"Verbrauchtes" Selbsthilferecht verhindert wiederholte Einladung zur Gesellschafterversammlung mit demselben Tagesordnungspunkt
KG Berlin v. 7.9.2022 - 23 U 120/21
Der Sachverhalt:
Gesellschafter der Klägerin sind die Nebenintervenientin (K), mit einer Mehrheitsbeteiligung von 58,65 % der Geschäftsanteile, die P, mit einer Beteiligung von 26,35 % und S mit einer Beteiligung von 15 %. Der Beklagte war neben S Geschäftsführer der Klägerin. Am 12.1.2021 hatte der Rechtsanwalt Dr. M den Beklagten und den weiteren Geschäftsführer S im Namen der K aufgefordert, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, in der es um die Abberufung des Beklagten und des S als Geschäftsführer gehen sollte. Letztere luden allerdings nicht zu einer Gesellschafterversammlung.
Am 12.2.2021 berief Dr. M für die K eine außerordentliche Gesellschafterversammlung für den 26.2.2021 ein. Auf dieser wurden der Beklagte und S mit den Stimmen der K abberufen. Gegen die gefassten Beschlüsse hat die Gesellschafterin P Klage erhoben. Parallel beantragte die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beklagten und S, mit der diesen untersagt werden sollte, für die Klägerin weiter aufzutreten. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen. Eine hiergegen beim KG eingelegte sofortige Beschwerde blieb erfolglos, da die Beschlüsse wegen einer fehlerhaften Ladung nichtig seien.
Daraufhin leitete Dr. M am 19.4.2021 unter Berufung auf das Einberufungsverlangen vom 12.1.2021 zwecks Bestätigung bzw. vorsorglicher Wiederholung der Beschlüsse vom 26.2.2021 ein schriftliches Beschlussverfahren ein. Am 27.5.2021 stellte Dr. M die Beschlüsse u.a. auf Abberufung des Beklagten fest. Auf Antrag der Klägerin hat das LG eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsgeld untersagt worden ist, die Geschäfte der Klägerin zu führen und diese zu vertreten und den Gesellschaftern der Verfügungsklägerin und Dritten gegenüber als Geschäftsführer der Klägerin aufzutreten.
Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten hat das KG das Urteil des LG abgeändert, die einstweilige Verfügung aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat keinen Verfügungsanspruch, da der Beklagte nicht wirksam als Geschäftsführer abberufen wurde. Nach § 35 GmbHG wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer vertreten. Demzufolge kann sie von einem Nichtgeschäftsführer verlangen, nicht für sie aufzutreten. Da der Beklagte unstreitig Geschäftsführer der Klägerin war, setzt ein Verfügungsanspruch seine wirksame Abberufung gem. § 38 GmbHG voraus. Eine solche ist durch die streitgegenständliche, am 27.5.2021 festgestellte Beschlussfassung jedoch nicht erfolgt, da sie wegen eines Einberufungsmangels nichtig ist.
Zwar konnte die K grundsätzlich als Mehrheitsgesellschafterin die Einberufung gem. § 50 Abs. 1 GmbHG verlangen und die Gesellschafterversammlung schließlich gem. § 50 Abs. 3 GmbHG selbst einberufen. Allerdings bestand das auf das Einberufungsverlangen vom 12.1.2021 gestützte Selbsthilferecht gem. § 50 Abs. 3 GmbHG bei Einleitung des Umlaufverfahrens mit Schreiben vom 19.4.2021 entgegen der Ansicht des LG nicht mehr. Der Beschluss der Gesellschafterversammlung einer GmbH ist in entsprechender Anwendung des § 241 Nr. 1, § 121 Abs. 2 AktG nämlich nichtig, wenn sie von einem Gesellschafter einberufen worden ist, der dazu nicht nach § 50 Abs. 1 und 3 GmbHG befugt war. Das Selbsthilferecht war erledigt, da in der Versammlung vom 26.2.2021 über die begehrten Tagesordnungspunkte abgestimmt worden war.
Die Ansicht der Verfügungsklägerin, ein einmal entstandenes Selbsthilferecht ermögliche die wiederholte Einladung zu Gesellschafterversammlungen mit demselben Tagesordnungspunkt, liefe darauf hinaus, einen "Verbrauch" des Selbsthilferechtes gänzlich zu verneinen. Eine solche Sichtweise widerspräche dem in den §§ 49, 50 GmbHG vorgesehenen Kompetenzgefüge. Die Einberufung erfolgt gem. § 49 Abs. 1 GmbHG im Regelfall durch die Geschäftsführer und nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 GmbHG durch die Gesellschafter. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis spricht für die Begrenzung des Selbsthilferechtes auf eine Gesellschafterversammlung, in der über den entsprechenden Tagesordnungspunkt eine Beschlussfassung erfolgt. Sinn der Vorschriften ist nicht, Entscheidungen zu erzwingen, sondern lediglich die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen zu bestimmten Tagesordnungspunkten herbeizuführen. Der von § 50 GmbHG bezweckte (Minderheiten)schutz steht dem nicht entgegen.
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Gesellschafter der Klägerin sind die Nebenintervenientin (K), mit einer Mehrheitsbeteiligung von 58,65 % der Geschäftsanteile, die P, mit einer Beteiligung von 26,35 % und S mit einer Beteiligung von 15 %. Der Beklagte war neben S Geschäftsführer der Klägerin. Am 12.1.2021 hatte der Rechtsanwalt Dr. M den Beklagten und den weiteren Geschäftsführer S im Namen der K aufgefordert, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, in der es um die Abberufung des Beklagten und des S als Geschäftsführer gehen sollte. Letztere luden allerdings nicht zu einer Gesellschafterversammlung.
Am 12.2.2021 berief Dr. M für die K eine außerordentliche Gesellschafterversammlung für den 26.2.2021 ein. Auf dieser wurden der Beklagte und S mit den Stimmen der K abberufen. Gegen die gefassten Beschlüsse hat die Gesellschafterin P Klage erhoben. Parallel beantragte die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beklagten und S, mit der diesen untersagt werden sollte, für die Klägerin weiter aufzutreten. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen. Eine hiergegen beim KG eingelegte sofortige Beschwerde blieb erfolglos, da die Beschlüsse wegen einer fehlerhaften Ladung nichtig seien.
Daraufhin leitete Dr. M am 19.4.2021 unter Berufung auf das Einberufungsverlangen vom 12.1.2021 zwecks Bestätigung bzw. vorsorglicher Wiederholung der Beschlüsse vom 26.2.2021 ein schriftliches Beschlussverfahren ein. Am 27.5.2021 stellte Dr. M die Beschlüsse u.a. auf Abberufung des Beklagten fest. Auf Antrag der Klägerin hat das LG eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsgeld untersagt worden ist, die Geschäfte der Klägerin zu führen und diese zu vertreten und den Gesellschaftern der Verfügungsklägerin und Dritten gegenüber als Geschäftsführer der Klägerin aufzutreten.
Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten hat das KG das Urteil des LG abgeändert, die einstweilige Verfügung aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat keinen Verfügungsanspruch, da der Beklagte nicht wirksam als Geschäftsführer abberufen wurde. Nach § 35 GmbHG wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer vertreten. Demzufolge kann sie von einem Nichtgeschäftsführer verlangen, nicht für sie aufzutreten. Da der Beklagte unstreitig Geschäftsführer der Klägerin war, setzt ein Verfügungsanspruch seine wirksame Abberufung gem. § 38 GmbHG voraus. Eine solche ist durch die streitgegenständliche, am 27.5.2021 festgestellte Beschlussfassung jedoch nicht erfolgt, da sie wegen eines Einberufungsmangels nichtig ist.
Zwar konnte die K grundsätzlich als Mehrheitsgesellschafterin die Einberufung gem. § 50 Abs. 1 GmbHG verlangen und die Gesellschafterversammlung schließlich gem. § 50 Abs. 3 GmbHG selbst einberufen. Allerdings bestand das auf das Einberufungsverlangen vom 12.1.2021 gestützte Selbsthilferecht gem. § 50 Abs. 3 GmbHG bei Einleitung des Umlaufverfahrens mit Schreiben vom 19.4.2021 entgegen der Ansicht des LG nicht mehr. Der Beschluss der Gesellschafterversammlung einer GmbH ist in entsprechender Anwendung des § 241 Nr. 1, § 121 Abs. 2 AktG nämlich nichtig, wenn sie von einem Gesellschafter einberufen worden ist, der dazu nicht nach § 50 Abs. 1 und 3 GmbHG befugt war. Das Selbsthilferecht war erledigt, da in der Versammlung vom 26.2.2021 über die begehrten Tagesordnungspunkte abgestimmt worden war.
Die Ansicht der Verfügungsklägerin, ein einmal entstandenes Selbsthilferecht ermögliche die wiederholte Einladung zu Gesellschafterversammlungen mit demselben Tagesordnungspunkt, liefe darauf hinaus, einen "Verbrauch" des Selbsthilferechtes gänzlich zu verneinen. Eine solche Sichtweise widerspräche dem in den §§ 49, 50 GmbHG vorgesehenen Kompetenzgefüge. Die Einberufung erfolgt gem. § 49 Abs. 1 GmbHG im Regelfall durch die Geschäftsführer und nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 GmbHG durch die Gesellschafter. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis spricht für die Begrenzung des Selbsthilferechtes auf eine Gesellschafterversammlung, in der über den entsprechenden Tagesordnungspunkt eine Beschlussfassung erfolgt. Sinn der Vorschriften ist nicht, Entscheidungen zu erzwingen, sondern lediglich die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen zu bestimmten Tagesordnungspunkten herbeizuführen. Der von § 50 GmbHG bezweckte (Minderheiten)schutz steht dem nicht entgegen.
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