Zum Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung
BGH v. 27.7.2021 - II ZR 164/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger beauftragte am 14.1.2015 die S-GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, mit Fassadenarbeiten. Nach Abschlagszahlungen i.H.v. 13.000 € und ergebnislosen Fristsetzungen zur Erbringung der Werkleistung kündigte der Kläger den Vertrag mit Schreiben vom 22.8.2016 und forderte unter Fristsetzung zum 29.8.2016 die Beseitigung mehrerer behaupteter Mängel sowie die Rückzahlung von 11.000 € entsprechend dem seiner Ansicht nach erreichten Leistungsstand. Die Aufforderung blieb ohne Ergebnis. Mit Schriftsatz vom 30.8.2016 beantragte der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren gegen die S-GmbH mit Beweisfragen zum Leistungsstand und dem darauf entfallenden Werklohn, zu behaupteten Mängeln der bislang erbrachten Werkleistungen und zu Gebäudeschäden. Das LG ordnete mit Beschluss vom 16.11.2016 eine sachverständige Begutachtung an.
Am 5.12.2016 erging gegen den Beklagten ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Den dagegen eingelegten Einspruch hat der Beklagte auf die Rechtsfolgen beschränkt. Nach Eigenantrag vom 14.12.2016 wurde über das Vermögen der S-GmbH am 21.3.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Am 11.5.2017 erstattete der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Gutachten, in dem er eine Leistungserbringung von lediglich ca. 5 % (900 € einschließlich Umsatzsteuer) und Mängel feststellte, deren Beseitigungskosten er auf 6.400 € schätzte.
Mit Schreiben vom 9.6.2017 äußerte sich erstmals der Insolvenzverwalter der S-GmbH im selbständigen Beweisverfahren und gab bekannt, dass die Insolvenzmasse nicht in der Lage sei, Kosten für die Vergütung eines Sachverständigen zu tragen. Der Kläger verlangt die Erstattung von Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens, die er mit 317 € angibt, Kosten der gerichtlich angeordneten Begutachtung durch den Sachverständigen, deren Höhe er mit rd. 2.600 € beziffert, und Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 2.900 €. Daneben begehrt er die Feststellung, dass dem Zahlungsanspruch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liegt.
LG und OLG gaben der Klage antragsgemäß statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Insolvenzverschleppung aus § 826 BGB zu.
Der Kläger kann von dem Beklagten Ersatz der ihm durch das gegen die insolvente S-GmbH als Gegner geführte selbständige Beweisverfahren entstandenen Kosten nach § 826 BGB verlangen, weil der Beklagte als Geschäftsführer der Gesellschaft die ihn treffende Insolvenzantragspflicht vorsätzlich verletzt und den Kläger dadurch sittenwidrig geschädigt hat. Der Beklagte haftet nach § 826 BGB, weil er vorsätzlich die Insolvenz der S-GmbH verschleppt hat. Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.
Das OLG hat - von der Revision unbeanstandet - festgestellt, dass die S-GmbH seit dem 1.12.2015 zahlungsunfähig i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO war und der Beklagte seiner aus § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. folgenden Insolvenzantragspflicht nicht nachgekommen ist. Der Beklagte hat vorsätzlich gehandelt, insbesondere ist der vom Kläger geltend gemachte Schaden vom Vorsatz des Beklagten umfasst. Die Annahme des OLG, der Beklagte habe die Schädigung der Gläubiger der S-GmbH durch deren Fortführung trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit billigend in Kauf genommen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Sittenwidrigkeit der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung folgt regelmäßig bereits aus dem vorsätzlichen Verstoß des Antragspflichtigen gegen seine Pflicht. Wenn der Geschäftsführer die Insolvenzreife der Gesellschaft erkennt und das Unternehmen dennoch weiterführt, lässt das darauf schließen, dass er das unabweisbare Ende des Unternehmens zum Nachteil der Gläubiger nur hinauszögern will. Für Umstände, nach denen ein Verstoß gegen die guten Sitten ausnahmsweise ausscheidet, ist der beklagte Geschäftsführer darlegungsbelastet. Solche Umstände sind hier nicht geltend gemacht.
Dem Kläger ist durch die vorsätzliche Verschleppung des Insolvenzantrags bis zum 14.12.2016 durch den Beklagten als Geschäftsführer der seit 1.12.2015 insolvenzreifen S-GmbH ein nach §§ 826, 249 BGB ersatzfähiger Schaden entstanden. Der Schutzbereich des § 826 BGB erfasst den Ersatz der Kosten, die dem Vertragspartner einer GmbH dadurch entstehen, dass er zur Feststellung von das vor der Insolvenzreife begründete Vertragsverhältnis betreffende Tatsachen gegen die unerkannt insolvenzreife Gesellschaft ein selbständiges Beweisverfahren führt. Der Senat hat bereits entschieden, dass der Schutzzweck der Norm des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. den Ersatz solcher (Rechtsverfolgungs-)Kosten umfasst, die dem Gläubiger, der nach Insolvenzreife der GmbH einen Vertrag mit dieser abgeschlossen hat, wegen der Verfolgung seiner Zahlungsansprüche gegen die Gesellschaft entstanden sind. Die Insolvenzantragspflicht soll den Vertragspartner einer GmbH davor schützen, dass er sich durch die Prozessführung mit der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft mit Kosten belastet, die er bei der Gesellschaft als Kostenschuldnerin nicht mehr realisieren kann.
Zu den Rechtsverfolgungskosten in diesem Sinn gehören auch die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens. Dieser Schaden ist auch nach einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung nach § 826 BGB ersatzfähig. Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung i.S.d. § 826 BGB erfasst darüber hinaus Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.
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Der Kläger beauftragte am 14.1.2015 die S-GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte war, mit Fassadenarbeiten. Nach Abschlagszahlungen i.H.v. 13.000 € und ergebnislosen Fristsetzungen zur Erbringung der Werkleistung kündigte der Kläger den Vertrag mit Schreiben vom 22.8.2016 und forderte unter Fristsetzung zum 29.8.2016 die Beseitigung mehrerer behaupteter Mängel sowie die Rückzahlung von 11.000 € entsprechend dem seiner Ansicht nach erreichten Leistungsstand. Die Aufforderung blieb ohne Ergebnis. Mit Schriftsatz vom 30.8.2016 beantragte der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren gegen die S-GmbH mit Beweisfragen zum Leistungsstand und dem darauf entfallenden Werklohn, zu behaupteten Mängeln der bislang erbrachten Werkleistungen und zu Gebäudeschäden. Das LG ordnete mit Beschluss vom 16.11.2016 eine sachverständige Begutachtung an.
Am 5.12.2016 erging gegen den Beklagten ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Den dagegen eingelegten Einspruch hat der Beklagte auf die Rechtsfolgen beschränkt. Nach Eigenantrag vom 14.12.2016 wurde über das Vermögen der S-GmbH am 21.3.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Am 11.5.2017 erstattete der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Gutachten, in dem er eine Leistungserbringung von lediglich ca. 5 % (900 € einschließlich Umsatzsteuer) und Mängel feststellte, deren Beseitigungskosten er auf 6.400 € schätzte.
Mit Schreiben vom 9.6.2017 äußerte sich erstmals der Insolvenzverwalter der S-GmbH im selbständigen Beweisverfahren und gab bekannt, dass die Insolvenzmasse nicht in der Lage sei, Kosten für die Vergütung eines Sachverständigen zu tragen. Der Kläger verlangt die Erstattung von Gerichtskosten des selbständigen Beweisverfahrens, die er mit 317 € angibt, Kosten der gerichtlich angeordneten Begutachtung durch den Sachverständigen, deren Höhe er mit rd. 2.600 € beziffert, und Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 2.900 €. Daneben begehrt er die Feststellung, dass dem Zahlungsanspruch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung des Beklagten zugrunde liegt.
LG und OLG gaben der Klage antragsgemäß statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Insolvenzverschleppung aus § 826 BGB zu.
Der Kläger kann von dem Beklagten Ersatz der ihm durch das gegen die insolvente S-GmbH als Gegner geführte selbständige Beweisverfahren entstandenen Kosten nach § 826 BGB verlangen, weil der Beklagte als Geschäftsführer der Gesellschaft die ihn treffende Insolvenzantragspflicht vorsätzlich verletzt und den Kläger dadurch sittenwidrig geschädigt hat. Der Beklagte haftet nach § 826 BGB, weil er vorsätzlich die Insolvenz der S-GmbH verschleppt hat. Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, das als unabwendbar erkannte Ende eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, erfüllt den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i.S.d. § 826 BGB, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird.
Das OLG hat - von der Revision unbeanstandet - festgestellt, dass die S-GmbH seit dem 1.12.2015 zahlungsunfähig i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO war und der Beklagte seiner aus § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. folgenden Insolvenzantragspflicht nicht nachgekommen ist. Der Beklagte hat vorsätzlich gehandelt, insbesondere ist der vom Kläger geltend gemachte Schaden vom Vorsatz des Beklagten umfasst. Die Annahme des OLG, der Beklagte habe die Schädigung der Gläubiger der S-GmbH durch deren Fortführung trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit billigend in Kauf genommen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Sittenwidrigkeit der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung folgt regelmäßig bereits aus dem vorsätzlichen Verstoß des Antragspflichtigen gegen seine Pflicht. Wenn der Geschäftsführer die Insolvenzreife der Gesellschaft erkennt und das Unternehmen dennoch weiterführt, lässt das darauf schließen, dass er das unabweisbare Ende des Unternehmens zum Nachteil der Gläubiger nur hinauszögern will. Für Umstände, nach denen ein Verstoß gegen die guten Sitten ausnahmsweise ausscheidet, ist der beklagte Geschäftsführer darlegungsbelastet. Solche Umstände sind hier nicht geltend gemacht.
Dem Kläger ist durch die vorsätzliche Verschleppung des Insolvenzantrags bis zum 14.12.2016 durch den Beklagten als Geschäftsführer der seit 1.12.2015 insolvenzreifen S-GmbH ein nach §§ 826, 249 BGB ersatzfähiger Schaden entstanden. Der Schutzbereich des § 826 BGB erfasst den Ersatz der Kosten, die dem Vertragspartner einer GmbH dadurch entstehen, dass er zur Feststellung von das vor der Insolvenzreife begründete Vertragsverhältnis betreffende Tatsachen gegen die unerkannt insolvenzreife Gesellschaft ein selbständiges Beweisverfahren führt. Der Senat hat bereits entschieden, dass der Schutzzweck der Norm des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. den Ersatz solcher (Rechtsverfolgungs-)Kosten umfasst, die dem Gläubiger, der nach Insolvenzreife der GmbH einen Vertrag mit dieser abgeschlossen hat, wegen der Verfolgung seiner Zahlungsansprüche gegen die Gesellschaft entstanden sind. Die Insolvenzantragspflicht soll den Vertragspartner einer GmbH davor schützen, dass er sich durch die Prozessführung mit der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft mit Kosten belastet, die er bei der Gesellschaft als Kostenschuldnerin nicht mehr realisieren kann.
Zu den Rechtsverfolgungskosten in diesem Sinn gehören auch die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens. Dieser Schaden ist auch nach einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung nach § 826 BGB ersatzfähig. Der Schutzbereich einer vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung i.S.d. § 826 BGB erfasst darüber hinaus Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können.