13.09.2011

§ 4 KapMuG: Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses für das OLG entfällt nicht bei lediglich einfachen Rechtsfehlern

Die Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses nach § 4 Abs. 1 KapMuG für das OLG entfällt, wenn der geltend gemachte Anspruch nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein kann. Fehler und Auslassungen des Vorlagebeschlusses z.B. bei der Bezeichnung der Beweismittel sowie der Darstellung des wesentlichen Inhalts der erhobenen Ansprüche können jedoch während des Musterverfahrens behoben werden und berechtigen das OLG daher nicht, den Vorlagebeschluss aufzuheben und an das Prozessgericht zurückzugeben.

BGH 26.7.2011, II ZB 11/10
Der Sachverhalt:
Die Rechtsbeschwerdeführer machen - neben weiteren Klägern in gesonderten Verfahren - vor dem LG Schadensersatzansprüche wegen einer unzutreffenden Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten zu 1) geltend. Auf den Musterfeststellungsantrag der Kläger beschloss das LG nach § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG, eine Entscheidung des OLG "herbeizuführen zur beantragten Feststellung, dass die Ad-hoc-Mitteilung vom 22.3.2000 unrichtig war und hierdurch gegen die Beklagten zu 1) und 3) Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet werden".

Die Gründe des Vorlagebeschlusses des LG geben von dem Klagevortrag Einzelheiten zum Einstieg der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1) in die Formel-1-Rennserie des Automobilsports und zu den den Anlegern hierzu in der Ad-hoc-Mitteilung angeblich verschwiegenen Tatsachen wieder. Der im Vorlagebeschluss angegebene Zeitpunkt der Klageerhebung sowie das in Bezug genommene Klagevorbringen, wann und zu welchem Kurs Aktien der Beklagten zu 1) nach der Ad-hoc-Mitteilung erworben worden seien, betreffen dagegen offenkundig nicht die hiesigen Kläger, sondern die Klage eines Klägers aus einem Parallelverfahren vor dem LG.

Das OLG hob den Vorlagebeschluss in entsprechender Anwendung der für willkürlich ergangene Verweisungsbeschlüsse zu § 281 ZPO entwickelten Grundsätze auf und gab das Verfahren zur anderweitigen Prüfung und Entscheidung an das LG zurück. Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Kläger hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG ist gem. § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 KapMuG an den Vorlagebeschluss des LG gebunden.

Der - nach § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 KapMuG unanfechtbare - Vorlagebeschluss des Prozessgerichts ist nach Halbsatz 2 der Vorschrift für das OLG grundsätzlich bindend. Die Bindung ist im vorliegenden Fall nicht entfallen. Der angefochtenen Entscheidung ist allerdings darin zuzustimmen, dass bei Vorliegen bestimmter Umstände eine Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses nicht besteht. Dies ist etwa der Fall, wenn der geltend gemachte Anspruch schon nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein kann. § 4 Abs. 1 S. 2 KapMuG findet dann keine Anwendung. Ein solcher Fall liegt indes hier nicht vor; mit der Feststellung, dass die Ad-hoc-Mitteilung unrichtig war, sollen Voraussetzungen zu Schadensersatzansprüchen wegen falscher Kapitalmarktinformation geklärt werden.

Ob die Bindungswirkung in entsprechender Anwendung der zu § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO entwickelten Rechtsprechung in Ausnahmefällen bei Willkürentscheidungen entfallen kann, wie das OLG in Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur angenommen hat, kann ebenfalls dahinstehen. Denn der Vorlagebeschluss des LG ist nicht im Sinne dieser Rechtsprechung willkürlich; er weist vielmehr lediglich einfache Rechtsfehler auf, die eine Durchbrechung der Bindungswirkung des § 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 KapMuG nicht rechtfertigen. Der Vorlagebeschluss des LG ist zwar unvollständig und teilweise inhaltlich falsch. Willkürlich ist der Vorlagebeschluss aber nicht.

Willkürlich ist ein Vorlagebeschluss dann nicht, wenn er trotz einzelner Fehler und Auslassungen eine geeignete Grundlage für die Durchführung des Musterverfahrens darstellt. Der Vorlagebeschluss im Streitfall ist eine geeignete Grundlage, weil er den Anforderungen des § 4 Abs. 2 KapMuG im Wesentlichen entspricht. Insbes. gibt der Vorlagebeschluss ein Feststellungsziel sowie Streitpunkte an. Darüber hinaus bezeichnet er Beweismittel und enthält eine knappe Darstellung des wesentlichen Inhalts des erhobenen Anspruchs und der dazu vorgebrachten Angriffsmittel.

Das OLG war nicht berechtigt, aufgrund der zutreffend festgestellten Mängel den Vorlagebeschluss aufzuheben. Der Vorlagebeschluss ist mangelhaft, weil er sich entgegen § 4 Abs. 2 Nr. 3 und 4 KapMuG nicht mit dem Vortrag der Beklagten und den dazu angetretenen Beweisen auseinandersetzt. Außerdem betrifft der den Gründen des Vorlagebeschlusses vorangestellte Klägervortrag offenkundig nicht die hiesigen Kläger und Rechtsbeschwerdeführer. Die im Vorlagebeschluss enthaltenen Tatsachenmitteilungen und Beweismittel bilden aber nicht bereits den abschließenden Verfahrensstoff des Musterverfahrens. Dieser ergibt sich vielmehr aus dem Vortrag der Beteiligten des Musterverfahrens. Fehler des Vorlagebeschlusses in diesem Bereich können daher während des Musterverfahrens behoben werden.

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