30.04.2024

Anlagevermittler: Zu Plausibilitätsprüfung und Pflicht zur Einsichtnahme in Jahresabschlüsse

Der BGH hat sich vorliegend mit Plausibilitätsprüfungen und der Pflicht zur Einsichtnahme in Jahresabschlüsse durch den Anlagevermittler sowie mit eingeschränkten Bestätigungsvermerken und einseitig gebliebenen (Teil-)Erledigungserklärungen in der Revisionsinstanz in Bezug auf ein auf Freistellung gerichtetes Feststellungsbegehren befasst. Die Entscheidung betrifft i.Ü. die Pflicht des Anlagevermittlers zur Einsichtnahme in von einem Wirtschaftsprüfer testierte Jahresabschlüsse des kapitalsuchenden Unternehmens und zur Aussagekraft eines eingeschränkten Bestätigungsvermerks nach § 322 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB.

BGH v. 21.3.2024 - III ZR 70/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den bei der Nebenintervenientin haftpflichtversicherten Beklagten als Anlagevermittler auf Schadensersatz in Anspruch. Von 2012 bis 2017 zeichnete der Kläger nach Gesprächen mit dem Beklagten fünf Schiffscontainerinvestments bei zur P & R Gruppe gehörenden Gesellschaften mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von rd. 90.000 €. Konkret schloss der Kläger im Dezember 2012 und Dezember 2013 mit der P & R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH, im September 2014 und Oktober 2015 mit der P & R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH und im Juni 2017 mit der P & R Transport-Container GmbH mehrere Kauf- und Verwaltungs- bzw. Vermietungsverträge über diverse Schiffscontainer.

Im Januar 2015 veröffentlichte die P & R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH ihren Jahresabschluss für 2013, den der Wirtschaftsprüfer mit dem eingeschränkten Bestätigungsvermerk versah, dass entgegen § 285 Nrn. 3, 3a und 9a HGB keine Angaben zu nicht in der Bilanz enthaltenen Geschäften (Art, Zweck, Risiken, Vorteile) bzw. zum Gesamtbetrag der sonstigen finanziellen Verpflichtungen gemacht und die Gesamtbezüge der Geschäftsführer nicht angegeben worden seien. Auch die früheren Jahresabschlüsse dieser Gesellschaft für 2006 bis 2011 sowie die der P & R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH für 2006 bis 2013 wurden - vom OLG als offenkundig i.S.d. § 291 ZPO behandelt - jeweils mit einem in gleicher Weise eingeschränkten Testat im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Der Jahresabschluss der P & R Transport-Container GmbH für 2016 wurde ohne Einschränkungen testiert. 2018 wurde über das Vermögen aller drei Gesellschaften das Insolvenzverfahren eröffnet. Bereits seit 2004 hatte der Kläger über den damals noch für die Postbank Finanzierungsberatung AG tätigen Beklagten wiederholt - vorliegend nicht im Streit befindliche - Anlagen bei P & R Gesellschaften getätigt.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG gab ihr teilweise statt; Nach übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen des Klägers und des Beklagten wegen Insolvenzausschüttungen i.H.v. 8.500 € und unter Klageabweisung und Zurückweisung der Berufung im Übrigen verurteilte es den Beklagten zur Zahlung von rd. 55.000 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Abtretung sämtlicher Rechte aus den Beteiligungen und stellte seinen diesbezüglichen Annahmeverzug sowie seine Verpflichtung fest, den Kläger wegen vereinnahmter Mieten i.H.v. insgesamt rd. 27.000 € von Rückzahlungsforderungen des Insolvenzverwalters freizuhalten. Außerdem sprach es dem Kläger eine Teilerstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

Mit ihrer Revision möchte die Nebenintervenientin weiter die vollumfängliche Abweisung der Klage erreichen. Im Revisionsrechtszug hat der Kläger den Rechtsstreit bezüglich des Freistellungsbegehrens einseitig in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Würdigung der Vorinstanz, es liege eine für die dem Verfahren zugrundeliegenden Anlageentscheidungen des Klägers kausale Auskunftspflichtverletzung des Beklagten vor, hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Der Anlagevermittler ist aus dem mit dem Anlageinteressenten bestehenden Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen regelmäßig (nur) zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände verpflichtet, die für dessen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind. Dagegen ist der Vermittler, anders als der Anlageberater, nicht zu einer fachkundigen Bewertung und Beurteilung der für die Anlageentscheidung wesentlichen Tatsachen verpflichtet. Damit der Vermittler sachgerechte Auskünfte erteilen kann, muss er sich - jedenfalls grundsätzlich - vorab selbst über die Wirtschaftlichkeit der Kapitalanlage und die Bonität des Kapitalsuchenden informieren. Dabei hat er das Anlagekonzept, bzgl. dessen er Auskunft geben soll, wenigstens auf Plausibilität, insbesondere auf wirtschaftliche Tragfähigkeit zu prüfen. Liegen dazu keine objektiven Daten vor oder verfügt er mangels Einholung entsprechender Informationen insoweit nur über unzureichende Kenntnisse, muss er dies dem anderen Teil offenlegen.

Zu Recht hat das OLG auch angenommen, dass die Plausibilitätsprüfung in gewissem Umfang Ermittlungspflichten einschließen kann, wenn es um Umstände geht, die nach den vorauszusetzenden Kenntnissen des Vermittlers Zweifel an der inneren Schlüssigkeit einer mitgeteilten Tatsache zu begründen vermögen. Dabei dürfen allerdings keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden; der mit der notwendigen Überprüfung verbundene Aufwand muss dem Vermittler zumutbar sein. Wo die Grenzen der Informations- und einer ggf. im Rahmen des Zumutbaren bestehenden Ermittlungspflicht des Anlagevermittlers im einzelnen Fall zu ziehen sind, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Von Bedeutung ist dabei etwa die Situation, wie sie sich bei der betreffenden Anlageentscheidung insgesamt darstellt, die Geschäftserfahrung und der konkrete Kenntnisstand des Anlageinteressenten, von diesem möglicherweise abgefragte Informationen sowie die Frage, in welchem Maße der Vermittler Vertrauen und besondere Kenntnisse für sich in Anspruch nimmt. Mit diesen Grundsätzen ist die Ansicht des OLG, den Anlagevermittler treffe ungeachtet der jeweiligen Umstände des Einzelfalls auch "ohne zusätzliche Anhaltspunkte" eine "anlasslose Verpflichtung" zum Abrufen und Lesen der im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten früheren Jahresabschlüsse der kapitalsuchenden Unternehmen und zur Weitervermittlung ihres Inhalts an den Anlageinteressenten, nicht zu vereinbaren.

Auch die von der Revisionserwiderung vorgebrachte Einschätzung, dass die Erteilung eines eingeschränkten Bestätigungsvermerks durch den Abschlussprüfer nach § 322 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB unabhängig von Inhalt und Begründung der Einschränkung stets als "rote Flagge" in Bezug auf die Solvenz und die Seriosität eines Unternehmens anzusehen sei, rechtfertigt keine von den Umständen des Einzelfalls losgelöste, anlasslose Pflicht des Vermittlers zur Kenntnisnahme (zumindest) der erteilten Testate. Ebenso wie der uneingeschränkte bringt auch der eingeschränkte Bestätigungsvermerk einen zusammenfassenden "Positivbefund" der Rechnungslegung zum Ausdruck und nicht notwendig eine negative Einschätzung der Unternehmenslage. Er ist bei - wie hier - Prüfungshemmnissen wegen nicht gemachter Angaben zu erteilen, wenn der Abschlussprüfer zu dem Schluss gelangt, dass deren mögliche Auswirkungen auf den Jahresabschluss, den Lagebericht bzw. einen sonstigen Prüfungsgegenstand wesentlich, aber nicht umfassend sind.

Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Ob der Beklagte jeweils bei seinen Telefonaten mit dem Kläger die mit eingeschränkten Bestätigungsvermerken veröffentlichten früheren Jahresabschlüsse der P & R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH und der P & R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH kannte, ist unklar geblieben. Aus dem Berufungsurteil ergibt sich zwar zutreffend, dass dies vorinstanzlich zwischen den Parteien streitig gewesen ist. Feststellungen dazu hat das OLG aber nicht getroffen. Es hat daher nicht erwogen, ob der Beklagte im Rahmen seiner auskunftsvertraglichen Verpflichtung zu richtiger und vollständiger Information über die für den Anlageentschluss des Klägers besonders bedeutsamen Umstände gehalten gewesen wäre, diesen deshalb auch auf die mit eingeschränkten Bestätigungsvermerken versehenen früheren Jahresabschlüsse der P & R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH und der P & R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH hinzuweisen, weil sie ihm selbst bekannt - und, was für die Kausalität einer solchen (etwaigen) Aufklärungspflichtverletzung bedeutsam wäre, dem Kläger unbekannt - waren.

Soweit es die einseitig gebliebene Teilerledigungserklärung des Klägers in der Revisionsinstanz betrifft, ist die Sache nicht entscheidungsreif. Der Kläger hat mit seiner Revisionserwiderung den Rechtsstreit teilweise, nämlich hinsichtlich des auf Freistellung von Rückzahlungsforderungen des Insolvenzverwalters gerichteten Feststellungsbegehrens, für erledigt erklärt Eine einseitige (Teil-)Erledigungserklärung des Klägers in der Revisionsinstanz ist jedenfalls dann zulässig und zu berücksichtigen, wenn - wie hier - das Ereignis, das die Hauptsache erledigt haben soll, als solches außer Streit steht. Sie bildet eine gem. § 264 Nr. 2 ZPO privilegierte Klageänderung auf den Feststellungsantrag, dass die Hauptsache erledigt sei. Zu prüfen ist dann, ob die Klage bis zum geltend gemachten erledigenden Ereignis zulässig und begründet war und durch dieses Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Erledigung der Hauptsache festzustellen. Anderenfalls ist die Klage abzuweisen oder, wenn sie - wie hier nicht - in der Vorinstanz erfolglos war, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

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