umsätze nach dem Unionsrecht steuerfrei sind, machte die Klägerin dies für sich geltend. Das Finanzamt akzeptierte die Steuerfreiheit der Automatenumsätze, ging aber zu Lasten der Klägerin davon aus, dass sie den zuvor für den Erwerb der Geldspielautomaten in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug nach § 15a UStG zu berichtigen habe.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das FG hat zutreffend entschieden, dass in den Streitjahren eine Vorsteuerberichtigung gem. § 15a UStG zu Lasten der Klägerin für die von ihr in den Kalenderjahren 1994 bis 1998 bezogenen Wirtschaftsgüter vorzunehmen ist.

Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist gem. § 15a Abs. 1 S. 1 UStG 2001 für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Im Streitfall haben sich die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse dadurch geändert, dass sich die Klägerin während des Berichtigungszeitraums für in den Kalenderjahren 1994 bis 1998 bezogene Wirtschaftsgüter gem. § 15a Abs. 1 S. 1 UStG - in den Streitjahren - auf die teilweise Steuerfreiheit ihrer Ausgangsumsätze gem. Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG beruft.

§ 15a Abs. 1 S. 1 UStG erfasst auch den Fall, dass Verwendungsumsätze, die nach nationalem Recht steuerpflichtig sind, innerhalb des Berichtigungszeitraums aufgrund der Berufung auf das Unionsrecht als steuerfreie Umsätze zu behandeln sind. Da sich die Klägerin auf die Steuerbefreiung der Richtlinie 77/388/EWG beruft, sind ihre Ausgangsumsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit in den Streitjahren als steuerfrei zu behandeln. Aus Aufwendungen für Eingangsleistungen, die in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen stehen, kommt ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 UStG und Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG nicht in Betracht, wenn - wie im Streitfall - die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 UStG nicht vorliegen.

Im Streitfall liegt keine rechtsfehlerhafte Beurteilung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr vor. Daher ist die Berichtigungsmöglichkeit des Finanzamts - entgegen der Auffassung der Klägerin - gem. § 15a Abs. 1 S. 1 UStG in den Streitjahren nicht zeitlich beschränkt. Die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs durch die Klägerin und deren Rechtsvorgänger in den Abzugsjahren - den Besteuerungszeiträumen 1994 bis 1998 - war trotz der unzureichenden Umsetzung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG in § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG nicht "fehlerhaft". Entspricht das nationale Recht nicht dem ihm zugrundeliegenden Unionsrecht und besteht auch keine Möglichkeit zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, kann sich der Steuerpflichtige auf die Steuerfreiheit seiner Umsätze nach der Richtlinie berufen.

Beruft sich der Unternehmer während des Berichtigungszeitraumes auf das Unionsrecht, tritt - ähnlich wie bei der Rückgängigmachung des Verzichts auf eine Steuerbefreiung gem. § 9 UStG - eine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse ein. Ähnlich wie bei einem Verzicht gem. § 9 UStG ist das Finanzamt nicht befugt, Umsätze, die nach nationalem Recht steuerpflichtig und nach der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sind, gegen den Willen des Steuerpflichtigen als steuerfrei mit den entsprechenden Folgen für den Vorsteuerabzug zu behandeln. Nur der Steuerpflichtige hat - ähnlich der Ausübung eines Wahlrechts - die Möglichkeit, sich für die Anwendung des gegenüber den Regeln im nationalen Recht günstigeren Unionsrechts zu entscheiden.

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BFH PM Nr. 7 vom 25.1.2012
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