Bestimmung des Insolvenzanfechtungsgegners bzgl. der Abführung der Winterbeschäftigungsumlage
BGH v. 10.12.2020 - IX ZR 80/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Verwalterin in einem im Dezember 2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin war ein Betrieb des Dachdeckerhandwerks und beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer. Sie war zur Entrichtung der Winterbeschäftigungsumlage verpflichtet, die sie über die beklagte Lohnausgleichskasse abführte. Nachdem die Schuldnerin die Umlage für März 2015 nicht entrichtet hatte, erließ die Bundesagentur für Arbeit einen Leistungsbescheid.
Im Oktober 2015 zahlte die Schuldnerin die offene Umlage an das Hauptzollamt, das zwischenzeitlich mit der Vollstreckung beauftragt worden war. Das Hauptzollamt leitete die bei ihm eingegangene Zahlung an die Beklagte weiter. Die Beklagte führte die Umlage an die Bundesagentur ab.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Zahlung der Umlage sei ggü. der beklagten Lohnausgleichskasse als inkongruente Deckung anfechtbar. AG und LG wiesen die Klage ab, weil die Beklagte nicht die richtige Anfechtungsgegnerin und dementsprechend nicht passivlegitimiert sei.
Die Revision der Klägerin vor dem BGH hatte nun Erfolg.
Die Gründe:
Die beklagte Lohnausgleichskasse ist die richtige Anfechtungsgegnerin.
Bei der Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Steuern ist die Einzugsstelle insoweit Anfechtungsgegnerin, als die Mittel von ihr im Innenverhältnis an einen anderen Rechtsträger abzuführen sind. Wesentlicher Grund hierfür ist, dass im Außenverhältnis der Einzugsstelle zu dem Abgabenschuldner dieser nur an die Einzugsstelle mit befreiender Wirkung leisten kann. Deshalb ist die Einzugsstelle wie eine Vollrechtsinhaberin anzusehen.
Anders verhält es sich jedoch, wenn die Empfangszuständigkeit des Leistungsempfängers erst durch eine Verfügung des Forderungsinhabers - sei es eine Abtretung oder die Erteilung einer Einziehungsermächtigung - begründet wird. Da in dieser Konstellation der ursprüngliche Forderungsinhaber aus freiem Entschluss einen Dritten mit dem treuhänderischen Forderungseinzug betraut hat, muss er sich weiterhin als Leistungsempfänger behandeln lassen.
So liegen die Dinge hier: Es geht um die Abführung der Winterbeschäftigungsumlage, aus der die ergänzenden Leistungen nach § 102 SGB III einschließlich der Verwaltungskosten und der sonstigen Kosten gedeckt werden (§ 354 Satz 1 SGB III). Die umlagefinanzierten Leistungen nach § 102 SGB III ergänzen das beitragsfinanzierte Saison-Kurzarbeitergeld. Arbeitgeber, auf welche die Tarifverträge über die gemeinsamen Einrichtungen oder Ausgleichskassen Anwendung finden, sind gemäß § 356 Abs. 1 Satz 1 SGB III verpflichtet, die Winterbeschäftigungsumlage über die gemeinsame Einrichtung ihres Wirtschaftszweigs oder über eine Ausgleichskasse abzuführen. Die gemeinsame Einrichtung oder Ausgleichskasse führt die eingezogene Umlage an die Bundesagentur für Arbeit ab. Hierzu kann ein vereinfachtes Abrechnungsverfahren vereinbart werden (§ 356 Abs. 1 Satz 4 SGB III). Die Abführung der Winterbeschäftigungsumlage über gemeinsame Einrichtung oder Ausgleichskasse dient der Verwaltungsvereinfachung. Vor diesem Hintergrund dürfen nur die Arbeitgeber direkt an die Bundesagentur für Arbeit zahlen, auf welche die Tarifverträge über die gemeinsamen Einrichtungen oder Ausgleichskassen keine Anwendung finden (§ 356 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Diese Arbeitgeber haben der Bundesagentur für Arbeit die infolge der Direktzahlung entstehenden Mehraufwendungen pauschal zu ersetzen (§ 356 Abs. 2 Satz 2 SGB III).
Daraus folgt, dass ein Arbeitgeber, auf den, wie im Streitfall auf die Schuldnerin, der entsprechende Tarifvertrag Anwendung findet, die Winterbeschäftigungsumlage mit befreiender Wirkung nur an die Beklagte abführen kann. Dies beruht nicht auf einer Verfügung und damit einer freien Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit als der eigentlich Berechtigten, sondern auf gesetzlicher Anordnung.
Insolvenzanfechtungsrechtlich ist die Beklagte vor diesem Hintergrund wie eine Vollrechtsinhaberin anzusehen. Sie ist deshalb zur Rückgewähr einer in anfechtbarer Weise an sie abgeführten Winterbeschäftigungsumlage verpflichtet.
Daran ändert nichts, dass nicht die Beklagte, sondern die Bundesagentur für Arbeit tätig wird, wenn eine zwangsweise Beitreibung der Umlage erforderlich erscheint.
Die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind erfüllt. Die streitbefangene Zahlung ist im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Die durch die Zahlung erlangte Befriedigung war inkongruent. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist eine während des Anfechtungszeitraums von drei Monaten der Deckungsanfechtung (§§ 130, 131 InsO) im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheit oder Befriedigung als inkongruent anzusehen. Eine inkongruente Deckung liegt auch dann vor, wenn der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat. Die durch die Zahlung der Schuldnerin an das Hauptzollamt erlangte Deckung war demnach inkongruent.
BGH online
Die Klägerin ist Verwalterin in einem im Dezember 2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin war ein Betrieb des Dachdeckerhandwerks und beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer. Sie war zur Entrichtung der Winterbeschäftigungsumlage verpflichtet, die sie über die beklagte Lohnausgleichskasse abführte. Nachdem die Schuldnerin die Umlage für März 2015 nicht entrichtet hatte, erließ die Bundesagentur für Arbeit einen Leistungsbescheid.
Im Oktober 2015 zahlte die Schuldnerin die offene Umlage an das Hauptzollamt, das zwischenzeitlich mit der Vollstreckung beauftragt worden war. Das Hauptzollamt leitete die bei ihm eingegangene Zahlung an die Beklagte weiter. Die Beklagte führte die Umlage an die Bundesagentur ab.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Zahlung der Umlage sei ggü. der beklagten Lohnausgleichskasse als inkongruente Deckung anfechtbar. AG und LG wiesen die Klage ab, weil die Beklagte nicht die richtige Anfechtungsgegnerin und dementsprechend nicht passivlegitimiert sei.
Die Revision der Klägerin vor dem BGH hatte nun Erfolg.
Die Gründe:
Die beklagte Lohnausgleichskasse ist die richtige Anfechtungsgegnerin.
Bei der Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Steuern ist die Einzugsstelle insoweit Anfechtungsgegnerin, als die Mittel von ihr im Innenverhältnis an einen anderen Rechtsträger abzuführen sind. Wesentlicher Grund hierfür ist, dass im Außenverhältnis der Einzugsstelle zu dem Abgabenschuldner dieser nur an die Einzugsstelle mit befreiender Wirkung leisten kann. Deshalb ist die Einzugsstelle wie eine Vollrechtsinhaberin anzusehen.
Anders verhält es sich jedoch, wenn die Empfangszuständigkeit des Leistungsempfängers erst durch eine Verfügung des Forderungsinhabers - sei es eine Abtretung oder die Erteilung einer Einziehungsermächtigung - begründet wird. Da in dieser Konstellation der ursprüngliche Forderungsinhaber aus freiem Entschluss einen Dritten mit dem treuhänderischen Forderungseinzug betraut hat, muss er sich weiterhin als Leistungsempfänger behandeln lassen.
So liegen die Dinge hier: Es geht um die Abführung der Winterbeschäftigungsumlage, aus der die ergänzenden Leistungen nach § 102 SGB III einschließlich der Verwaltungskosten und der sonstigen Kosten gedeckt werden (§ 354 Satz 1 SGB III). Die umlagefinanzierten Leistungen nach § 102 SGB III ergänzen das beitragsfinanzierte Saison-Kurzarbeitergeld. Arbeitgeber, auf welche die Tarifverträge über die gemeinsamen Einrichtungen oder Ausgleichskassen Anwendung finden, sind gemäß § 356 Abs. 1 Satz 1 SGB III verpflichtet, die Winterbeschäftigungsumlage über die gemeinsame Einrichtung ihres Wirtschaftszweigs oder über eine Ausgleichskasse abzuführen. Die gemeinsame Einrichtung oder Ausgleichskasse führt die eingezogene Umlage an die Bundesagentur für Arbeit ab. Hierzu kann ein vereinfachtes Abrechnungsverfahren vereinbart werden (§ 356 Abs. 1 Satz 4 SGB III). Die Abführung der Winterbeschäftigungsumlage über gemeinsame Einrichtung oder Ausgleichskasse dient der Verwaltungsvereinfachung. Vor diesem Hintergrund dürfen nur die Arbeitgeber direkt an die Bundesagentur für Arbeit zahlen, auf welche die Tarifverträge über die gemeinsamen Einrichtungen oder Ausgleichskassen keine Anwendung finden (§ 356 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Diese Arbeitgeber haben der Bundesagentur für Arbeit die infolge der Direktzahlung entstehenden Mehraufwendungen pauschal zu ersetzen (§ 356 Abs. 2 Satz 2 SGB III).
Daraus folgt, dass ein Arbeitgeber, auf den, wie im Streitfall auf die Schuldnerin, der entsprechende Tarifvertrag Anwendung findet, die Winterbeschäftigungsumlage mit befreiender Wirkung nur an die Beklagte abführen kann. Dies beruht nicht auf einer Verfügung und damit einer freien Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit als der eigentlich Berechtigten, sondern auf gesetzlicher Anordnung.
Insolvenzanfechtungsrechtlich ist die Beklagte vor diesem Hintergrund wie eine Vollrechtsinhaberin anzusehen. Sie ist deshalb zur Rückgewähr einer in anfechtbarer Weise an sie abgeführten Winterbeschäftigungsumlage verpflichtet.
Daran ändert nichts, dass nicht die Beklagte, sondern die Bundesagentur für Arbeit tätig wird, wenn eine zwangsweise Beitreibung der Umlage erforderlich erscheint.
Die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind erfüllt. Die streitbefangene Zahlung ist im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Die durch die Zahlung erlangte Befriedigung war inkongruent. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist eine während des Anfechtungszeitraums von drei Monaten der Deckungsanfechtung (§§ 130, 131 InsO) im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheit oder Befriedigung als inkongruent anzusehen. Eine inkongruente Deckung liegt auch dann vor, wenn der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat. Die durch die Zahlung der Schuldnerin an das Hauptzollamt erlangte Deckung war demnach inkongruent.