05.12.2024

Zurechnung von Grundstücken bei einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 GrEStG und Grunderwerbsteuerbefreiung bei einer niederländischen Stiftung

1. Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft für den nach § 1 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat. Dies gilt auch bei mehrstöckigen Beteiligungen (Anschluss an Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14.12.2022 - II R 40/20, BFHE 279, 290, BStBl II 2023, 1012, Rz 30).
2. Eine steuerbare Vereinigung von Anteilen an einer grundbesitzenden Gesellschaft in einer niederländischen Stiftung (stichting) ist nicht nach § 5 Abs. 2 GrEStG steuerbefreit, wenn die Stiftung bei einem Rechtstypenvergleich nicht mit einer Gesamthandsgemeinschaft gleichgestellt werden kann.

Kurzbesprechung
BFH v. 23.7.2024 - II R 11/22

GrEStG § 1 Abs 3 Nr. 1, GrEStG § 1 Abs 3 Nr. 2, GrEStG § 5 Abs 2

Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt, soweit eine Besteuerung nach Abs. 2a nicht in Betracht kommt, ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft begründet, der Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden. Mit dem Anteilserwerb wird derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen.

Dieselben Grundsätze gelten im Rahmen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG. Danach unterliegt die Vereinigung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 % der Anteile einer grundbesitzenden Gesellschaft der Grunderwerbsteuer, wenn kein schuldrechtliches Geschäft im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vorausgegangen ist. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG ist gegenüber § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG subsidiär. Ist der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG durch einen Rechtsvorgang verwirklicht worden, unterliegt die nachfolgende Übertragung der Anteile nicht erneut nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG der Grunderwerbsteuer.

Im Streitfall war das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG erfüllt sind. Dabei konnte offenbleiben, ob eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG auch dann vorliegt, wenn die Beteiligungsgrenze von 95 % nach einem Absinken der Beteiligung erneut überschritten wird, da die Voraussetzungen beider Besteuerungstatbestände erstmals bei der Anteilsvereinigung vorlagen.

Die Anteilsvereinigung war nicht nach § 5 Abs. 2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit. Geht ein Grundstück von einem Alleineigentümer auf eine Gesamthand über, so wird die Steuer gemäß § 5 Abs. 2 GrEStG in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Veräußerer am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Die Vorschrift gilt auch bei "fiktiven" Grundstückserwerben im Sinne des § 1 Abs. 1 bis 3a GrEStG und ist daher auch im Falle einer Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 GrEStG anwendbar.

Ausländische Gesellschaften können nach § 5 Abs. 2 GrEStG begünstigt sein, sofern deren Struktur mit einer inländischen Gesamthandsgemeinschaft vergleichbar ist Das ist der Fall, wenn eine Gesamtwürdigung der maßgebenden ausländischen Bestimmungen über die Organisation und Struktur der Gesellschaft ergibt, dass diese rechtlich und wirtschaftlich einer inländischen Gesamthandsgemeinschaft gleichsteht. Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob die im Ausland rechtsfähige Gesellschaft oder Vermögensmasse dem "Typ" und der tatsächlichen Handhabung nach einer Gesamthandsgemeinschaft nach innerstaatlichem Recht entspricht.

Im Streitfall war die Steuerpflichtige in der Rechtsform einer "stichting" (niederländische Stiftung) organisiert. Dabei handelt es sich um eine durch Rechtsgeschäft gegründete rechtsfähige juristische Person in Form eines verselbständigten Zweckvermögens, das keine Mitglieder hat und das dem Zweck dient, mithilfe eines dazu bestimmten Vermögens ein in der Satzung festgelegtes Ziel zu verwirklichen. Ausgehend hiervon hatte das FG zutreffend darauf abgestellt, dass sich die Steuerpflichtige nach ihrer rechtlichen Struktur bereits aufgrund des Fehlens von Mitgliedern oder Anteilseignern von einer Gesamthandsgemeinschaft, deren Entstehung als Personenverband die Beteiligung von mindestens zwei Gesellschaftern voraussetzt (§ 705 Abs. 1 BGB), unterscheidet. Ebenso durfte das FG beim Rechtstypenvergleich berücksichtigen, dass eine "stichting" im Unterschied zu einer Gesamthandsgemeinschaft nicht durch eine gesamthänderische Bindung des Gesellschaftsvermögens gekennzeichnet ist. Vor diesem Hintergrund war die Schlussfolgerung des FG, die Steuerpflichtige sei nicht mit einer inländischen Gesamthandsgemeinschaft vergleichbar, zutreffend.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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