24.04.2025

Zurechnungsbesteuerung bei ausländischen Familienstiftungen und Verstoß von Art. 15 Abs. 6 AStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit

1. Unter einer für die Anfallsberechtigung im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) erforderlichen gesicherten Rechtsposition ist die bei objektiver Betrachtungsweise bestehende begründete Aussicht eines Steuerpflichtigen zu verstehen, im Fall der Liquidation der Stiftung Auskehrungen zu erhalten.
2. Die Beurteilung, ob ein Steuerpflichtiger als anfallsberechtigt anzusehen ist, erfolgt nach dem Prinzip der veranlagungszeitraumbezogenen Besteuerung.
3. Zur Abwendung eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ist es wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts für die Anwendung von § 15 Abs. 6 AStG unschädlich, wenn die Familienstiftung Geschäftsleitung oder Sitz nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, sondern in einem Drittstaat hat.
4. Für die Beurteilung, ob das Stiftungsvermögen gemäß § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG der Verfügungsmacht der in Abs. 2 und 3 genannten Personen "rechtlich und tatsächlich" entzogen ist, kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage an.

Kurzbesprechung
BFH v. 3.12.2024 - IX R 32/22

AStG § 15 Abs 1, AStG § 15 Abs 2, AStG § 15 Abs 6, AStG § 18 Abs 4
AEUV Art 49, AEUV Art 63 Abs 1, AEUV Art 64, AEUV Art 65, AEUV Art 267 Abs 3


Im Streitfall ging es um die in Deutschland lebenden Begünstigten (Steuerpflichtige) einer Schweizer Familienstiftung. Das FA hatte diesen unter Berufung auf das Außensteuergesetz (AStG) das Einkommen (2012) beziehungsweise die Einkünfte (ab 2013) der Schweizer Familienstiftung zugerechnet. Die Steuerpflichtigen hatten daher das Einkommen beziehungsweise die Einkünfte der Schweizer Familienstiftung zu versteuern, obwohl sie keine Ausschüttungen von dieser erhalten hatten.

Eine Ausnahme von der Zurechnung versagte das FA, da diese nach dem AStG nur für Familienstiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens gilt.

Der BFH entschied, dass § 15 Abs. 6 AStG über den Wortlaut hinaus auch auf Drittstaatensachverhalte Anwendung findet. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens verstößt gegen die auch für Drittstaaten geltende Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ‑‑zuvor Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht gebietet es, auch ausländische Familienstiftungen mit Sitz in einem Drittstaat (wie im Streitfall in der Schweiz) der Regelung des § 15 Abs. 6 AStG zu unterwerfen.
Verlag Dr. Otto Schmidt