Altes oder neues Recht? Zum Widerruf des Antrags auf Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung
OLG Koblenz v. 8.11.2023 - 10 U 1716/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt die Rückabwicklung von drei Lebensversicherungsverträgen. Der Kläger beantragte im Juli 1994 bei dem Beklagten den Abschluss von drei kapitalbildenden Lebensversicherungsverträgen. Im Antragsformular befand sich jeweils unter der Ziffer IX. ("Schlusserklärungen") Nr. 2. ein umrandetes Feld, das mit in Fettdruck gehaltener Schrift mit Widerrufsrecht überschrieben war und folgende Belehrung enthielt:
"Ich kann meinen Antrag auf Kapital-Lebensversicherung und Unfallversicherung innerhalb von 10 Tagen nach seiner/ihrer Unterzeichnung widerrufen, und zwar auch dann, wenn der Versicherer ihn/sie bereits angenommen hat. Mein Widerruf wird nur wirksam, wenn er in schriftlicher Form innerhalb der genannten Fristen beim Versicherer eingegangen ist."
Der Beklagte nahm die Anträge mit Übersendung der jeweils im August 1994 ausgestellten Versicherungsscheine an. Mit Schreiben vom 8.3.2018 widersprach der Kläger dem Zustandekommen aller Verträge und erklärte vorsorglich jeweils den Rücktritt.
Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger stehen gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Rückzahlung gezahlter Prämien gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB und Herausgabe von Nutzungen gem. § 818 Abs. 1 BGB zu. Die von ihm gegen das Zustandekommen der Verträge erklärten Widersprüche waren unwirksam, da ihm schon kein Widerspruchsrecht zustand. Gleiches gilt, soweit sich der Kläger auf ein Rücktrittsrecht gem. § 8 Abs. 5 VVG in der seit dem 29.7.1994 geltenden Fassung beruft. Vielmehr hatte der Kläger lediglich ein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung, über das er ordnungsgemäß belehrt worden ist und welches er nicht fristgerecht ausgeübt hat.
Zunächst kann sich der Kläger nicht darauf berufen, er sei nicht über sein Widerspruchsrecht i.S.v. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab dem 29.7.1994 geltenden Fassung des VVG belehrt worden, weswegen ihm noch zum Zeitpunkt seiner Erklärung vom 8.3.2018 ein Widerspruchsrecht zugestanden habe. Denn § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. war auf die im Streit stehenden Verträge nicht anwendbar, so dass der Kläger kein Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. hatte. Diese Voraussetzung liegt hier vor. Der Beklagte hat nachgewiesen, dass die von ihm verwendeten Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung von dem seinerzeit zuständigen Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen genehmigt waren.
Der Kläger kann auch kein Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 VVG in der ab dem 29.7.1994 gültigen Fassung herleiten. Maßgeblich ist vielmehr das Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der vom 17.12.1990 bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung. Die Besonderheit liegt vorliegend darin, dass der Kläger seine Anträge auf Abschluss der Lebensversicherungsverträge am 20.7.1994 und damit vor der Änderung des VVG gestellt hat. Diese hat der Beklagte ausweislich des aus den Versicherungsscheinen jeweils ersichtlichen Datums frühestens am 4.8.1994 und damit nach Änderung des VVG angenommen. Insoweit stellt sich die Frage, auf welche Fassung des VVG in diesem Fall abzustellen ist.
Dies ist deswegen von entscheidender Bedeutung, weil sich die Voraussetzungen des zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 8 Abs. 4 VVG geltenden Widerrufsrechts und des zum Zeitpunkt der Vertragsannahme sich aus § 8 Abs. 5 VVG ergebenden Rücktrittsrechts maßgeblich unterscheiden. Während nach § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung die Widerrufsfrist zehn Tage ab Unterzeichnung des Versicherungsantrages betrug, galt für das ab dem 29.7.1994 eingeführte Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG eine Frist von vierzehn Tagen nach Abschluss des Vertrages. Zudem war für die Einhaltung der Frist nach § 8 Abs. 4 VVG der Eingang der Erklärung beim Versicherer maßgeblich, während nach § 8 Abs. 5 VVG zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung genügte.
Der Senat ist der Auffassung, dass dem Kläger ein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung zustand. Unter Anwendung von § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung hat der Kläger sein Widerrufsrecht nicht fristgerecht ausgeübt.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Fortschritt oder Fehlentwicklung im europäischen Versicherungsrecht?
Peter Präve, VersR 2023, 1075
VERSR0057216
Aufsatz:
Aktuelle Rechtsfragen im Zusammenhang mit Policenaufkäufen in der Lebensversicherung
Clara Zöll, VersR 2023, 1065
VERSR0055488
Beratermodul Zeitschriften Wirtschaftsrecht:
Jetzt neu: Führende Zeitschriften zum Wirtschaftsrecht, Aktienrecht, Gesellschaftsrecht und Versicherungsrecht stehen hier zur Online-Recherche bereit. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO bei ausgewählten Zeitschriften (GmbHR, ZIP, VersR). Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
Landesrecht Rheinland-Pfalz
Der Kläger begehrt die Rückabwicklung von drei Lebensversicherungsverträgen. Der Kläger beantragte im Juli 1994 bei dem Beklagten den Abschluss von drei kapitalbildenden Lebensversicherungsverträgen. Im Antragsformular befand sich jeweils unter der Ziffer IX. ("Schlusserklärungen") Nr. 2. ein umrandetes Feld, das mit in Fettdruck gehaltener Schrift mit Widerrufsrecht überschrieben war und folgende Belehrung enthielt:
"Ich kann meinen Antrag auf Kapital-Lebensversicherung und Unfallversicherung innerhalb von 10 Tagen nach seiner/ihrer Unterzeichnung widerrufen, und zwar auch dann, wenn der Versicherer ihn/sie bereits angenommen hat. Mein Widerruf wird nur wirksam, wenn er in schriftlicher Form innerhalb der genannten Fristen beim Versicherer eingegangen ist."
Der Beklagte nahm die Anträge mit Übersendung der jeweils im August 1994 ausgestellten Versicherungsscheine an. Mit Schreiben vom 8.3.2018 widersprach der Kläger dem Zustandekommen aller Verträge und erklärte vorsorglich jeweils den Rücktritt.
Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Dem Kläger stehen gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Rückzahlung gezahlter Prämien gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB und Herausgabe von Nutzungen gem. § 818 Abs. 1 BGB zu. Die von ihm gegen das Zustandekommen der Verträge erklärten Widersprüche waren unwirksam, da ihm schon kein Widerspruchsrecht zustand. Gleiches gilt, soweit sich der Kläger auf ein Rücktrittsrecht gem. § 8 Abs. 5 VVG in der seit dem 29.7.1994 geltenden Fassung beruft. Vielmehr hatte der Kläger lediglich ein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung, über das er ordnungsgemäß belehrt worden ist und welches er nicht fristgerecht ausgeübt hat.
Zunächst kann sich der Kläger nicht darauf berufen, er sei nicht über sein Widerspruchsrecht i.S.v. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab dem 29.7.1994 geltenden Fassung des VVG belehrt worden, weswegen ihm noch zum Zeitpunkt seiner Erklärung vom 8.3.2018 ein Widerspruchsrecht zugestanden habe. Denn § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. war auf die im Streit stehenden Verträge nicht anwendbar, so dass der Kläger kein Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. hatte. Diese Voraussetzung liegt hier vor. Der Beklagte hat nachgewiesen, dass die von ihm verwendeten Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung von dem seinerzeit zuständigen Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen genehmigt waren.
Der Kläger kann auch kein Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 VVG in der ab dem 29.7.1994 gültigen Fassung herleiten. Maßgeblich ist vielmehr das Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der vom 17.12.1990 bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung. Die Besonderheit liegt vorliegend darin, dass der Kläger seine Anträge auf Abschluss der Lebensversicherungsverträge am 20.7.1994 und damit vor der Änderung des VVG gestellt hat. Diese hat der Beklagte ausweislich des aus den Versicherungsscheinen jeweils ersichtlichen Datums frühestens am 4.8.1994 und damit nach Änderung des VVG angenommen. Insoweit stellt sich die Frage, auf welche Fassung des VVG in diesem Fall abzustellen ist.
Dies ist deswegen von entscheidender Bedeutung, weil sich die Voraussetzungen des zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 8 Abs. 4 VVG geltenden Widerrufsrechts und des zum Zeitpunkt der Vertragsannahme sich aus § 8 Abs. 5 VVG ergebenden Rücktrittsrechts maßgeblich unterscheiden. Während nach § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung die Widerrufsfrist zehn Tage ab Unterzeichnung des Versicherungsantrages betrug, galt für das ab dem 29.7.1994 eingeführte Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG eine Frist von vierzehn Tagen nach Abschluss des Vertrages. Zudem war für die Einhaltung der Frist nach § 8 Abs. 4 VVG der Eingang der Erklärung beim Versicherer maßgeblich, während nach § 8 Abs. 5 VVG zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung genügte.
Der Senat ist der Auffassung, dass dem Kläger ein Widerrufsrecht gem. § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung zustand. Unter Anwendung von § 8 Abs. 4 VVG in der bis zum 28.7.1994 geltenden Fassung hat der Kläger sein Widerrufsrecht nicht fristgerecht ausgeübt.
Aufsatz:
Fortschritt oder Fehlentwicklung im europäischen Versicherungsrecht?
Peter Präve, VersR 2023, 1075
VERSR0057216
Aufsatz:
Aktuelle Rechtsfragen im Zusammenhang mit Policenaufkäufen in der Lebensversicherung
Clara Zöll, VersR 2023, 1065
VERSR0055488
Beratermodul Zeitschriften Wirtschaftsrecht:
Jetzt neu: Führende Zeitschriften zum Wirtschaftsrecht, Aktienrecht, Gesellschaftsrecht und Versicherungsrecht stehen hier zur Online-Recherche bereit. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO bei ausgewählten Zeitschriften (GmbHR, ZIP, VersR). Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!