Juristische Personen: Zur Haftungszuweisung bei schadenstiftender unerlaubter Handlung im Rahmen eines Schneeballsystems
BGH v. 6.3.2025 - III ZR 137/24Der Kläger begehrt vom Beklagten die Feststellung einer Schadensersatzforderung zur Insolvenztabelle. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter in dem im April 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG (Schuldnerin). Ihr Vorstand war J. B. . Dieser war zudem persönlich haftender Gesellschafter der F. KGaA, über deren Vermögen ebenfalls am 1.4.2014 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Beide Gesellschaften gehörten ebenso wie die I. AG Ihr Kompetenzpartner zu den Unternehmen der sog. I.-Gruppe. J. B. und andere Personen - alle inzwischen rechtskräftig schuldig gesprochen - betrieben seit etwa Mitte der 2000er Jahre eine Unternehmensgruppe auf dem Gebiet der Finanzdienstleistung. Zentrale Gesellschaft war die F. KGaA. Das Geschäftsmodell sah den Ankauf von langfristigen Lebensversicherungspolicen am Zweitmarkt und deren Weiterführung vor, um bei Vertragsende jeweils an die Überschussbeteiligungen enthaltende Versicherungsleistung zu gelangen. Zur Deckung des sich hieraus ergebenden Finanzbedarfs gab die F. KGaA Orderschuldverschreibungen aus, die sie durch Vermittlung anderer Unternehmen der Gruppe an ein breites Publikum vertrieb.
Darüber hinaus erzielte die F. KGaA Einnahmen durch einen Gewinnabführungsvertrag mit der I. AG, deren Geschäftsgegenstand die Vermittlung von Finanzprodukten, insbesondere von Lebens- und Rentenversicherungen, war. Bereits Ende des Jahres 2007 stellte die F. KGaA das Geschäft am Zweitmarkt für Lebensversicherungen ein, war jedoch zur Deckung ihrer laufenden Kosten weiter auf die Finanzierung durch Orderschuldverschreibungen angewiesen. Mangels anderer externer Ertragsquellen konnten ab diesem Zeitpunkt die Zinsen für die bestehenden Orderschuldverschreibungen nur durch neue Abschlüsse gezahlt werden; schon weit vor dem Jahr 2011 erkannte J. B. , dass zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs die beständige Neueinwerbung von Kapital unerlässlich war und jede nicht ganz unerhebliche Unterbrechung der systembedingt notwendigen Zufuhr frischer Liquidität schnell zum Zusammenbruch des Systems führen konnte, mithin das Geschäft mit den Orderschuldverschreibungen zu einem "Schneeballsystem" degeneriert war.
J. B. erkannte spätestens im Laufe des Jahres 2009, dass das Geschäftsmodell der Unternehmen der I. -Gruppe nicht mehr tragfähig war und die Anleger über die tatsächliche Ertrags- und Finanzlage falsch informiert wurden. Ihm war ebenfalls bewusst, dass die F. KGaA kein nachhaltiges und ein prospektwidriges Geschäftsmodell betrieb und ihre Darstellung als ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen auf den bilanziellen Effekten durch die seitens der I. AG vereinnahmten Provisionen aus den Eigenverträgen beruhte. Diese Provisionseinnahmen der I. AG wiederum resultierten in nennenswertem Umfang aus der Weiterleitung von Vermittlungsprovisionen der P. AG, welche diese als Untervermittlerin von Eigenverträgen der F. KGaA erlangt hatte. Auch dies war J. B. , der jeweils selbst anordnete, welche Gesellschaft bei den Eigenverträgen als Vermittler auftrat, bekannt.
Der Kläger erwarb am 21.11.2011 Orderschuldverschreibungen der F. KGaA für 100.000 €. Er erhielt darauf Auszahlungen i.H.v. von insgesamt rd. 5.000 €. In Höhe der Differenz von rd. 95.000 € meldete er eine Schadensersatzforderung zur Insolvenztabelle an. Der Beklagte bestritt die Forderung. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Feststellungsklage nach den §§ 179 ff InsO, § 256 ZPO. Er meint, die Schuldnerin hafte ihm aufgrund eigener Handlungen, weil sie sich in ein betrügerisches Schneeballsystem mit Wissen und Wollen ihres rechtskräftig verurteilten Vorstands J. B. aktiv habe einbinden lassen und die eigentliche Täuschungshandlung der F. KGaA ihm gegenüber überhaupt erst ermöglicht, zumindest aber wesentlich erleichtert habe.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Schuldnerin haftet als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB) für den in unverjährter Zeit vom Kläger zur Tabelle angemeldeten Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 und 5 und § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie aus § 826 BGB, jeweils i.V.m. § 830, § 31 BGB.
Der im Berufungsurteil festgestellte Sachverhalt erfüllt in der Person von J. B. den Tatbestand des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs (§ 263 Abs. 1 und 5 StGB) und des Kapitalanlagebetrugs (§ 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Die Tatbestandsverwirklichung erfolgte in mittelbarer (Mit-)Täterschaft, weil J. B. und seine Mittäter ein betrügerisches Schneeballsystem organisierten, ohne selbst gegenüber den geschädigten Anlegern aufzutreten; den Kontakt mit den Anlegern besorgten gutgläubige Anlagevermittler, denen gegenüber in Seminaren die wahren wirtschaftlichen Hintergründe verschleiert worden waren. Da die beiden Straftatbestände Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind und J. B. zum Nachteil des Klägers außerdem eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung (§ 826 BGB) begangen hat, schuldet J. B. dem durch das von ihm mittäterschaftlich (§ 830 Abs. 1 BGB) betriebene Schneeballsystem geschädigten Kläger Schadensersatz.
Aber auch die Schuldnerin haftet gem. § 31 BGB für den Schaden des Klägers, für den ihr Vorstand J. B. verantwortlich ist. Nach § 31 BGB, der für alle juristischen Personen gilt, ist die juristische Person für den Schaden verantwortlich, den ein Organ oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. § 31 BGB ist keine haftungsbegründende, sondern eine haftungszuweisende Norm, die einen Haftungstatbestand voraussetzt. Über § 31 BGB wird eine unerlaubte Handlung des Organs lediglich der juristischen Person als Haftungsmasse zugerechnet. Unerlässliche Voraussetzung dieser Zurechnung ist es, dass das Organ, also eine natürliche Person, eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen hat. Die juristische Person haftet, wenn die natürliche Person insoweit als ihr Organ in dem ihm zugewiesenen Wirkungskreis aufgetreten ist; das Organ muss in "amtlicher" Eigenschaft gehandelt haben. Die juristische Person haftet nicht, wenn die natürliche Person ausschließlich als Organ einer anderen juristischen Person tätig geworden ist, selbst wenn diese zum selben Konzern gehört.
Sind Organe verschiedener juristischer Personen mit ein und derselben natürlichen Person besetzt, kann die Haftung dieser verschiedenen juristischen Personen ausgehend von diesem Normzweck nicht zweifelhaft sein, wenn diese natürliche Person als Täter eine aus mehreren Teilakten bzw. Tatbeiträgen bestehende unerlaubte Handlung in unterschiedlichen "amtlichen" Eigenschaften begangen hat, das heißt bei einzelnen Teilakten oder Tatbeiträgen der unerlaubten Handlung als Organ der juristischen Person A, bei weiteren als Organ der juristischen Person B und bei wiederum anderen als Organ der juristischen Person C usw. gehandelt hat. In der Rechtsprechung des BGH ist daher auch schon seit langem anerkannt, dass eine Verrichtung gleichzeitig Organhandlung für mehrere Rechtspersonen sein kann, und bereits angelegt, dass mehrere juristische Personen für das Handeln ihres - personenidentischen - Organs zum Schadensersatz verpflichtet sein können. Sie haften dann als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB). Über die Zuordnung entscheidet in solchen Fällen nicht der innere Wille des Handelnden, sondern die Sicht eines objektiven Beurteilers.
Das OLG hat danach mit Recht angenommen, dass dann, wenn sich ein Tatgeschehen - wie hier das Betreiben und Aufrechterhalten eines Schneeballsystems in mittelbarer (Mit-)Täterschaft - aus mehreren Handlungen desselben Beteiligten zusammensetzt, jede von ihnen als Tatbeitrag relevant und derjenigen juristischen Person zuzurechnen ist, als deren Organ die handelnde natürliche Person tätig wurde. Infolgedessen haftet die F. KGaA, soweit die Verantwortlichkeit von J. B. für die Erstellung des unrichtigen Prospekts oder die Organisation des Vertriebs der Orderschuldverschreibungen der F. KGaA in Rede steht, weil diese Tätigkeiten seiner Funktion als Organ der F. KGaA zuzuordnen sind. Darüber hinaus rechtfertigt die Feststellung des OLG, dass J. B. die Schuldnerin dazu einsetzte, aktiv als Vermittlerin von Eigengeschäften der F. KGaA ein Provisionskarussell in Gang zu setzen, um entgegen der Realität ein positives Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens vorspiegeln zu können, (auch) die Haftung der Schuldnerin für den mit dem Erwerb der Orderschuldverschreibungen im Jahre 2011 eingetretenen Schaden des Klägers. Beide Gesellschaften haften als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB), so dass es auf Umfang und Gewicht der einzelnen von J. B. in "amtlicher" Eigenschaft als Organ der Schuldnerin begangenen - Handlungen erst ankommt, wenn ein Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 BGB) vorzunehmen ist.
Entgegen der Ansicht der Revision ist es für eine Haftung der juristischen Person über § 31 BGB nicht stets erforderlich, dass deren Organ gegenüber dem Geschädigten in Erscheinung trat. Wie das OLG richtig erkannt hat, fehlt es an einer unmittelbaren Beziehung des Täters (Organs) zum Geschädigten regelmäßig dann, wenn dessen Schädigung in mittelbarer Täterschaft erfolgt, wie dies gerade bei Schneeballsystemen häufig der Fall ist, bei denen wie hier die geschädigten Anleger durch gutgläubige Vermittler geworben werden. Eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB kommt selbst dann in Betracht, wenn die Tatherrschaft des Handelnden dem Geschädigten verborgen bleibt. Die Haftung der juristischen Person nach § 31 BGB, die allein dem schadenstiftenden Verhalten ihres Organs folgt, setzt mithin einen unmittelbaren Kontakt desselben mit dem Geschädigten nicht voraus. Teilte man die gegenteilige Ansicht der Revision, schlösse dies eine Haftung der juristischen Person im Falle einer Schutzgesetzverwirklichung durch eines ihrer Organe als mittelbarer Täter von vornherein aus. Dafür besteht im Gesetz jedoch kein Anhalt.
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