01.08.2022

Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mit anderen Mitteln als einer Liquiditätsbilanz

Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO muss nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern kann auch mit anderen Mitteln dargelegt werden. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass die Zahlungsunfähigkeit auch auf andere Weise dargelegt werden kann als durch eine solche Zeitraumbetrachtung.

BGH v. 28.6.2022 - II ZR 112/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 1.5.2014 über das Vermögen der E. GmbH (Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren. Der Beklagte war Geschäftsführer der Schuldnerin. Gesellschafter der Schuldnerin waren die M. GmbH zu 90 % und der Beklagte zu 10 %. Am 6.10.2009 schloss die Schuldnerin mit der M. GmbH einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, dem die Gesellschafterversammlung der Schuldnerin am 14.10.2009 zustimmte.

Die Schuldnerin gehörte der M. -Unternehmensgruppe an. Die M. GmbH als Muttergesellschaft war u.a. zu 100 % an der M. W. & T. GmbH, zu 100 % an der E. E. GmbH und zu 90 % an der E. S. GmbH beteiligt. Die Gesellschaften der M. -Gruppe, darunter die Schuldnerin und die M. GmbH, schlossen im April 2010 mit der C. bank AG einen Cash-Concentratingvertrag zur Einrichtung eines Cash-Pools, bei dem das Masterkonto bei der C. bank für die M. GmbH geführt wurde. Dabei wurde das Clearing-Verfahren taggenau durchgeführt, das heißt Guthaben der Tochtergesellschaften wurden am Ende eines jeden Arbeitstags an das Masterkonto übertragen (Upstream-Loan) und ein Soll der Tochterunternehmen wurde vom Masterkonto ausgeglichen (Downstream-Loan). Die Kündigungsfrist für den Cash-Concentratingvertrag betrug zwanzig Tage. Ergänzend hierzu schlossen die Unternehmen der M. -Gruppe eine Vereinbarung, nach der die Umsätze der abgebenden Konten an das Master-Konto als kurzfristige verzinsliche Darlehen angesehen wurden; die Zinsen wurden quartalsweise berechnet.

Am 13.11.2013 wurden vom Konto der Schuldnerin rd. 1,7 Mio. € auf das Konto der M. GmbH und von diesem Konto rd. 170.000 € auf das Konto der Schuldnerin übertragen. Am 30.12.2013 wurden weitere rd. 1,6 Mio. € vom Konto der Schuldnerin auf das Konto der Muttergesellschaft übertragen. Der Kläger behauptet, die Schuldnerin sei bereits am 31.12.2012 zahlungsunfähig gewesen und begehrt vom Beklagten Ersatz der Zahlungen vom 13.11.2013 und 30.12.2013 abzgl. der Gutschrift vom 13.11.2013 i.H.v. insgesamt rd. 3,1 Mio. € nebst Zinsen.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat die Anforderungen an den Vortrag des Klägers zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO überspannt. Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum 31.12.2012 kann nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht ausgeschlossen werden.

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die i.V.m. einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden. Von einer Zahlungsunfähigkeit ist regelmäßig auszugehen, wenn die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Der Kläger hat eine erhebliche Liquiditätslücke für einen Zeitraum von drei Wochen ab dem 31.12.2012 und damit die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Stichtag dargetan.

Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO muss nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern kann auch mit anderen Mitteln dargelegt werden. Es ist unerheblich, dass sich der Kläger zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit nicht auf eine Liquiditätsbilanz bezieht und deshalb Liquiditätslücke und Liquiditätsdeckungsgrad nicht unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Summe von Aktiva I und Aktiva II zur Summe von Passiva I und Passiva II errechnet. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass die Zahlungsunfähigkeit auch auf andere Weise dargelegt werden kann als durch eine solche Zeitraumbetrachtung. So wird es für zulässig erachtet, die Zahlungsunfähigkeit durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag in Verbindung mit einem Finanzplan für die auf den Stichtag folgenden drei Wochen, in dem tagesgenau Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt werden, darzutun. Es spricht auch nichts dagegen, zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl aufzustellen, in denen ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keinem der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tag die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann.

Dies vorausgesetzt, hat der Kläger seiner Darlegungslast genügt. Er hat für die nach seiner Behauptung am Stichtag verfügbaren Mittel und fälligen Verbindlichkeiten in der Klageschrift auf einen vorgelegten Bericht der P. Wirtschaftsprüfung GmbH Bezug genommen und diesen erläutert. Er hat vorgetragen, dass am 31.12.2012 verfügbaren Geldmitteln der Schuldnerin i.H.v. rd. 550.000 € fällige Verbindlichkeiten i.H.v. rd. 1,2 Mio. € gegenübergestanden und eine Unterdeckung i.H.v. 54,8 % bestanden habe. Weiter hat er vorgetragen, dass am 7.1.2013 den liquiden Mitteln i.H.v. rd. 930.000 € Verbindlichkeiten i.H.v. rd. 1,7 Mio. € gegenübergestanden und eine Unterdeckung i.H.v. 44,3 % bestanden habe, dass am 16.1.2013 den liquiden Mitteln i.H.v. rd. 470.000 € Verbindlichkeiten i.H.v. rd. 1,3 Mio. € gegenübergestanden und eine Unterdeckung i.H.v. 62,7 % bestanden habe, sowie, dass am 21.1.2013 den liquiden Mitteln i.H.v. rd. 320.000 € fällige Verbindlichkeiten i.H.v. rd. 590.000 € gegenübergestanden und eine Unterdeckung i.H.v. 45,7 % bestanden habe.

Dazu hat der Kläger unter Bezugnahme auf den Bericht der P. Wirtschaftsprüfung GmbH ausgeführt, dass er dabei jeweils die volle nicht ausgeschöpfte Kreditlinie der Poolführerin gegenüber der den Cash-Pool verwaltenden C. bank zugunsten der Schuldnerin als deren verfügbare Liquidität berücksichtigt habe. Auf der Grundlage dieser von ihm über einen Zeitraum von drei Wochen vorgelegten vier Liquiditätsstatus hat der Kläger behauptet, dass am 31.12.2012 eine nicht nur unerhebliche, sondern 54,8 % betragende Liquiditätslücke bestanden und auch nicht nur eine Zahlungsstockung vorgelegen habe, weil diese Lücke auch innerhalb der nächsten drei Wochen nicht so weit habe zurückgeführt werden können, dass nur noch eine unerhebliche Lücke bestanden habe, sondern diese am 21.1.2013 immer noch 45,7 % betragen habe.

Damit hat der Kläger die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin dargelegt. Die vom Kläger für einen Zeitraum von drei Wochen vorgetragene, 40 % nicht unterschreitende Unterdeckung der liquiden Mittel zu den fälligen Forderungen ist weder unerheblich noch vorübergehend.

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Aufsatz:

Die Vorsatzanfechtung im Wertungssystem der Insolvenzanfechtung
Fabian Klinck, ZIP 2022, 1357

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