20.03.2025

Aktienrechtliches Freigabeverfahren: Vertretung der Aktiengesellschaft durch den Vorstand

In einem aktienrechtlichen Freigabeverfahren (hier: nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG) ist eine Vertretung der antragstellenden Aktiengesellschaft allein durch den Vorstand ausreichend. Wird im Rubrum der Antragsschrift gleichwohl neben dem Vorstand auch der Aufsichtsrat aufgeführt, führt dies jedoch nicht zur Unzulässigkeit des Antrags. Bei der nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 S. 3 Nr. 3 AktG vorzunehmenden Interessenabwägung sind nicht nur diejenigen Nachteile einzubeziehen, die infolge eines Aufschubs der Eintragung drohen, sondern auch solche die mit einem Erfolg der Beschlussmängelklage und der daraus folgenden Nichteintragung einhergingen (sog. Nichteintragungsnachteile) einzubeziehen. Dies gilt auch dann, wenn die Eintragung zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Freigabeantrag ausnahmsweise bereits erfolgt ist.

KG Berlin v. 3.3.2025 - 2 AktG 2/24
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin, eine nichtbörsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin, nimmt die Antragsgegner in einem aktienrechtlichen Freigabeverfahren in Anspruch im Hinblick auf einen am 11.6.2024 gefassten Beschluss zur Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG). Dieser Übertragungsbeschluss wurde am 30.8.2024 in das Handelsregister eingetragen. Die Antragsgegner führen vor dem LG Berlin II (90 O 61/24) eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage u.a. gegen diesen Beschluss.

Das KG gab dem Freigabeantrag der Antragstellerin statt und stellte fest, dass die Erhebung der Anfechtungsklage der Antragsgegner (LG Berlin II, Az. 90 O 61/24 - gegen den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 11.6.2024 zum Tagesordnungspunkt 7 über die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der Antragstellerin auf die A. S.A. mit Sitz in Luxemburg der Eintragung dieses Beschlusses in das Handelsregister der Antragstellerin beim AG Charlottenburg nicht entgegensteht.

Die Gründe:
Der Freigabeantrag ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Entgegen der Ansicht der Antragsgegner ist die Antragstellerin im Freigabeverfahren wirksam vertreten. In einem aktienrechtlichen Freigabeverfahren (hier nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG) ist eine Vertretung der antragstellenden Aktiengesellschaft allein durch den Vorstand ausreichend. Wird im Rubrum der Antragsschrift gleichwohl neben dem Vorstand auch der Aufsichtsrat aufgeführt, führt dies jedoch nicht zur Unzulässigkeit des Antrags.

Die Antragstellerin hat auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Eine bereits erfolgte Eintragung des Beschlusses über einen Squeeze-out in das Handelsregister (wie hier) steht dem Rechtsschutzbedürfnis für einen Freigabeantrag nicht entgegen. Auch im Anwendungsbereich von §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG trägt der mit der Freigabe einhergehende Bestandsschutz das fortbestehende Rechtsschutzbedürfnis. Durch einen Beschluss nach § 319 Abs. 6 Satz 1 AktG wird das anhängige Beschlussmängelverfahren nicht berührt. Hat die Beschlussmängelklage Erfolg, ist die Gesellschaft, die den Antrag nach § 319 Abs. 6 Satz 1 AktG gestellt hat, nach Satz 10 verpflichtet, dem Antragsgegner, d.h. dem obsiegenden Kläger des Anfechtungs- oder Nichtigkeitsverfahrens, den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der auf dem Beschluss beruhenden Eintragung entstanden ist. Verschulden der Gesellschaft ist nicht erforderlich. Der Inhalt des Anspruchs bestimmt sich nach §§ 249 ff. BGB.

Der zulässige Freigabeantrag ist auch begründet. Der Antragsgegner zu 1) hat schon den Nachweis gem. § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG nicht fristgerecht erbracht. Im Hinblick auf die Antragsgegner zu 2) und 3) fällt die nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 S. 3 Nr. 3 AktG vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus und es liegt kein besonders schwerer Rechtsverstoß vor. Bei der Interessenabwägung sind nicht nur diejenigen Nachteile einzubeziehen, die infolge eines Aufschubs der Eintragung drohen, sondern auch solche die mit einem Erfolg der Beschlussmängelklage und der daraus folgenden Nichteintragung einhergingen (sog. Nichteintragungsnachteile) einzubeziehen. Denn abzuwägen ist nicht nur das Interesse an der alsbaldigen Durchführung der Maßnahme und somit am Ausschluss eines Verzögerungsschadens, sondern auch das Interesse an der Vermeidung von Nachteilen, die durch den Erfolg der Anfechtungsklage überhaupt entstehen. Dies gilt auch dann, wenn die Eintragung zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Freigabeantrag ausnahmsweise bereits erfolgt ist.

Die Freigabe scheitert hier auch nicht an §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 Halbs. 2 AktG, wonach eine Freigabe trotz eines überwiegenden Vollziehungsinteresses dann nicht erfolgt, wenn ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Hier liegt nämlich kein besonders schwerer Rechtsverstoß vor.

Mehr zum Thema:

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