Haftung des Kommanditisten einer durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelösten Kommanditgesellschaft
BGH v. 3.12.2024 - II ZR 143/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beteiligungsgesellschaft MS "V. " und MS "S. " mbH & Co. KG (Schuldnerin), das am 30.4.2014 eröffnet wurde. Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war das Halten von Kommanditanteilen an zwei Schiffsgesellschaften, welche jeweils ein Vollcontainerschiff betrieben. Die Beklagte übernahm als Kommanditistin eine Einlagepflicht i.H.v. 20.000 €. Sie erhielt im Laufe der Jahre 2002 bis 2008 Ausschüttungen i.H.v. 10.800 €, die i.H.v. rd. 8.900 € nicht von Gewinnen der Schuldnerin gedeckt waren und von denen die Beklagte 5.000 € im Rahmen von Sanierungsbemühungen an die Gesellschaft zurückzahlte. Andere Kommanditisten zahlten an den Kläger insgesamt rd. 1.500 € zurück.
Im Insolvenzverfahren wurden Forderungen i.H.v. rd. 1,8 Mio. € zur Insolvenztabelle festgestellt. Dabei handelt es sich um die Haftungsvergütung der Komplementärin der Schuldnerin und um Rückforderungsansprüche gem. § 172 Abs. 4 HGB der beiden Schiffsgesellschaften. Der zu Nr. 18 der Insolvenztabelle festgestellten Forderung liegen Rückforderungsansprüche gem. § 172 Abs. 4 HGB i.H.v. rd. 1,1 Mio. € wegen Gewerbesteuerforderungen zu Grunde, die aufgrund der Tonnagebesteuerung der Schiffe nach deren Veräußerung durch den Kläger als Insolvenzverwalter der Schiffsgesellschaften im Jahr 2014 fällig wurden. Die freie Masse der Schuldnerin genügt nicht, sämtliche Verbindlichkeiten zu befriedigen, die Deckungslücke beträgt 90.000 €. Der Kläger begehrt mit seiner Klage u.a. Rückzahlung eines Teilbetrags der Ausschüttungen i.H.v. rd. 1.600 €.
Das AG gab der Klage insoweit statt; das LG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das LG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Haftung der Beklagten für die Forderungen gegen die Schuldnerin entsprechend § 161 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung (HGB a.F.) fünf Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft erlischt.
Die Reichweite der Haftung der Beklagten ist mangels besonderer gesetzlicher Regelung nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Haftungsrechts auf der Grundlage des vor dem Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 geltenden Rechts zu bestimmen, weil sämtliche Handlungen, die im vorliegenden Fall eine Haftung begründen könnten, vor diesem Zeitpunkt vorgenommen wurden.
Nach § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. ist die Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten auf die bis zum Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft beschränkt, wenn diese vor Ablauf von fünf Jahren fällig und gegen den Gesellschafter verfolgt werden. Der Gesetzgeber hat die Begrenzung der Nachhaftung damit umfassend geregelt und im Interesse der Rechtssicherheit unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen für alle Verbindlichkeiten einheitlich den Weg einer klar festgelegten Ausschlussfrist gewählt. Sinn dieser Regelung ist es in erster Linie zu vermeiden, dass ein ausgeschiedener Gesellschafter zu lange Zeit mit einer Haftung für Verbindlichkeiten belastet wird, obwohl er wegen seines Ausscheidens weder weiteren Einfluss auf die Gesellschaft nehmen noch von den Gegenleistungen und sonstigen Erträgen profitieren kann. Sinn ist es aber zugleich, einen Ausgleich zwischen diesem Anliegen und den Interessen der Gesellschaftsgläubiger zu schaffen. Die Ausschlussfrist von fünf Jahren soll daher unter Wahrung der berechtigten Gläubigerinteressen eine für den betroffenen Gesellschafter mit unüberschaubaren und nicht zumutbaren Risiken verbundene zeitlich unbegrenzte Haftung des ausscheidenden Gesellschafters insbesondere für Verbindlichkeiten aus langfristigen Schuldverhältnissen vermeiden.
Eine entsprechende Anwendung der Bestimmung in der Weise, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einem Ausscheiden gleichgestellt wird und die Haftung des Kommanditisten der Ausschlussfrist nach § 161 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. unterliegt, ist nicht veranlasst. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke aufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es kann unter Berücksichtigung des mit der Ausschlussfrist verfolgten Regelungsanliegens nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber in der Insolvenz der Gesellschaft die Haftung des Gesellschafters für Altverbindlichkeiten zeitlich entsprechend § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. begrenzen wollte.
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Kommentierung | HGB
§ 161 Begriff der KG; Anwendbarkeit der OHG-Vorschriften
Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 6. Aufl.
6. Aufl./Lfg. 09.2023
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Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beteiligungsgesellschaft MS "V. " und MS "S. " mbH & Co. KG (Schuldnerin), das am 30.4.2014 eröffnet wurde. Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war das Halten von Kommanditanteilen an zwei Schiffsgesellschaften, welche jeweils ein Vollcontainerschiff betrieben. Die Beklagte übernahm als Kommanditistin eine Einlagepflicht i.H.v. 20.000 €. Sie erhielt im Laufe der Jahre 2002 bis 2008 Ausschüttungen i.H.v. 10.800 €, die i.H.v. rd. 8.900 € nicht von Gewinnen der Schuldnerin gedeckt waren und von denen die Beklagte 5.000 € im Rahmen von Sanierungsbemühungen an die Gesellschaft zurückzahlte. Andere Kommanditisten zahlten an den Kläger insgesamt rd. 1.500 € zurück.
Im Insolvenzverfahren wurden Forderungen i.H.v. rd. 1,8 Mio. € zur Insolvenztabelle festgestellt. Dabei handelt es sich um die Haftungsvergütung der Komplementärin der Schuldnerin und um Rückforderungsansprüche gem. § 172 Abs. 4 HGB der beiden Schiffsgesellschaften. Der zu Nr. 18 der Insolvenztabelle festgestellten Forderung liegen Rückforderungsansprüche gem. § 172 Abs. 4 HGB i.H.v. rd. 1,1 Mio. € wegen Gewerbesteuerforderungen zu Grunde, die aufgrund der Tonnagebesteuerung der Schiffe nach deren Veräußerung durch den Kläger als Insolvenzverwalter der Schiffsgesellschaften im Jahr 2014 fällig wurden. Die freie Masse der Schuldnerin genügt nicht, sämtliche Verbindlichkeiten zu befriedigen, die Deckungslücke beträgt 90.000 €. Der Kläger begehrt mit seiner Klage u.a. Rückzahlung eines Teilbetrags der Ausschüttungen i.H.v. rd. 1.600 €.
Das AG gab der Klage insoweit statt; das LG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Das LG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Haftung der Beklagten für die Forderungen gegen die Schuldnerin entsprechend § 161 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung (HGB a.F.) fünf Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft erlischt.
Die Reichweite der Haftung der Beklagten ist mangels besonderer gesetzlicher Regelung nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Haftungsrechts auf der Grundlage des vor dem Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 geltenden Rechts zu bestimmen, weil sämtliche Handlungen, die im vorliegenden Fall eine Haftung begründen könnten, vor diesem Zeitpunkt vorgenommen wurden.
Nach § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. ist die Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten auf die bis zum Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft beschränkt, wenn diese vor Ablauf von fünf Jahren fällig und gegen den Gesellschafter verfolgt werden. Der Gesetzgeber hat die Begrenzung der Nachhaftung damit umfassend geregelt und im Interesse der Rechtssicherheit unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen für alle Verbindlichkeiten einheitlich den Weg einer klar festgelegten Ausschlussfrist gewählt. Sinn dieser Regelung ist es in erster Linie zu vermeiden, dass ein ausgeschiedener Gesellschafter zu lange Zeit mit einer Haftung für Verbindlichkeiten belastet wird, obwohl er wegen seines Ausscheidens weder weiteren Einfluss auf die Gesellschaft nehmen noch von den Gegenleistungen und sonstigen Erträgen profitieren kann. Sinn ist es aber zugleich, einen Ausgleich zwischen diesem Anliegen und den Interessen der Gesellschaftsgläubiger zu schaffen. Die Ausschlussfrist von fünf Jahren soll daher unter Wahrung der berechtigten Gläubigerinteressen eine für den betroffenen Gesellschafter mit unüberschaubaren und nicht zumutbaren Risiken verbundene zeitlich unbegrenzte Haftung des ausscheidenden Gesellschafters insbesondere für Verbindlichkeiten aus langfristigen Schuldverhältnissen vermeiden.
Eine entsprechende Anwendung der Bestimmung in der Weise, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einem Ausscheiden gleichgestellt wird und die Haftung des Kommanditisten der Ausschlussfrist nach § 161 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. unterliegt, ist nicht veranlasst. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke aufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es kann unter Berücksichtigung des mit der Ausschlussfrist verfolgten Regelungsanliegens nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber in der Insolvenz der Gesellschaft die Haftung des Gesellschafters für Altverbindlichkeiten zeitlich entsprechend § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. begrenzen wollte.
Kommentierung | HGB
§ 161 Begriff der KG; Anwendbarkeit der OHG-Vorschriften
Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock/Wöstmann, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 6. Aufl.
6. Aufl./Lfg. 09.2023
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