13.12.2018

§ 4 Nr. 4 UWG: Behinderung durch systematischen Nachbau einer Vielzahl eigenartiger Erzeugnisse eines Mitbewerbers

Für eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne aufgrund der Annahme lizenzvertraglicher Beziehungen sind über eine fast identische Nachahmung hinausgehende Hinweise auf mögliche lizenzrechtliche Verbindungen erforderlich. Eine Behinderung i.S.v. § 4 Nr. 4 UWG kommt beim systematischen Nachbau einer Vielzahl eigenartiger Erzeugnisse einer Mitbewerberin in Betracht.

BGH v. 20.9.2018 - I ZR 71/17
Der Sachverhalt:

Die Klägerin ist ein weltweit tätiges Unternehmen, das u.a. Industrienähmaschinen herstellt. Die Beklagte ist ein in C. ansässiges Unternehmen, das ebenfalls Industrienähmaschinen herstellt und seine Produkte im Juni 2013 auf der internationalen Messe "Texprocess 2013" in Frankfurt a.M. ausstellte. In dem am Messestand der Beklagten ausliegenden Katalog wurden fünf Modelle dargestellt, die im Hinblick auf Aussehen, technische Leistungsdaten und - bei zwei Modellen - Bedienungsanleitung mit Modellen der Klägerin fast identisch waren. Sowohl der Messestand als auch die in den Prospekten abgebildeten Nähmaschinen waren jeweils klar erkennbar mit dem Zeichen "S. " versehen.

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachahmung ihrer Modelle und hat neben Auskunftserteilung und Schadensersatzfeststellung beantragt, der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr in Deutschland verschiedene Industrienähmaschinen jeweils unabhängig von Vorhandensein, Farbe und Beschriftung besonderer Markenembleme in Form von Plaketten mit der Beschriftung "S." bzw. in Form der Beschriftung "S.", insbesondere jedoch bei Vorhandensein dieser Markenembleme in Form von Pla-ketten mit der Beschriftung "S. " bzw. in Form der Beschriftung "S.", anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen.

Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:

Mit der vom OLG gegebenen Begründung können die von der Klägerin erhobenen Ansprüche nicht verneint werden.

Ohne Erfolg macht die Revision geltend, eine mittelbare Herkunftstäuschung könne mit Blick auf das Fachpublikum auf der Messe nicht verneint werden. Die Revision rügt ohne Erfolg, das OLG habe nicht berücksichtigt, dass aus Sicht der angesprochenen Fachkreise aufgrund der von der Klägerin vorgetragenen Umstände des Einzelfalls hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme lizenzvertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien bestünden. Der Fachkreis der Anwender von Industrienähmaschinen nimmt aufgrund der deutlichen Herstellerangabe "S." in den Prospekten sowie am Messestand der Beklagten nicht an, die Industrienähmaschinen der Beklagten stammten aus dem Unternehmen der Klägerin oder es bestünden Lizenzverbindungen zwischen den Parteien.

Etwas anderes folgt entgegen der Ansicht der Revision nicht aus der nahezu vollständigen Übereinstimmung der Modelle der Beklagten mit denen der Klägerin, den Unterschieden zu den Konkurrenzmodellen anderer Wettbewerber, der Anzahl der nachgeahmten Modelle, den übernommenen Bedienungsanleitungen und dem Umstand, dass eine von der Klägerin nicht mehr hergestellte Maschine angeboten worden ist. Auch unter Berücksichtigung dieser Umstände ist nicht ersichtlich, weshalb das Fachpublikum trotz der deutlichen Kennzeichnung der Produkte mit dem Herstellerkennzeichen der Beklagten annehmen müsste, die Produkte seien von der Beklagten unter Lizenz der Klägerin hergestellt worden. Es fehlt an über die fast identische Nachahmung hinausgehenden Hinweisen auf mögliche lizenzrechtliche Verbindungen. Ein solcher Hinweis könnte beispielsweise darin liegen, dass die Beklagte zuvor Originalprodukte der Klägerin vertrieben hat oder die Parteien früher einmal durch einen Lizenzvertrag verbunden waren.

Die Revision hat Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das OLG eine unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung der Produkte der Klägerin i.S.v. § 4 Nr. 3 Buchst. b UWG verneint hat. Die Revision hat auch insoweit Erfolg, als das OLG eine gezielte Behinderung gem. § 4 Nr. 4 UWG verneint hat. Das OLG hat angenommen, allein der Umstand, dass die Beklagte mehrere Maschinen der Klägerin nachgeahmt habe, begründe den Vorwurf der gezielten Behinderung nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte hierdurch Kosten erspart oder einen sonstigen Wettbewerbsvorteil erzielt habe. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das OLG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die bloße Nachahmung für sich alleine den Tatbestand des § 4 Nr. 4 UWG nicht erfüllt, sondern zusätzliche Unlauterkeitsmerkmale erforderlich sind. Auch der Umstand, dass die Mitbewerberin infolge der Vermarktung des nachgeahmten Produkts die Preise senken muss, reicht für sich genommen nicht für die Annahme einer gezielten Behinderung aus; eine solche Preissenkung kann die Folge eines wettbewerbsrechtlich erwünschten lauteren Wettbewerbs sein.

Das OLG hat jedoch nicht berücksichtigt, dass eine Behinderung i.S.v. § 4 Nr. 4 UWG beim systematischen Nachbau einer Vielzahl eigenartiger Erzeugnisse eines Mitbewerbers in Betracht kommt. In einem solchen Fall können ein zielbewusstes Anhängen an eine Vielzahl von Produkten eines Mitbewerbers, die freie Wählbarkeit einer Fülle von Gestaltungselementen und die aufgrund der Ersparung kostspieliger, eigener Entwicklungsarbeit mögliche erhebliche Preisunterbietung in Verbindung mit den daraus erzielten Wettbewerbsvorteilen den Vorwurf der Unlauterkeit begründen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist der Grad der wettbewerblichen Eigenart ebenso wie der Grad der Nachahmung einzubeziehen. Diesen Maßstäben wird das Urteil des OLG nicht gerecht.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück