Richterlicher Hinweis auf geänderte Rechtsauffassung auch im Hinblick auf früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit geboten
BGH v. 10.12.2019 - II ZR 451/18
Der Sachverhalt:
Der Beklagte war mit einem Gesellschaftsanteil von 95 % Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer einer im Jahr 1993 gegründeten GbR. Deren Gegenstand war u.a. die Verwaltung und Nutzung einer Immobilie, die zum Betrieb einer Altenwohnanlage vermietet ist. Weitere Gesellschafterin der GbR mit einem Gesellschaftsanteil von 5 % war die klagende GmbH, die am 28.12.2005 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde. Mit Beschluss des AG vom 20.1.2010 wurde die Nachtragsliquidation angeordnet. Mit weiterem Beschluss vom 8.4.2010 wurde der Wirkungskreis des Nachtragsliquidators auf die Wahrnehmung der Rechte aus der Beteiligung der Klägerin an der GbR erweitert.
Nach § 9 des Gesellschaftsvertrags der GbR war der Beklagte verpflichtet, zum Abschluss eines jeden Geschäftsjahres eine Abrechnung des Überschusses und Ermittlung des Vermögens der Gesellschaft sowie der Vermögensanteile der Gesellschafter vorzunehmen.
Das LG wies eine auf diese Abrechnungsregelung gestützte, auf Auskunft gerichtete Klage wegen Verjährung ab. Das OLG gab ihr überwiegend statt und verurteilte den Beklagten, über die Überschüsse der GbR in den Jahren 1996 bis 2014 Auskunft zu erteilen durch Vorlage der entsprechenden Einnahme- /Überschussrechnungen nebst Buchungsunterlagen und Rechnungsbelege über Einnahmen und Ausgaben sowie durch Vorlage der zugunsten nach § 9 des Gesellschaftsvertrags vom 16.11.1993 zu erstellenden Abrechnungen der Vermögensanteile der Gesellschafter.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist, und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG ist seiner Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht nachgekommen und hat dadurch den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).
Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen hat, darf das Gericht nach § 139 Abs. 2 ZPO seine Entscheidung nur stützen, wenn es auf diesen hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Eine Partei übersieht einen Gesichtspunkt auch dann, wenn das Gericht bei ihr etwa durch einen gerichtlichen Hinweis den Eindruck erweckt hat, eine bestimmte Rechtsauffassung zu vertreten und hieran bei seiner Entscheidung nicht mehr festhalten will. In diesem Fall ist ein Hinweis auf die geänderte Auffassung erforderlich.
Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine Partei in einem weiteren zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde. Ein danach erforderlicher Hinweis ist nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO so früh wie möglich zu erteilen, das heißt so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann. Erteilt das Gericht den Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden.
Nach alldem hat das OLG Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg, weil das LG von einem Ausscheiden der Klägerin aus der Gesellschaft in Folge der Amtslöschung wegen Vermögenslosigkeit im Jahr 2005 sowie einem auf diesen Zeitpunkt bezogenen Abfindungsanspruch der Klägerin ausgegangen ist und die insoweit verbleibenden, auf diesen Abfindungsanspruch bezogenen Auskunftsansprüche der Klägerin als verjährt angesehen hat. In einem Parallelverfahren zwischen den Parteien vor demselben Senat in derselben Besetzung hat das OLG während des vorliegenden Berufungsverfahrens diese Auffassung des LG, wenn auch dort nicht entscheidungstragend, in seinem Urteil geteilt. Der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren um Verlängerung der Frist zur Berufungserwiderung gebeten, um die Entscheidungsgründe des Urteils aus dem Parallelverfahren noch einfließen zu lassen.
In seiner Berufungserwiderung hat der Beklagte auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren verwiesen und ausgeführt, dass das Berufungsgericht dort die Rechtsauffassung der Vorinstanz bestätigt habe, wonach die GbR nach der Löschung von Amts wegen gem. § 141a FGG aufgrund analoger Anwendung der Regelungen im Gesellschaftsvertrag bereits im Jahre 2005 beendet worden sei. Es war somit offensichtlich, dass der Beklagte davon ausging, das OLG werde auch im vorliegenden Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2018 erteilte Hinweis, dass das Gericht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR frühestens zum Dezember 2014 ausgehe und ein Ausscheiden bereits mit der Löschung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit nicht in Betracht komme, kam für den Beklagten daher überraschend und im Hinblick auf die Vorgabe des § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO zu spät.
BGH online
Der Beklagte war mit einem Gesellschaftsanteil von 95 % Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer einer im Jahr 1993 gegründeten GbR. Deren Gegenstand war u.a. die Verwaltung und Nutzung einer Immobilie, die zum Betrieb einer Altenwohnanlage vermietet ist. Weitere Gesellschafterin der GbR mit einem Gesellschaftsanteil von 5 % war die klagende GmbH, die am 28.12.2005 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde. Mit Beschluss des AG vom 20.1.2010 wurde die Nachtragsliquidation angeordnet. Mit weiterem Beschluss vom 8.4.2010 wurde der Wirkungskreis des Nachtragsliquidators auf die Wahrnehmung der Rechte aus der Beteiligung der Klägerin an der GbR erweitert.
Nach § 9 des Gesellschaftsvertrags der GbR war der Beklagte verpflichtet, zum Abschluss eines jeden Geschäftsjahres eine Abrechnung des Überschusses und Ermittlung des Vermögens der Gesellschaft sowie der Vermögensanteile der Gesellschafter vorzunehmen.
Das LG wies eine auf diese Abrechnungsregelung gestützte, auf Auskunft gerichtete Klage wegen Verjährung ab. Das OLG gab ihr überwiegend statt und verurteilte den Beklagten, über die Überschüsse der GbR in den Jahren 1996 bis 2014 Auskunft zu erteilen durch Vorlage der entsprechenden Einnahme- /Überschussrechnungen nebst Buchungsunterlagen und Rechnungsbelege über Einnahmen und Ausgaben sowie durch Vorlage der zugunsten nach § 9 des Gesellschaftsvertrags vom 16.11.1993 zu erstellenden Abrechnungen der Vermögensanteile der Gesellschafter.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist, und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG ist seiner Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht nachgekommen und hat dadurch den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).
Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen hat, darf das Gericht nach § 139 Abs. 2 ZPO seine Entscheidung nur stützen, wenn es auf diesen hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Eine Partei übersieht einen Gesichtspunkt auch dann, wenn das Gericht bei ihr etwa durch einen gerichtlichen Hinweis den Eindruck erweckt hat, eine bestimmte Rechtsauffassung zu vertreten und hieran bei seiner Entscheidung nicht mehr festhalten will. In diesem Fall ist ein Hinweis auf die geänderte Auffassung erforderlich.
Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine Partei in einem weiteren zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde. Ein danach erforderlicher Hinweis ist nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO so früh wie möglich zu erteilen, das heißt so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann. Erteilt das Gericht den Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden.
Nach alldem hat das OLG Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg, weil das LG von einem Ausscheiden der Klägerin aus der Gesellschaft in Folge der Amtslöschung wegen Vermögenslosigkeit im Jahr 2005 sowie einem auf diesen Zeitpunkt bezogenen Abfindungsanspruch der Klägerin ausgegangen ist und die insoweit verbleibenden, auf diesen Abfindungsanspruch bezogenen Auskunftsansprüche der Klägerin als verjährt angesehen hat. In einem Parallelverfahren zwischen den Parteien vor demselben Senat in derselben Besetzung hat das OLG während des vorliegenden Berufungsverfahrens diese Auffassung des LG, wenn auch dort nicht entscheidungstragend, in seinem Urteil geteilt. Der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren um Verlängerung der Frist zur Berufungserwiderung gebeten, um die Entscheidungsgründe des Urteils aus dem Parallelverfahren noch einfließen zu lassen.
In seiner Berufungserwiderung hat der Beklagte auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren verwiesen und ausgeführt, dass das Berufungsgericht dort die Rechtsauffassung der Vorinstanz bestätigt habe, wonach die GbR nach der Löschung von Amts wegen gem. § 141a FGG aufgrund analoger Anwendung der Regelungen im Gesellschaftsvertrag bereits im Jahre 2005 beendet worden sei. Es war somit offensichtlich, dass der Beklagte davon ausging, das OLG werde auch im vorliegenden Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2018 erteilte Hinweis, dass das Gericht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR frühestens zum Dezember 2014 ausgehe und ein Ausscheiden bereits mit der Löschung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit nicht in Betracht komme, kam für den Beklagten daher überraschend und im Hinblick auf die Vorgabe des § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO zu spät.