Anlegerschutz: Prospekthaftung nach Kapitalanlagebetrug
BGH v. 5.5.2022 - III ZR 131/20Die W-AG verfolgte das Geschäftsmodell, Immobilien günstig zu erwerben, durch Entwicklungsmaßnahmen aufzuwerten und gewinnbringend zu veräußern. Ihre Geschäftstätigkeit finanzierte sie vornehmlich durch acht Hypothekenanleihen, die öffentlich emittiert wurden. Zwei Anleihen über insgesamt 50 Mio. € zahlte sie zurück, sechs Anleihen mit einem Emissionsvolumen von insgesamt 450 Mio. € wurden nicht zurückgezahlt. Die Beklagten bildeten zum Zeitpunkt der Emissionen der Anleihen den Vorstand der W-AG.
Der Kläger hatte zwischen Juni 2010 und März 2013 mehrfach oben genannte Anleihen erworben. Er hat vorgetragen, es bestehe eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 264a StGB, § 400 AktG, § 15a InsO sowie § 826 BGB. Die Wertpapierprospekte zu den Anleihen hätten ein falsches Bild von der Finanz- und Ertragslage der W-AG in den Geschäftsjahren 2008 und 2009 vermittelt, um dadurch die Anleihen besser vermarkten zu können. Die W-AG sei bereits im Juni/Juli 2008 zahlungsunfähig gewesen. Hätte er dies gewusst, hätte er zu keinem Zeitpunkt auch nur eine einzige Anleihe der W-AG erworben.
Das LG hat die auf Erstattung der Kaufpreise - abzüglich erhaltener Zinsen und Ausschüttungen - nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte an den Anleihen, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Erstattung entgangener Zinseinnahmen und außergerichtlich entstandener Kosten der Rechtsverfolgung gerichtete Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, soweit mit ihr Erstattung entgangener Zinseinnahmen begehrt worden war. Hinsichtlich des weiteren Klagebegehrens hat es das erstinstanzliche Urteil geändert und der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das BGH hat die Entscheidung im Revisionsverfahren bestätigt.
Gründe:
§ 264a StGB ist ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des einzelnen Kapitalanlegers. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB scheidet nicht schon dann aus, wenn ein Wertpapier über den (Börsen-)Handel unter den Marktteilnehmern, also über den Sekundärmarkt, erworben wird.
Ohne Erfolg wandte sich die Revision zudem gegen die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung, die Beklagten hätten vorsätzlich - zumindest mit dolus eventualis - gehandelt, als sie es zugelassen hätten, dass die unrichtigen Wertpapierprospekte zum Vertrieb der Anleihen verwendet worden seien. Die Revision hatte insoweit geltend gemacht, das Berufungsgericht habe zu Unrecht einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum verneint. Die Beklagten hätten sich auf die Richtigkeit der Testate der Wirtschaftsprüfer, die die Aktivierung der Kaufpreisforderungen in den Jahresabschlüssen nicht beanstandet hätten, verlassen dürfen.
Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts von Kapitalgesellschaften durch einen Abschlussprüfer (vgl. §§ 316 ff HGB) ist zwar keine umfassende Rechts- und Wirtschaftlichkeitsprüfung, sondern nur eine Rechnungslegungsprüfung. Dennoch kann bei einer auf eine fehlerhafte bilanzielle Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung zurückzuführenden unrichtigen vorteilhaften Angabe in einem Prospekt i.S.d. § 264a Abs. 1 StGB die Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks durch einen Wirtschaftsprüfer bei einem - redlichen - Vorstandsmitglied einer Kapitalgesellschaft, das alle Aufklärungen und Nachweise, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind, erteilt respektive durch nachgeordnete Mitarbeiter oder von ihm beauftragte Dritte erteilen lässt, die Annahme eines vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtums begründen.
Die für einen solchen Irrtum darlegungspflichtigen Beklagten haben allerdings nicht hinreichend dargetan, dass sie den Abschlussprüfern alle erforderlichen Informationen gegeben hatten, die für eine sorgfältige Prüfung der Werthaltigkeit der Kaufpreisforderungen gegen die Erwerberkommanditgesellschaften erforderlich waren. Die Beklagten haben insoweit lediglich vorgetragen, ihre Mitarbeiter hätten ständig Gespräche mit den Wirtschaftsprüfern geführt, diese seien über den jeweiligen Stand der Vertriebsaktivitäten und über die Verfolgung alternativer Szenarien informiert worden, hätten sich auch selbst danach erkundigt, und es habe ein fortlaufender Austausch stattgefunden.
Dies ließ jedoch nicht erkennen, welche konkreten tatsächlichen Umstände die Beklagten bzw. ihre Mitarbeiter den Abschlussprüfern in Bezug auf die Aussichten, die Kaufpreisforderungen gegenüber den Erwerberkommanditgesellschaften zu realisieren, offengelegt haben. Das Vorbringen bleibt vielmehr im Ungefähren und pauschal und genügt deshalb nicht, um das Bild eines redlichen Vorstandsmitglieds zu vermitteln.
Nach der ständigen BGH-Rechtsprechung entspricht es der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist. Diese auf Tatsachenerfahrung beruhende Vermutung gilt für die quasivertragliche Prospekthaftung und für Schadensersatzansprüche wegen falscher Prospektangaben auf deliktischer Grundlage gleichermaßen. Die Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Davon ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat; allein die Tatsache, dass der Prospekt im Internet abrufbar war, reicht für das Eingreifen der Vermutung nicht aus. Im vorliegenden Fall war jedoch - unstreitig - für den Kläger die in den Prospekten durchgängig dargestellte positive Ertrags- und Finanzlage der WGF AG maßgebliches Investitionskriterium für seine Anleihekäufe gewesen.
Rechtsprechung
BGH vom 15.03.2022, XI ZB 31/20 - Spezialgesetzliche Prospekthaftung auch für Kommanditisten wegen Kenntnis von der Veröffentlichung des Prospekts (ZIP 2022, 945)
Rechtsprechung
BGH vom 22.02.2022, XI ZB 32/20 - Gegenstandslosigkeit eines KapMuG-Vorlagebeschlusses zur Feststellung eines Prospektfehlers als Voraussetzung für durch spezialgesetzliche Prospekthaftung verdrängten Anspruch (ZIP 2022, 745)
Aufsatz
Buck-Heeb, Dieckmann - Anlegerschutz durch die Prospekthaftung i.w.S. - was nach der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats bleibt (ZIP 2022, 145)
Aufsatz
Entwicklungen des europäischen Prospektrechts 2019-2021, Jonathan Bauerschmidt, AG 2022, 57
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