07.01.2025

Rechtliche Prüfung der Billigkeit nach § 87 Abs. 2 AktG

Bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind insbesondere der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Vergütung sowie weiter zu berücksichtigen, in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist und ob er sie ggf. sogar pflichtwidrig herbeigeführt hat (Bestätigung von BGH v. 27.10.2015 - II ZR 296/14). Die Zurechenbarkeit der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft an den Vorstand ist keine Voraussetzung für die Herabsetzung seiner Bezüge, sondern ein wesentlicher Umstand bei der gebotenen Abwägung (Ergänzung zu BGH s.o.).

BGH v. 22.10.2024 - II ZR 97/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger schloss am 14.11.2019 mit der e. AG (Schuldnerin) einen Dienstvertrag über die Anstellung als Mitglied des Vorstands. Der Dienstvertrag sah den Dienstantritt am 1.1.2020 und eine feste jährliche Vergütung von 240.000 € sowie eine ergebnisabhängige Sondervergütung (Tantieme) vor. Im Hinblick auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Schuldnerin wurde eine Mindesttantieme für die Geschäftsjahre 2020 und 2021 vereinbart.

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 23.12.2019 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte kündigte mit Schreiben vom 30.12.2019 den Dienstvertrag zum 31.3.2020 und teilte dem Kläger am 3.1.2020 mit, dass keine Einsatzmöglichkeit für ihn bestehe. Am 20.1.2020 teilte der Beklagte dem Kläger weiter mit, seine Vergütung werde unter Ausfall der Tantieme auf 8.000 € mtl. herabgesetzt. Zum 5.2.2020 wurde der Kläger, dem die herabgesetzte Vergütung ausgezahlt wurde, von der Dienstpflicht freigestellt. Der Kläger meint, die Herabsetzung der Vergütung sei nicht gerechtfertigt. Er verlangt vom Beklagten die Zahlung weiterer 75.600 € (36.000 € Festvergütung und 39.600 € Tantieme) nebst Zinsen.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Annahme des OLG, dass die Weitergewährung der Vorstandsbezüge unbillig für die Schuldnerin gewesen wäre, hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Das OLG legt nicht den richtigen Prüfungsansatz zu Grunde.

Bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit i.S.d. § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind insbesondere der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Vergütung und weiter zu berücksichtigen, in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist und ob er sie ggf. sogar pflichtwidrig herbeigeführt hat. Die Feststellung der Unbilligkeit für die Gesellschaft gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung, die den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren hat und darauf zu beschränken ist, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und abgewogen worden sind.

Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des OLG, die Unbilligkeit der Weitergewährung der Bezüge nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG könne nicht allein deswegen verneint werden, weil die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft ohne Zutun des Klägers eingetreten sei. Die Frage, ob eine Herabsetzung der Vergütung ausgeschlossen ist, wenn dem Vorstand die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht zugerechnet werden kann, ist umstritten. Nach einer Ansicht ist von einer Unbilligkeit i.S.v. § 87 Abs. 2 AktG nur auszugehen, wenn der Vorstand einen qualifizierten, ihm individuell zurechenbaren Beitrag zur Verschlechterung der Gesellschaftslage geleistet hat. Dabei wird teilweise hervorgehoben, an eine solche Zurechnung seien nur geringe Anforderungen zu stellen. Teilweise wird auch ein bloßer zeitlicher Zusammenhang mit der Tätigkeit des Vorstandsmitglieds für ausreichend und erforderlich gehalten. Nach anderer Ansicht ist ein Zurechnungszusammenhang zwischen der Verschlechterung der Gesellschaftslage und der Vorstandstätigkeit demgegenüber keine zwingende Voraussetzung für die Herabsetzung der Vorstandsbezüge, sondern vielmehr ein nach dem Gewicht des Beitrags zu berücksichtigender Aspekt im Rahmen der Gesamtabwägung.

Das Urteil des erkennenden Senats vom 27.10.2015 (II ZR 296/14) wird teilweise dahin verstanden, dass die Zurechenbarkeit der Vermögensverschlechterung ein wesentlicher Aspekt der gebotenen Abwägung sei, teilweise wird auch angenommen, die persönliche Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung sei Voraussetzung für die Annahme der Unbilligkeit. Das OLG ist zutreffend von der zuerst genannten Ansicht ausgegangen. Die Zurechenbarkeit der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft an den Vorstand ist keine Voraussetzung für die Herabsetzung seiner Bezüge, sondern ein wesentlicher Umstand bei der gebotenen Abwägung.

Die vom OLG danach im Ausgangspunkt zutreffend vorgenommene Gesamtabwägung zu der Frage, ob die Weitergewährung der Vorstandbezüge unbillig für die Gesellschaft gewesen wäre, hält einer rechtlichen Prüfung allerdings nicht stand. Die Würdigung des OLG legt nicht den richtigen Prüfungsansatz zu Grunde, denn sie stellt entscheidend darauf ab, ob die vorgenommene Herabsetzung der Vorstandsvergütung unbillig ist. Für die Abwägung kommt es aber maßgeblich darauf an, ob die Beibehaltung der ursprünglichen Vorstandsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Unternehmensinteresses für die Gesellschaft unbillig ist. Bei der gegebenen Begründung kann auch nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das OLG der Sache nach von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen ist. Mit dem weiteren Nutzen der Tätigkeit des Klägers für die Gesellschaft ist zwar ein für die Würdigung wesentlicher Gesichtspunkt angesprochen. Letztlich betrachtet das OLG aber nicht die Folgen der Weitergewährung der zugesagten Vergütung für die Gesellschaft, sondern es würdigt lediglich, ob die herabgesetzte Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Klägers sowie zur Lage der insolventen Schuldnerin steht.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | AktG
§ 87 Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder
Seibt in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 5. Aufl.
05/2024

Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
Herabsetzung der Vorstandsbezüge in der Insolvenz der AG
BGH vom 27.10.2015 - II ZR 296/14
AG 2016, 214

Rechtsprechung (siehe Leitsätze)
Pflicht des Aufsichtsrats zur Herabsetzung der Vorstandsvergütung wegen zurechenbarer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage (hier: Insolvenzreife) auf angemessenen Betrag
BGH vom 27.10.2015 - II ZR 296/14
ZIP 2016, 310

Aktionsmodul Gesellschaftsrecht
Fünf Beratermodule zu einem Großen: Beratermodule Handbücher und Kommentare, AG, GmbHR und ZIP. Alles zu den Topthemen MoPeG, UmRUG, AktG und SchpruchG. Online first Scholz Band III Highlight: Die InsO-Kommentierungen sind jetzt online. Umfassende, ganz neue und tiefgängige Kommentierung des Insolvenzrechts der GmbH von einem der besten Autoren auf diesem Gebiet (Prof. Dr. Georg Bitter). 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Zurück