Zur Bestimmung der angemessenen Abfindung für die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre
OLG Karlsruhe v. 16.4.2024 - 12 W 27/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die angemessene Barabfindung nach § 327a AktG wegen der Übertragung von Anteilen auf die Hauptaktionärin.
Die Antragsgegnerin legte die angemessene Barabfindung auf der Grundlage einer Unternehmensbewertung der MAG unter sachverständiger Unterstützung auf 3,73 €/Aktie fest. Unter Anwendung des Ertragswertverfahrens nach den Grundsätzen zur Durchführung von Unternehmensbewertungen wurde ein Unternehmenswert der MAG zum Bewertungsstichtag 18.12.2012 von rd. 110. Mio. €, mithin 1,75 €/Aktie ermittelt. Der durchschnittliche, volumengewichtete Börsenkurs zum Stichtag 16.7.2012, also bezogen auf den Tag vor der Bekanntmachung der Absicht der Verschmelzung und des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre, betrug nach Auskunft der BaFin 3,73 €/Aktie. Die vom LG bestellten sachverständigen Prüfer bestätigten die Angemessenheit der festgelegten Barabfindung i.H.v. 3,73 €/Aktie.
Im Spruchverfahren machten die Antragsteller erstinstanzlich geltend, die von der Antragsgegnerin gewährte Barabfindung sei zu niedrig bemessen. Die Antragsgegnerin verteidigte ihre Bewertung unter Verweis auf die Bestätigung durch den gerichtlich bestellten Barabfindungsprüfer.
Das LG wies die Anträge zurück. Die Beschwerden der Antragsteller hatten vor dem OLG keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde zum BGH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Die auf 3,73 € festgesetzte Abfindung ist nicht zu erhöhen.
Bei dem hier vorliegenden verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out (§ 62 Abs. 5 UmwG) hat der Hauptaktionär gem. § 327a Abs. 1, 327b AktG den ausgeschlossenen Minderheitsaktionären eine angemessene Abfindung zu gewähren. Angemessen ist eine Abfindung, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem Unternehmen wert ist, die also dem vollen Wert seiner Beteiligung - hier der Aktie der MAG - entspricht. Zu ermitteln ist deshalb der Grenzwert, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann.
Ob die Abfindung angemessen ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Gericht zu beantworten ist. Unangemessen ist die angebotene Abfindung, wenn sie den übrigen Aktionären keine volle Entschädigung für den Verlust ihres Aktieneigentums bietet. Die Entschädigung kann nur dann als "volle" bezeichnet werden, wenn sie den "wirklichen" oder "wahren" Wert der Unternehmensbeteiligung an dem arbeitenden Unternehmen unter Einschluss der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts widerspiegelt. Für die Ermittlung des "wahren" Unternehmenswerts ist grundsätzlich die Ertragswertmethode geeignet, der die Annahme zugrunde liegt, dass der Wert eines Unternehmens in erster Linie von seiner Fähigkeit abhängt, künftig Erträge zu erwirtschaften. Die volle Entschädigung darf indes nicht unter dem Verkehrswert liegen, der bei börsennotierten Unternehmen nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden darf. Die Minderheitsaktionäre dürfen nicht weniger erhalten als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Squeeze-out erlangt hätten.
Diesen Grundsätzen entsprechend ist das LG zu Recht von einem Börsenwert i.H.v. 3,73 € je Aktie als Untergrenze der Barabfindung ausgegangen. Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, dieser Betrag sei zu niedrig angesetzt. Der Börsenwert der Aktie ist Untergrenze der angemessenen Barabfindung. Dieser ist nach dem Durchschnittskurs innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der beabsichtigten Strukturmaßnahme zu bestimmen. Der Referenzzeitraum ist nicht vorzuverlegen im Hinblick auf die Bekanntmachung von zeitlich früheren Maßnahmen - hier Anteilserwerb durch die Hauptaktionärin -, die den späteren Squeeze-Out vorbereitet haben.
Eine Hochrechnung des Börsenkurses auf den maßgeblichen Stichtag hat nicht zu erfolgen. Die vom BGH mit Grundsatzentscheidung vom 19.7.2010 (II ZB 18/09 - "Stollwerck") geforderte Hochrechnung dient dem Schutz der Minderheitsaktionäre davor, dass der mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe ermittelte Börsenwert zugunsten des Hauptaktionärs fixiert wird, ohne dass die angekündigte Maßnahme umgesetzt wird, und die Aktionäre von einer positiven Börsenentwicklung ausgeschlossen werden. Daher hat eine Hochrechnung entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung zu erfolgen, wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme als dem Ende des Referenzzeitraums und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt. Ein längerer Zeitraum in diesem Sinne liegt jedenfalls dann vor, wenn zwischen der Ankündigung und dem Stichtag siebeneinhalb Monate liegen. Daran gemessen bedarf es hier keiner Hochrechnung, da zwischen der Bekanntgabe des Squeeze-out am 17.7.2012 und der Hauptversammlung am 18.12.2012 nur fünf Monate lagen.
Eine Verzinsung des Börsenwerts bis zum Bewertungsstichtag scheidet aus. § 327b Abs. 2 AktG sieht eine Verzinsungspflicht erst ab der Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses im Handelsregister vor; darüber hinaus sind Zinsen bei der Ermittlung des Verkehrswerts der Aktie nicht zu berücksichtigen. Erst mit Eintragung des Übertragungsbeschlusses entsteht der Anspruch auf die Barabfindung. Mangels einer Verpflichtung des Hauptaktionärs zur Zahlung der Barabfindung vor dem Bewertungsstichtag, besteht die von den Beschwerdeführern geltend gemachte "Verzinsungslücke" im Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Squeeze-out-Verlangens und dem Tag der Hauptversammlung nicht. Eine Verzinsung anhand des Verzugszinssatzes wäre auch deshalb systemwidrig, da der für den Referenzzeitraum ermittelte Börsenkurs den Verkehrswert der Aktie zum Bewertungsstichtag (18.12.2012) widerspiegelt und aus diesem Grund die Untergrenze der Barabfindung bildet. Bedarf es einer Hochrechnung des Börsenkurses anhand der Marktentwicklung wegen hinreichender zeitlicher Nähe des Referenzzeitraums zum Stichtag nicht, kommt eine Verzinsung, die keinen Bezug zur Entwicklung des Verkehrswerts der Aktie bis zum Bewertungsstichtag aufweist, erst Recht nicht in Betracht.
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Ob die Abfindung angemessen ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Gericht zu beantworten ist. Unangemessen ist die angebotene Abfindung, wenn sie den übrigen Aktionären keine volle Entschädigung für den Verlust ihres Aktieneigentums bietet. Die Entschädigung kann nur dann als "volle" bezeichnet werden, wenn sie den "wirklichen" oder "wahren" Wert der Unternehmensbeteiligung an dem arbeitenden Unternehmen unter Einschluss der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts widerspiegelt. Für die Ermittlung des "wahren" Unternehmenswerts ist grundsätzlich die Ertragswertmethode geeignet, der die Annahme zugrunde liegt, dass der Wert eines Unternehmens in erster Linie von seiner Fähigkeit abhängt, künftig Erträge zu erwirtschaften. Die volle Entschädigung darf indes nicht unter dem Verkehrswert liegen, der bei börsennotierten Unternehmen nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden darf. Die Minderheitsaktionäre dürfen nicht weniger erhalten als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Squeeze-out erlangt hätten.
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