Dieselskandal: Zur sekundären Darlegungslast des Fahrzeugherstellers hinsichtlich der Verantwortlichkeiten im Unternehmen
BGH v. 19.10.2021 - VI ZR 148/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Motorenherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch. Die - seit den 1980er Jahren in Deutschland lebende - Klägerin erwarb im Oktober 2011 bei einem Autohändler in Prag einen PKW Skoda Yeti zu einem Preis von rd. 640.000 tschechischen Kronen (umgerechnet rd. 28.000 €). Der Kaufpreis wurde von der Klägerin über deren tschechisches Konto finanziert. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Die die Abgasrückführung des Motors steuernde Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird, und schaltet in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß. Das Fahrzeug wurde in die Schadstoffklasse Euro 5 eingeordnet, weil die nach dieser Abgasnorm geltenden Stickoxid-Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden.
Das Kraftfahrt-Bundesamt erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2015 im Wege nachträglicher Nebenbestimmung zu den jeweils erteilten Typgenehmigungen, die Abschalteinrichtung zu entfernen und "geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftmäßigkeit" zu ergreifen. Nachdem die für Fahrzeuge der Marke Skoda zuständige Typgenehmigungsbehörde das Software-Update für das streitgegenständliche Fahrzeug freigegeben hatte, ließ die Klägerin das Update durchführen. Die Klägerin hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises (beziffert mit Klageerhebung in Euro) Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, zudem die Zahlung von Deliktszinsen, den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie die Feststellung des Annahmeverzugs beantragt.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht verneint werden.
Entgegen der Auffassung des OLG ist das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte traf vorliegend die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Die Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick der Klägerin entziehen. Demgegenüber war der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar. Mit der pauschalen Behauptung, alles Zumutbare und Mögliche getan zu haben, um die tatsächlichen Geschehnisse aufzuklären, hat die Beklagte dieser ihr obliegenden sekundären Darlegungslast erkennbar nicht genügt. Es bedurfte insoweit keiner näheren Ausführungen durch die Klägerin, welche Aufklärungsschritte der Beklagten darüber hinaus noch zumutbar und möglich gewesen wären.
Mit der Begründung des OLG kann zudem der für einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden nicht verneint werden. Ein Schaden i.S.d. § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen (Senatsurteile vom 26.1.2021 - VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 21; vom 30.7.2020 - VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 21). Nach deren Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort. Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden liegt damit nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Die angegriffene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar, § 561 ZPO.
Die Klage ist nicht schon deshalb unbegründet, weil sie von vornherein nur auf Zahlung in tschechischen Kronen hätte gerichtet werden können, da der Schadensersatzanspruch die Klägerin - die das in Prag gekaufte Fahrzeug mit tschechischen Kronen über ihr tschechisches Bankkonto finanziert habe - so stellen solle, als hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Da die Klägerin einen solchen Anspruch nicht geltend mache, könne er ihr nach § 308 ZPO auch nicht zugesprochen werden, da es sich hierbei um ein aliud gegenüber dem auf Zahlung in Euro lautenden Klageantrag handele.
Bei dem geltend gemachten Schadensersatz handelt es sich um eine Geldwertschuld und nicht um eine (unechte) Fremdwährungsschuld i.S.d. § 244 BGB, bei der zwar der Schuldner die Forderung in inländischer Währung begleichen, nicht aber der klagende Gläubiger eine solche Leistung beanspruchen kann. Schadensersatzansprüche gehören nicht zu den Ansprüchen, die von vornherein auf eine ausländische Währung lauten. Sie entstehen, soweit sie sich - wie hier - aus deutschem Recht ergeben, in inländischer Währung. Der in ausländischer Währung ermittelte Schadensbetrag bildet bei einer auf Zahlung in inländischer Währung gerichteten Klage lediglich einen Rechnungsfaktor für die Schadenshöhe.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte als Motorenherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch. Die - seit den 1980er Jahren in Deutschland lebende - Klägerin erwarb im Oktober 2011 bei einem Autohändler in Prag einen PKW Skoda Yeti zu einem Preis von rd. 640.000 tschechischen Kronen (umgerechnet rd. 28.000 €). Der Kaufpreis wurde von der Klägerin über deren tschechisches Konto finanziert. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Die die Abgasrückführung des Motors steuernde Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird, und schaltet in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß. Das Fahrzeug wurde in die Schadstoffklasse Euro 5 eingeordnet, weil die nach dieser Abgasnorm geltenden Stickoxid-Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden.
Das Kraftfahrt-Bundesamt erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2015 im Wege nachträglicher Nebenbestimmung zu den jeweils erteilten Typgenehmigungen, die Abschalteinrichtung zu entfernen und "geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftmäßigkeit" zu ergreifen. Nachdem die für Fahrzeuge der Marke Skoda zuständige Typgenehmigungsbehörde das Software-Update für das streitgegenständliche Fahrzeug freigegeben hatte, ließ die Klägerin das Update durchführen. Die Klägerin hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises (beziffert mit Klageerhebung in Euro) Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, zudem die Zahlung von Deliktszinsen, den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie die Feststellung des Annahmeverzugs beantragt.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht verneint werden.
Entgegen der Auffassung des OLG ist das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte traf vorliegend die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei ihr getroffen und ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Die Fragen, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte, betreffen unternehmensinterne Abläufe und Entscheidungsprozesse, die sich der Kenntnis und dem Einblick der Klägerin entziehen. Demgegenüber war der Beklagten Vortrag hierzu möglich und zumutbar. Mit der pauschalen Behauptung, alles Zumutbare und Mögliche getan zu haben, um die tatsächlichen Geschehnisse aufzuklären, hat die Beklagte dieser ihr obliegenden sekundären Darlegungslast erkennbar nicht genügt. Es bedurfte insoweit keiner näheren Ausführungen durch die Klägerin, welche Aufklärungsschritte der Beklagten darüber hinaus noch zumutbar und möglich gewesen wären.
Mit der Begründung des OLG kann zudem der für einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB erforderliche Schaden nicht verneint werden. Ein Schaden i.S.d. § 826 BGB kann auch in einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen (Senatsurteile vom 26.1.2021 - VI ZR 405/19, ZIP 2021, 368 Rn. 21; vom 30.7.2020 - VI ZR 367/19, ZIP 2020, 1763 Rn. 21). Nach deren Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort. Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden liegt damit nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB. Die angegriffene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar, § 561 ZPO.
Die Klage ist nicht schon deshalb unbegründet, weil sie von vornherein nur auf Zahlung in tschechischen Kronen hätte gerichtet werden können, da der Schadensersatzanspruch die Klägerin - die das in Prag gekaufte Fahrzeug mit tschechischen Kronen über ihr tschechisches Bankkonto finanziert habe - so stellen solle, als hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Da die Klägerin einen solchen Anspruch nicht geltend mache, könne er ihr nach § 308 ZPO auch nicht zugesprochen werden, da es sich hierbei um ein aliud gegenüber dem auf Zahlung in Euro lautenden Klageantrag handele.
Bei dem geltend gemachten Schadensersatz handelt es sich um eine Geldwertschuld und nicht um eine (unechte) Fremdwährungsschuld i.S.d. § 244 BGB, bei der zwar der Schuldner die Forderung in inländischer Währung begleichen, nicht aber der klagende Gläubiger eine solche Leistung beanspruchen kann. Schadensersatzansprüche gehören nicht zu den Ansprüchen, die von vornherein auf eine ausländische Währung lauten. Sie entstehen, soweit sie sich - wie hier - aus deutschem Recht ergeben, in inländischer Währung. Der in ausländischer Währung ermittelte Schadensbetrag bildet bei einer auf Zahlung in inländischer Währung gerichteten Klage lediglich einen Rechnungsfaktor für die Schadenshöhe.
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