Zur Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle betreffend ein das Recht der EU umsetzendes Gesetz (hier: InvZulG)
BVerfG 4.10.2011, 1 BvL 3/08Das Investitionszulagengesetz (InvZulG) regelt die Zahlung einer staatlichen Subvention (Investitionszulage) für bestimmte betriebliche Investitionen in Berlin und den neuen Bundesländern. Im Mai 1998 entschied die EU-Kommission, dass nationale Beihilferegelungen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar seien, die dem von der Kommission zuvor bestimmten Gemeinschaftsrahmen und den zugleich festgelegten zweckdienlichen Maßnahmen zur Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse zuwiderliefen. Danach sind bestimmte Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe, u.a. in Müllereibetriebe, von der Förderung ausgeschlossen.
Deutschland wurde in der am 2.7.1998 zugestellten Entscheidung aufgegeben, seine Beihilferegelungen binnen zwei Monaten entsprechend zu ändern oder aufzuheben. Die Vorgabe wurde durch die am 24.12.1998 in Kraft getretene Neuregelung in § 2 S. 2 Nr. 4 InvZulG umgesetzt. Nicht begünstigt waren danach bestimmte Wirtschaftsgüter im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die nach dem 2.9.1998 angeschafft oder hergestellt worden waren.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine GmbH, unterhält einen Mühlenbetrieb in den neuen Bundesländern. Auf der Grundlage der Neuregelung versagte ihr das Finanzamt die Gewährung einer Investitionszulage für Investitionen i.H.v. 3,9 Mio. DM mit der Begründung, diese seien erst nach dem 2.9.1998 durchgeführt worden. Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot geltend. Die betreffenden Investitionsentscheidungen seien bereits vor dem 3.9.1998 und damit auch vor Verkündung der Neuregelung getroffen worden.
Das FG legte dem BVerfG die Frage zur Prüfung vor, ob die Regelung in § 2 S. 2 Nr. 4 InvZulG insoweit mit dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot vereinbar ist, als sie auch Investitionen umfasse, bzgl. derer der Investor eine bindende Investitionsentscheidung schon vor dem 28.9.1998 - dem Tag der Veröffentlichung des Schreibens, mit dem die Bundesregierung die Änderung des InvZulG angekündigt hatte - getroffen hat.
Ein Investor genieße von dem Zeitpunkt seiner bindenden Dispositionsentscheidung an Vertrauensschutz gegenüber Gesetzen, die die steuerliche Förderung der Investition nachträglich einschränkten oder aufhöben; dieses schutzwürdige Vertrauen sei erst mit der Veröffentlichung des Schreibens der Bundesregierung entfallen. Die mit der Neuregelung verbundene Rückwirkung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt und auch nach der Entscheidung der Kommission nicht geboten. Danach bestehe eine Verpflichtung nur mit Wirkung für die Zukunft, nicht aber zur Versagung von Beihilfen für Investitionen, die in Gestalt bindender Investitionsentscheidungen bereits begonnen worden seien. Da der Rechtsverstoß im nationalen Recht begründet sei, komme eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht.
Das BVerfG wies die Vorlage als unzulässig zurück.
Die Gründe:
Das vorlegende FG hat nicht ausreichend geklärt, ob die von ihm als verfassungswidrig beurteilte Gesetzesvorschrift auf einer den deutschen Gesetzgeber bindenden Vorgabe des europäischen Gemeinschaftsrechts beruht oder ihm ein Gestaltungsspielraums verblieben ist. Damit ist die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage nicht hinreichend dargelegt.
Ein Gesetz, das Unionsrecht umsetzt, kann nur dann dem BVerfG zur Entscheidung über seine Verfassungsmäßigkeit vorgelegt werden, wenn es der Prüfung durch das BVerfG unterliegt. Solange die EU einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem Grundrechtsschutz des GG im Wesentlichen gleich zu achten ist, übt das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von Unionsrecht in Deutschland, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden in Anspruch genommen wird, jedoch nicht mehr aus und überprüft dieses Recht mithin nicht am Maßstab der Grundrechte.
Auch eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie oder einen Beschluss in deutsches Recht umsetzt, wird nicht an den Grundrechten des GG gemessen, wenn das Unionsrecht dem deutschen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum belässt, sondern zwingende Vorgaben macht. In diesem Fall ist die Vorlage eines Unionsrecht umsetzenden Gesetzes an das BVerfG unzulässig, weil die Frage seiner Vereinbarkeit mit dem GG nicht entscheidungserheblich ist. Ein Gericht hat daher vor einer Vorlage des Gesetzes an das BVerfG zu klären, ob dem deutschen Gesetzgeber bei der Umsetzung des Unionsrechts ein Spielraum verblieben ist.
Hierfür muss es, wenn Unklarheit über die Bedeutung des Unionsrechts besteht, ein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH einleiten, unabhängig davon, ob es ein letztinstanzliches Gericht ist. Wenn unklar ist, ob und inwieweit das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum belässt, sind auch Instanzgerichte vor einer Vorlage an das BVerfG zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zum EuGH verpflichtet. Des Weiteren hat das vorlegende Gericht sich in seiner Vorlagebegründung mit der Frage eines dem nationalen Gesetzgeber belassenen Umsetzungsspielraums auseinanderzusetzen und hinreichend deutlich die Gründe für die Entscheidungserheblichkeit seiner Vorlage darzulegen. Diesen Anforderungen genügt die Vorlage des FG nicht.
Es hat sich schon nicht mit der Möglichkeit einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Prüfung durch das BVerfG befasst. Zudem fehlt es an hinreichenden Ausführungen zum Umfang der Bindungswirkung der Kommissionsentscheidung. Die Feststellung, die Kommission habe nur eine Regelung für die Zukunft getroffen, zwingt nicht zu dem Schluss, dass nach Ablauf der zweimonatigen Umsetzungsfrist eine Gewährung von Investitionszulagen zulässig bleiben sollte, wenn eine bindende Investitionsentscheidung bereits vor Fristablauf getroffen worden war. In Anbetracht dessen hat das FG die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage schon nicht ausreichend dargetan.
Zudem hätte es die hier maßgebliche Auslegungsfrage für das Vorliegen eines nationalen Umsetzungsspielraums dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorlegen müssen, weil diese sich nicht zweifelsfrei beantworten lässt.
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