Handelsregister: Zur Berufung auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache
BGH v. 9.1.2024 - II ZR 220/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 €. Ihre Mehrheitsgesellschafterin, die C. GmbH, hielt hieran einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag von 16.250 €, die weitere Gesellschafterin, die B. GmbH & Co. KG, war mit einem Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag von 8.750 € an ihr beteiligt. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist "die Projektentwicklung im Bauhaupt- und Nebengewerk, Grundstücksvermittlung, Bauplanung- und Bauüberwachung, der Wohnungs- und Geschäftshausbau, Bauleistungen für Industrie und Industrieanlagen, Beratungsleistungen im Bauhaupt- und Nebengewerk und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte sowie der Erwerb, die Entwicklung, Vermietung, Verwaltung und der Verkauf von Grundstücken und der Betrieb gleichartiger oder ähnlicher Unternehmen (...)".
Im Jahr 2015 erwarb die Klägerin das bebaute Grundstück K. in B. und teilte dieses in 30 Gewerbe- und Wohneinheiten auf. Das Grundstück stellte den einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand der Klägerin dar. Der Geschäftsführer der Klägerin D. erklärte 2017 in einer als "Letter of guarantee" überschriebenen Urkunde gegenüber der Mehrheitsgesellschafterin, er werde keine Veräußerung, Belastung, vertragliche Bindung oder Vermögensschmälerung ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Klägerin vornehmen. Anfang 2018 betrieb die Mehrheitsgesellschafterin D. Abberufung als Geschäftsführer sowie die Einziehung des Geschäftsanteils der Minderheitsgesellschafterin und verhandelte mit D. über die Veräußerung des Grundstücks. In einem Vereinbarungsentwurf war ein Verkaufspreis von 16 Mio. € vorgesehen, von dem mindestens 9 Mio. € an die Mehrheitsgesellschafterin fließen sollten.
Auf einer von der Mehrheitsgesellschafterin auf den 14.6.2018 einberufenen Gesellschafterversammlung der Klägerin stimmte jene gegen die Stimmen der Minderheitsgesellschafterin, die Einberufungsmängel geltend machte, für die Abberufung des Geschäftsführers D. aus wichtigem Grund. Der Versammlungsleiter stellte im Anschluss das Zustandekommen des Beschlusses fest. Am 16.6.2018 verkaufte die Klägerin, vertreten durch D., sämtliche Gewerbeeinheiten und Eigentumswohnungen an die Beklagte zu einem Kaufpreis von 12,2 Mio. €. Zugunsten der Beklagten wurden Auflassungsvormerkungen ins Grundbuch eingetragen.
LG und KG wiesen die Klage auf Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkungen ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung kann die Abweisung der Klage keinen Bestand haben. Zwar hat der Geschäftsführer D. bei der Beurkundung des Kaufvertrags tatsächlich nicht mehr über organschaftliche Vertretungsmacht verfügt. Gleichwohl muss sich die Klägerin gem. § 15 Abs. 1 HGB so behandeln lassen, als habe die Vertretungsmacht beim Vertragsschluss noch fortbestanden.
Im Zeitpunkt der Beurkundung war D. nicht mehr vertretungsberechtigt i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, weil seine Bestellung als Geschäftsführer auf der Gesellschafterversammlung am 14.6.2018 wirksam widerrufen worden war (§ 38 Abs. 1 GmbHG). Die Abberufung des Geschäftsführers bleibt zwar ohne Wirkung, wenn der ihr zugrundeliegende Beschluss der Gesellschafterversammlung nichtig ist. Dies ist hier aber entgegen der Annahme des KG nicht der Fall. Allerdings muss sich die Klägerin so behandeln lassen, als bestehe die Vertretungsmacht D. fort. Das KG hat zu Recht angenommen, dass sich die Beklagte auf § 15 Abs. 1 HGB berufen kann.
Die Abberufung des Geschäftsführers ist nach § 39 Abs. 1 Fall 2 GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden und dort einzutragen. Solange die Eintragung nicht erfolgt ist, wird der Rechtsverkehr durch § 15 Abs. 1 HGB geschützt. Ob die Annahme des KG, bereits die von der Klägerin behauptete Kenntnis der Beklagten von der Existenz des in seiner Wirksamkeit streitigen Abberufungsbeschlusses sei nicht bewiesen, den Angriffen der Revision standhält, vor allem, ob das KG diese Feststellung hätte treffen dürfen, ohne den Zeugen D. erneut zu vernehmen (§ 398 Abs. 1 ZPO), kann hier auf sich beruhen. Denn die Beklagte verlöre, wie das KG in seiner Alternativbegründung mit Recht angenommen hat, auch im Fall unterstellter Kenntnis des Abberufungsbeschlusses nicht den Schutz des § 15 Abs. 1 HGB.
Die Würdigung des KG, der Hinweis D. auf diesbezügliche Meinungsverschiedenheiten gegenüber der Beklagten im Verbund mit seiner Einschätzung, die Abberufung sei unwirksam, schlösse ihre Kenntnis von der Tatsache der Abberufung i.S.v. § 15 Abs. 1 HGB aus, verkennt weder den Begriff der Kenntnis noch begegnet die tatrichterliche Würdigung der festgestellten Umstände des Einzelfalls revisionsrechtlichen Bedenken. Die Berufung auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache ist dem Dritten gem. § 15 Abs. 1 HGB nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache, hier also der wirksamen Abberufung, hat. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen demgegenüber nicht.
Einer rechtlichen Prüfung nicht stand hält allerdings die Annahme des KG, ein Missbrauch der Vertretungsmacht lasse sich nicht feststellen. Zwar hat das KG zu Recht angenommen, dass der ehemalige Geschäftsführer der Klägerin mit dem Abschluss des Grundstückskaufvertrags ohne Gesellschafterbeschluss die im Innenverhältnis bestehenden Grenzen seiner nach § 15 Abs. 1 HGB als fortbestehend anzusehenden Vertretungsmacht missachtet hat; die weitere Annahme des KG, die Missachtung dieser Grenzen schlage hier nach den Umständen des Falls nicht auf das Außenverhältnis durch, beruht indes auf einem Rechtsfehler. Die Geschäftsführer vertreten die Gesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gerichtlich und außergerichtlich. Diese Vertretungsmacht ist grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 37 Abs. 2 GmbHG). Schranken ergeben sich aber - auch mit Wirkung gegenüber Dritten (§ 242 BGB) - aus den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht.
Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB. Die Rechtsscheinregeln bewirken, dass sich derjenige, der den Rechtsschein zurechenbar gesetzt hat, dem gutgläubigen Dritten gegenüber, der sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf die wahre Rechtslage berufen kann. Aus Rechtsscheingrundsätzen können indes keine weitergehenden Rechte hergeleitet werden, als sie bestünden, wenn der Rechtsschein zuträfe. Das KG ist im Ergebnis noch zutreffend davon ausgegangen, dass D. als Geschäftsführer nach den Umständen des vorliegenden Falls dazu verpflichtet gewesen wäre, vor Abschluss des Kaufvertrags mit der Beklagten einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss herbeizuführen. Das hat er nicht getan und damit die im Innenverhältnis maßgeblichen Grenzen seiner nach Rechtsscheingrundsätzen als fortbestehend fingierten organschaftlichen Vertretungsmacht überschritten. Nicht frei von Rechtsfehlern ist aber die Begründung des KG, mit der es einen für die Beklagte erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht verneint hat.
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Die Klägerin ist eine GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 €. Ihre Mehrheitsgesellschafterin, die C. GmbH, hielt hieran einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag von 16.250 €, die weitere Gesellschafterin, die B. GmbH & Co. KG, war mit einem Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag von 8.750 € an ihr beteiligt. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist "die Projektentwicklung im Bauhaupt- und Nebengewerk, Grundstücksvermittlung, Bauplanung- und Bauüberwachung, der Wohnungs- und Geschäftshausbau, Bauleistungen für Industrie und Industrieanlagen, Beratungsleistungen im Bauhaupt- und Nebengewerk und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte sowie der Erwerb, die Entwicklung, Vermietung, Verwaltung und der Verkauf von Grundstücken und der Betrieb gleichartiger oder ähnlicher Unternehmen (...)".
Im Jahr 2015 erwarb die Klägerin das bebaute Grundstück K. in B. und teilte dieses in 30 Gewerbe- und Wohneinheiten auf. Das Grundstück stellte den einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand der Klägerin dar. Der Geschäftsführer der Klägerin D. erklärte 2017 in einer als "Letter of guarantee" überschriebenen Urkunde gegenüber der Mehrheitsgesellschafterin, er werde keine Veräußerung, Belastung, vertragliche Bindung oder Vermögensschmälerung ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Klägerin vornehmen. Anfang 2018 betrieb die Mehrheitsgesellschafterin D. Abberufung als Geschäftsführer sowie die Einziehung des Geschäftsanteils der Minderheitsgesellschafterin und verhandelte mit D. über die Veräußerung des Grundstücks. In einem Vereinbarungsentwurf war ein Verkaufspreis von 16 Mio. € vorgesehen, von dem mindestens 9 Mio. € an die Mehrheitsgesellschafterin fließen sollten.
Auf einer von der Mehrheitsgesellschafterin auf den 14.6.2018 einberufenen Gesellschafterversammlung der Klägerin stimmte jene gegen die Stimmen der Minderheitsgesellschafterin, die Einberufungsmängel geltend machte, für die Abberufung des Geschäftsführers D. aus wichtigem Grund. Der Versammlungsleiter stellte im Anschluss das Zustandekommen des Beschlusses fest. Am 16.6.2018 verkaufte die Klägerin, vertreten durch D., sämtliche Gewerbeeinheiten und Eigentumswohnungen an die Beklagte zu einem Kaufpreis von 12,2 Mio. €. Zugunsten der Beklagten wurden Auflassungsvormerkungen ins Grundbuch eingetragen.
LG und KG wiesen die Klage auf Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkungen ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der gegebenen Begründung kann die Abweisung der Klage keinen Bestand haben. Zwar hat der Geschäftsführer D. bei der Beurkundung des Kaufvertrags tatsächlich nicht mehr über organschaftliche Vertretungsmacht verfügt. Gleichwohl muss sich die Klägerin gem. § 15 Abs. 1 HGB so behandeln lassen, als habe die Vertretungsmacht beim Vertragsschluss noch fortbestanden.
Im Zeitpunkt der Beurkundung war D. nicht mehr vertretungsberechtigt i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, weil seine Bestellung als Geschäftsführer auf der Gesellschafterversammlung am 14.6.2018 wirksam widerrufen worden war (§ 38 Abs. 1 GmbHG). Die Abberufung des Geschäftsführers bleibt zwar ohne Wirkung, wenn der ihr zugrundeliegende Beschluss der Gesellschafterversammlung nichtig ist. Dies ist hier aber entgegen der Annahme des KG nicht der Fall. Allerdings muss sich die Klägerin so behandeln lassen, als bestehe die Vertretungsmacht D. fort. Das KG hat zu Recht angenommen, dass sich die Beklagte auf § 15 Abs. 1 HGB berufen kann.
Die Abberufung des Geschäftsführers ist nach § 39 Abs. 1 Fall 2 GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden und dort einzutragen. Solange die Eintragung nicht erfolgt ist, wird der Rechtsverkehr durch § 15 Abs. 1 HGB geschützt. Ob die Annahme des KG, bereits die von der Klägerin behauptete Kenntnis der Beklagten von der Existenz des in seiner Wirksamkeit streitigen Abberufungsbeschlusses sei nicht bewiesen, den Angriffen der Revision standhält, vor allem, ob das KG diese Feststellung hätte treffen dürfen, ohne den Zeugen D. erneut zu vernehmen (§ 398 Abs. 1 ZPO), kann hier auf sich beruhen. Denn die Beklagte verlöre, wie das KG in seiner Alternativbegründung mit Recht angenommen hat, auch im Fall unterstellter Kenntnis des Abberufungsbeschlusses nicht den Schutz des § 15 Abs. 1 HGB.
Die Würdigung des KG, der Hinweis D. auf diesbezügliche Meinungsverschiedenheiten gegenüber der Beklagten im Verbund mit seiner Einschätzung, die Abberufung sei unwirksam, schlösse ihre Kenntnis von der Tatsache der Abberufung i.S.v. § 15 Abs. 1 HGB aus, verkennt weder den Begriff der Kenntnis noch begegnet die tatrichterliche Würdigung der festgestellten Umstände des Einzelfalls revisionsrechtlichen Bedenken. Die Berufung auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache ist dem Dritten gem. § 15 Abs. 1 HGB nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache, hier also der wirksamen Abberufung, hat. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen demgegenüber nicht.
Einer rechtlichen Prüfung nicht stand hält allerdings die Annahme des KG, ein Missbrauch der Vertretungsmacht lasse sich nicht feststellen. Zwar hat das KG zu Recht angenommen, dass der ehemalige Geschäftsführer der Klägerin mit dem Abschluss des Grundstückskaufvertrags ohne Gesellschafterbeschluss die im Innenverhältnis bestehenden Grenzen seiner nach § 15 Abs. 1 HGB als fortbestehend anzusehenden Vertretungsmacht missachtet hat; die weitere Annahme des KG, die Missachtung dieser Grenzen schlage hier nach den Umständen des Falls nicht auf das Außenverhältnis durch, beruht indes auf einem Rechtsfehler. Die Geschäftsführer vertreten die Gesellschaft nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gerichtlich und außergerichtlich. Diese Vertretungsmacht ist grundsätzlich unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 37 Abs. 2 GmbHG). Schranken ergeben sich aber - auch mit Wirkung gegenüber Dritten (§ 242 BGB) - aus den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht.
Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB. Die Rechtsscheinregeln bewirken, dass sich derjenige, der den Rechtsschein zurechenbar gesetzt hat, dem gutgläubigen Dritten gegenüber, der sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf die wahre Rechtslage berufen kann. Aus Rechtsscheingrundsätzen können indes keine weitergehenden Rechte hergeleitet werden, als sie bestünden, wenn der Rechtsschein zuträfe. Das KG ist im Ergebnis noch zutreffend davon ausgegangen, dass D. als Geschäftsführer nach den Umständen des vorliegenden Falls dazu verpflichtet gewesen wäre, vor Abschluss des Kaufvertrags mit der Beklagten einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss herbeizuführen. Das hat er nicht getan und damit die im Innenverhältnis maßgeblichen Grenzen seiner nach Rechtsscheingrundsätzen als fortbestehend fingierten organschaftlichen Vertretungsmacht überschritten. Nicht frei von Rechtsfehlern ist aber die Begründung des KG, mit der es einen für die Beklagte erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht verneint hat.
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