12.03.2013

Abhängigkeit der Höhe der Rendite einer Beteiligung an einer fondsbasierten Lebensversicherung vom Tod versicherter Personen ist sittenwidrig

Eine "Kapitalanlage", die so konzipiert ist, dass die Höhe der Rendite von dem Tod von Mitmenschen abhängt, ist sittenwidrig. Dasselbe gilt für ein den Verkauf eines derartigen Produktes förderndes, auf den Absatz entsprechender Fondsbeteiligungen gerichtetes Beratungsverhältnis.

LG Frankfurt a.M. 28.2.2013, 2-10 O 265/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin zeichnete im Dezember 2004 nach vorangegangener Beratung durch die Beklagte eine Beteiligung an einer fondsbasierten Lebensversicherung mit einer Gesamtbeitragssumme von insgesamt 200.000 €, verteilt über fünf Jahre. Die von der Klägerin zu leistenden Beiträge sollten zu je 50 Prozent in einen Fonds eingebracht werden, der am britischen Sekundärmarkt für Kapitallebensversicherung investierte und andererseits in einen Fonds, der in amerikanische "Whole Life Policen" am Sekundärmarkt investierte.

Das Investment in die amerikanischen Policen wird in einem Fact Sheet vorgestellt. Hier heißt es u.a., Investitionsprinzip sei es, dass "amerikanische Risikopolicen von U.S.-domizilierten Personen gekauft" würden, wobei die versicherten Personen nicht weniger als 65 Jahre alt sein dürften und im Durchschnitt zwischen 80 und 85 Jahre alt seien. Die Erträge seien "hauptsächlich von der Sterblichkeit der versicherten Personen" abhängig. In einer "Ergänzenden Produkterläuterung" heißt es, Policen von Personen mit einer krankheitsbedingten Lebenserwartung von weniger als 2 Jahren würden "aus ethischen Gründen" ausgeschlossen. Der Ertrag der Police hänge hauptsächlich von der Sterblichkeit der versicherten Person ab. Der Tod der versicherten Person vor dem hierfür statistisch errechneten Zeitpunkt führe "grundsätzlich zu einer höheren Rendite"; ein später eintretender Todesfall beeinflusse "die Rendite negativ".

Mit einer Anlage zum Jahresbericht 2010 teilte die Versicherung mit, es hätten sich im Zusammenhang mit den U.S.-amerikanischen Risikolebensversicherungen Entwicklungen ergeben, "die von unseren bisherigen Annahmen erheblich abweichen" und ließ vier Szenarien durchrechnen mit einem, zwei, vier bzw. sechs "durchschnittlichen Todesfällen pro Jahr" mit der Darstellung der entsprechenden Auswirkungen auf die Rendite der Anleger. Mit der Begründung, über die Produktrisiken - auch mit Blick auf eine im Jahr 2004 neu vorgenommene Berechnung der Lebenserwartung - und ein Eigeninteresse der Beklagten nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein, nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe der geleisteten Einlagen nebst vierprozentiger Verzinsung in Anspruch.

Das LG wies die Klage ab.

Die Gründe:
Der Klägerin steht auch bei Zugrundelegung ihres Vorbringens der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Das Anlagegeschäft und der Beratungsvertrag zwischen den Parteien sind gem. § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenverstoßes nichtig.

Eine "Kapitalanlage", die so konzipiert ist, dass die Höhe der Rendite von dem Tod von Mitmenschen abhängt, verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist damit sittenwidrig. Gleiches gilt für ein den Verkauf eines derartigen Produktes förderndes, auf den Absatz entsprechender Fondsbeteiligungen gerichtetes Beratungsverhältnis. Die auf den (konkludenten) Abschluss eines Beratungsvertrages mit einem derartigen Beratungsgegenstand gerichteten Willenserklärungen sind nichtig.

Das streitgegenständliche Modell einer "Kapitalanlage" verstößt unerträglich gegen das Menschenwürdeprinzip in Art. 1 Abs. 1 GG, das es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell infrage stellt. Als ein Verstoß gegen das tragende Konstitutionsprinzip der Menschenwürde ist es anzusehen, wenn durch eine Handlung eine Einstellung erzeugt oder verstärkt wird, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch, der jedem Menschen zukommt, leugnet. Die Förderung einer derartigen Einstellung ist mit der im System der streitgegenständlichen "Kapitalanlage" angelegten Reduktion des Versicherten auf einen Renditefaktor gegeben.

Prinzip des vorliegenden Investments ist es, aus dem Ableben eines Mitmenschen eine höchstmögliche Rendite herauszuholen. Zu diesem Zweck werden nach dem "Investitionsprinzip", wie es im zu dem Produkt erstellten "fact sheet" heißt, aus dem Gesamtmarkt der verkäuflichen Lebensversicherungspolicen diejenigen herausgesucht, mit deren Ableben nach den statistischen Wahrscheinlichkeiten schnellstmöglich gerechnet wird. Es werden nicht wahllos die angebotenen Versicherungen erworben, sondern lediglich solche betreffend Personen über 65 Jahre, wobei ein Durchschnittsalter von 80 bis 85 Jahren erzielt werden soll. Die für den Ankauf zuständigen Portfolio-Manager sind bei dieser Sachlage im Renditeinteresse der Anleger gehalten, den Markt dergestalt zu sondieren, dass die "guten Risiken", mithin diejenigen Personen herausselektiert werden, mit deren Ableben als erstes zu rechnen ist.

Mit der Konzeption, dass der wirtschaftliche Erfolg der Anlage vom Zeitpunkt des Versterbens der Versicherten abhängt, erzeugt bzw. verstärkt das streitgegenständliche Konstrukt bei den "Anlegern" ein im Renditeinteresse liegendes Hoffen darauf, die Versicherten mögen alsbald das Zeitliche segnen. Denn mit jedem weiteren Monat des Überlebens würden weitere Versicherungsprämien zu Lasten des Fondsvermögens und damit zu Lasten des "Anlegers" auflaufen, die die erwartete Rendite schmälern bzw. den entstehenden Verlust vergrößern würden. Im Ergebnis fördert das streitgegenständliche "Investitionsprodukt" das Entstehen bzw. die Vertiefung einer Einstellung dahingehend, den versicherten Mitmenschen im eigenen "Renditeinteresse" den Tod zu wünschen. Dies ist mit den fundamentalen Wertprinzipien des Grundgesetzes unvereinbar.

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