Wer kann Ansprüche gegen einen Sonderverwalter geltend machen, der zur Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Verwalter eingesetzt wurde?
BGH v. 11.4.2024 - IX ZR 148/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger wurde 1994 zum Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der E. AG bestellt. Am 3.11.1994 schloss er einen Sozialplan für 398 Arbeitnehmer mit einem Gesamtvolumen von 3,5 Mio. DM, auf welchen er ca. 1,5 Mio. DM (entspricht ca.760.000 €) am 25.11.1999 auszahlte. In der Gläubigerversammlung vom 14. März 2006 wies der Kläger, nachdem die Verwertung von Immobilien erfolglos geblieben war, darauf hin, dass die Sozialplangläubiger überzahlt seien. Von einer Rückforderung sah der Kläger mangels hinreichender Erfolgsaussichten ab.
Im Januar 2011 wurde der Beklagte zum Sonderverwalter mit dem Aufgabenkreis Prüfung und gegebenenfalls Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen der erfolgten Verteilung an die Sozialplangläubiger bestellt. Der Beklagte teilte dem Kläger seine vorläufige Rechtsauffassung mit, wonach sich der Kläger wegen Überschreitung der Drittelgrenze des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c GesO schadensersatzpflichtig gemacht habe. Der Kläger erwiderte, er sehe keine Anzeichen für ein Verschulden.
Der Beklagte erwirkte als Sonderverwalter einen dem Kläger persönlich im Dezember 2014 zugestellten Mahnbescheid über eine Hauptforderung von ca.760.000 €. Das LG sprach dem Beklagten die Hauptforderung zu. Das OLG wies im Juni 2018 die Berufung des Klägers zurück. Der BGH hat nun die hiergegen gerichtete Revision zurückgewiesen.
Die Gründe:
Da sich die vom Berufungsgericht ausgesprochene Klageabweisung im Ergebnis als richtig erweist, ist die Revision zurückzuweisen, dies allerdings mit der Maßgabe, dass die Klage unzulässig ist. Maßgeblich sind dabei die Vorschriften der Gesamtvollstreckungsordnung, weil das vorliegende Verfahren vor dem 1.1.1999 auf dem Gebiet der neuen Bundesländer beantragt worden ist.
Dem Kläger fehlt die Prozessführungsbefugnis für die geltend gemachten Ansprüche. Der Verwalter in einem Gesamtvollstreckungsverfahren ist in dem Bereich, für den ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Verwalters an einer Amtsführung bestellt ist, nicht befugt, Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter wegen Pflichtverletzungen aus dessen Amtsführung zu verfolgen. Ansprüche, die sich gegen einen Sonderverwalter richten, der zur Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Verwalter eingesetzt wurde, können nur von einem neuen Verwalter oder einem weiteren Sonderverwalter geltend gemacht werden. Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen.
Wird in einem Gesamtvollstreckungsverfahren ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Gesamtvollstreckungsverwalters aufgrund einer Interessenkollision bestellt, hat der Gesamtvollstreckungsverwalter in dem Bereich, für welchen der Sonderverwalter bestellt ist, keinerlei Kompetenzen.
Die Bestellung eines Sonderverwalters führt dazu, dass dem Verwalter in dem Bereich, der dem Sonderverwalter durch das Gesamtvollstreckungsgericht wegen Interessenkollision übertragen ist, keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zusteht. Der Sonderverwalter wird in einem Bereich tätig, der aufgrund der Verhinderung des Verwalters nicht zu dessen Aufgaben gehört. Der Verwalter ist insoweit nicht "Verwalter" im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Gesamtvollstreckungsordnung. Er hat in dem Bereich, für welchen die Sonderverwaltung eingerichtet worden ist, keinerlei Kompetenzen (BGH v. 23.4.2015 - IX ZB 29/13, WM 2015, 1065 Rn. 13). Auch von einer Prozessführung kraft Amtes für die Masse ist er ausgeschlossen.
Der Ausschluss der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters erstreckt sich auf die Frage, ob der Sonderverwalter im Rahmen seiner Amtsführung Pflichtverletzungen begangen hat. Es ist gerade das Ziel der Bestellung eines Sonderverwalters, die Aufgabenbereiche voneinander abzugrenzen und mögliche Interessenkonflikte des Verwalters zu vermeiden. Mit diesem Ziel wäre nicht zu vereinbaren, wenn es dem Verwalter gestattet wäre, die gegen ihn gerichtete Amtsführung des Sonderverwalters einer Überprüfung zu unterziehen. Der rechtskräftige Abschluss des Schadensersatzprozesses gegen den Verwalter ändert hieran nichts, lässt insbesondere den Interessenkonflikt, dessentwegen der Sonderverwalter eingesetzt wurde, nicht entfallen.
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Der Kläger wurde 1994 zum Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der E. AG bestellt. Am 3.11.1994 schloss er einen Sozialplan für 398 Arbeitnehmer mit einem Gesamtvolumen von 3,5 Mio. DM, auf welchen er ca. 1,5 Mio. DM (entspricht ca.760.000 €) am 25.11.1999 auszahlte. In der Gläubigerversammlung vom 14. März 2006 wies der Kläger, nachdem die Verwertung von Immobilien erfolglos geblieben war, darauf hin, dass die Sozialplangläubiger überzahlt seien. Von einer Rückforderung sah der Kläger mangels hinreichender Erfolgsaussichten ab.
Im Januar 2011 wurde der Beklagte zum Sonderverwalter mit dem Aufgabenkreis Prüfung und gegebenenfalls Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen der erfolgten Verteilung an die Sozialplangläubiger bestellt. Der Beklagte teilte dem Kläger seine vorläufige Rechtsauffassung mit, wonach sich der Kläger wegen Überschreitung der Drittelgrenze des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c GesO schadensersatzpflichtig gemacht habe. Der Kläger erwiderte, er sehe keine Anzeichen für ein Verschulden.
Der Beklagte erwirkte als Sonderverwalter einen dem Kläger persönlich im Dezember 2014 zugestellten Mahnbescheid über eine Hauptforderung von ca.760.000 €. Das LG sprach dem Beklagten die Hauptforderung zu. Das OLG wies im Juni 2018 die Berufung des Klägers zurück. Der BGH hat nun die hiergegen gerichtete Revision zurückgewiesen.
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Da sich die vom Berufungsgericht ausgesprochene Klageabweisung im Ergebnis als richtig erweist, ist die Revision zurückzuweisen, dies allerdings mit der Maßgabe, dass die Klage unzulässig ist. Maßgeblich sind dabei die Vorschriften der Gesamtvollstreckungsordnung, weil das vorliegende Verfahren vor dem 1.1.1999 auf dem Gebiet der neuen Bundesländer beantragt worden ist.
Dem Kläger fehlt die Prozessführungsbefugnis für die geltend gemachten Ansprüche. Der Verwalter in einem Gesamtvollstreckungsverfahren ist in dem Bereich, für den ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Verwalters an einer Amtsführung bestellt ist, nicht befugt, Schadensersatzansprüche gegen den Sonderverwalter wegen Pflichtverletzungen aus dessen Amtsführung zu verfolgen. Ansprüche, die sich gegen einen Sonderverwalter richten, der zur Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Verwalter eingesetzt wurde, können nur von einem neuen Verwalter oder einem weiteren Sonderverwalter geltend gemacht werden. Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen.
Wird in einem Gesamtvollstreckungsverfahren ein Sonderverwalter wegen rechtlicher Verhinderung des Gesamtvollstreckungsverwalters aufgrund einer Interessenkollision bestellt, hat der Gesamtvollstreckungsverwalter in dem Bereich, für welchen der Sonderverwalter bestellt ist, keinerlei Kompetenzen.
Die Bestellung eines Sonderverwalters führt dazu, dass dem Verwalter in dem Bereich, der dem Sonderverwalter durch das Gesamtvollstreckungsgericht wegen Interessenkollision übertragen ist, keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zusteht. Der Sonderverwalter wird in einem Bereich tätig, der aufgrund der Verhinderung des Verwalters nicht zu dessen Aufgaben gehört. Der Verwalter ist insoweit nicht "Verwalter" im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Gesamtvollstreckungsordnung. Er hat in dem Bereich, für welchen die Sonderverwaltung eingerichtet worden ist, keinerlei Kompetenzen (BGH v. 23.4.2015 - IX ZB 29/13, WM 2015, 1065 Rn. 13). Auch von einer Prozessführung kraft Amtes für die Masse ist er ausgeschlossen.
Der Ausschluss der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters erstreckt sich auf die Frage, ob der Sonderverwalter im Rahmen seiner Amtsführung Pflichtverletzungen begangen hat. Es ist gerade das Ziel der Bestellung eines Sonderverwalters, die Aufgabenbereiche voneinander abzugrenzen und mögliche Interessenkonflikte des Verwalters zu vermeiden. Mit diesem Ziel wäre nicht zu vereinbaren, wenn es dem Verwalter gestattet wäre, die gegen ihn gerichtete Amtsführung des Sonderverwalters einer Überprüfung zu unterziehen. Der rechtskräftige Abschluss des Schadensersatzprozesses gegen den Verwalter ändert hieran nichts, lässt insbesondere den Interessenkonflikt, dessentwegen der Sonderverwalter eingesetzt wurde, nicht entfallen.
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