Anscheinsbeweis: Nicht ausreichende Insolvenzmasse zur Befriedigung aller Gläubigeransprüche
BGH v. 7.12.2023 - IX ZR 36/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 25.8.2014 auf Eigenantrag vom 4.6.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der h. GmbH & Co. KG (Schuldnerin). Die Ehefrau des Beklagten ist Kommanditistin der Schuldnerin mit einer Hafteinlage von 200.000 € sowie Gesellschafterin der Komplementärin der Schuldnerin. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung und der Vertrieb von sog. Trockensubstanzanalysatoren ("Q-Dry"). Der Beklagte war als Gesellschafter einer GbR Ideengeber für das Produkt. Die Schuldnerin hatte aufgrund einer Lizenzvereinbarung für jeden fertiggestellten Analysator eine Gebühr an die GbR zu entrichten. Zahlungen auf diese Verpflichtung erfolgten nicht. Die Ehefrau des Beklagten erwarb die für die Herstellung der Analysatoren erforderlichen Werkzeuge und Vorrichtungen, die sie ihrerseits an die Schuldnerin verpachtete. Dazu schlossen die Ehefrau des Beklagten und die Schuldnerin einen Vertrag mit Laufzeit vom 1.1.2010 bis 31.12.2013, wonach die Pachtzinsen kreditiert wurden. Eine Zahlung darauf erfolgte ebenfalls nicht. Die Jahresabschlüsse 2011 und 2012 der Schuldnerin wiesen Fehlbeträge von rd. 86.000 € und 252.000 € aus, die Umsätze gingen zugleich von rd. 244.000 € auf 82.000 € zurück.
Die Schuldnerin unterhielt ein Konto bei der R. eG (Bank); die Bank räumte ihr einen Kontokorrentkredit i.H.v. 100.000 € ein. Der Beklagte übernahm für diesen Kredit eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 100.000 €. Zudem gewährte der Beklagte der Schuldnerin seinerseits ein Darlehen. Ende 2013 forderte der Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin die Ehefrau des Beklagten auf, 200.000 € auf ihre erweiterte Hafteinlage zu zahlen. Die Ehefrau des Beklagten überwies daraufhin am 14.2.2014 diesen Betrag von einem gemeinsamen Konto mit dem Beklagten an die Schuldnerin. Am 18.2.2014 überwies die Schuldnerin auf ihr bei der Bank geführtes Konto einen Betrag von 98.000 €. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Konto i.H.v. rd. 97.000 € im Soll. Am 21.2.2014 zahlte die Schuldnerin auf das Darlehen des Beklagten 40.000 €.
Zur Insolvenztabelle wurden zunächst Forderungen i.H.v. rd. 1,85 Mio. € angemeldet. In den folgenden Jahren wurden diese Anmeldungen zum größten Teil zurückgenommen. Zuletzt war noch eine Forderung i.H.v. 20 € zur Tabelle angemeldet. Angemeldet und später vollständig zurückgenommen wurden u.a. eine Forderung der GbR wegen Lizenzgebühren i.H.v. rd. 47.000 €, die Forderung eines Steuerberaters über rd. 5.000 € sowie - bis auf den Betrag von 20 € - eine Forderung der Ehefrau des Beklagten über rd. 321.000 €. Das Massekonto weist einen Habensaldo von rd. 400 € auf. Der Kläger verlangt von dem Beklagten im Wege der Anfechtung Erstattung der beiden Zahlungen der Schuldnerin i.H.v. insgesamt 138.000 €.
LG und OLG gaben der Klage ganz überwiegend - i.H.v. rd. 137.000 € - statt. Auf die Revision des Beklagten änderte der BGH die Urteile der Vorinstanzen insoweit, als die Klage auch wegen eines Betrags von rd. 97.000 € nebst Zinsen abgewiesen wird, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Anspruch des Bürgen auf Befreiung von der Bürgschaftsverpflichtung und der Anspruch des Gläubigers auf Erfüllung der Hauptschuld richten sich beide gegen den Schuldner. Beide Forderungen bestehen nebeneinander. Ihr Verhältnis ist nicht mit einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung vergleichbar. Soweit die Erfüllung der Hauptforderung zugleich zur Befreiung des Bürgen von seiner Bürgschaftsverpflichtung führt, handelt es sich um eine gesetzlich angeordnete Folge (§ 767 Abs. 1 BGB). Ein etwaiger Freistellungsanspruch des Bürgen gem. § 775 BGB steht einem Zahlungsanspruch des Bürgen gegen den Schuldner nicht gleich. Die Vollstreckung des Freistellungsanspruchs durch den Bürgen gegen den Hauptschuldner erfolgt nach § 887 ZPO, mithin als vertretbare Handlung des Schuldners. Selbst wenn der Hauptschuldner mit seiner Zahlung an den Gläubiger (auch) einem eventuellen Befreiungsanspruch des Bürgen nachkommen will, tritt die Befreiung des Bürgen als Folge der Erfüllung der Hauptforderung allein aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft ein. Die Leistung des Schuldners an den Gläubiger zur Erfüllung der gesicherten Hauptschuld führt jedoch nicht dazu, dass das Vermögen des Bürgen einen dieser eingetretenen Vermögensminderung entsprechenden Vorteil erlangt. Die Befreiung des Bürgen entspricht nicht der durch die Befriedigung der Hauptschuld eingetretenen Vermögensminderung beim Schuldner.
Die Richtigkeit dieses Ergebnisses belegt der Blick auf die Rechtsfolgen. Ist der Bürge aufgrund der Befriedigung des Gläubigers gem. § 767 Abs. 1 BGB von seiner Bürgschaftsverpflichtung freigeworden, führte eine auf die Erfüllung der Hauptforderung gestützte Anfechtung gegenüber dem freigewordenen Bürgen gem. § 143 Abs. 1 InsO grundsätzlich zum Wiederaufleben der Bürgschaft. Ein solches Wiederaufleben wäre jedoch infolge der Akzessorietät der Bürgschaft nur möglich, wenn die Befriedigung des Gläubigers erfolgreich angefochten und somit die Hauptforderung gegen den Schuldner neu begründet wird. Zu Unrecht meint das OLG, ein Wertersatzanspruch gegen den freigewordenen Bürgen gem. § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 292 Abs. 1, § 989 BGB folge daraus, dass angesichts des Erlöschens der Hauptschuld das Wiederaufleben der Bürgschaft unmöglich sei. Dies kommt im Ergebnis einer Leistungsverpflichtung des Bürgen an die Insolvenzmasse gleich. Eine solche Rechtsfolge eines Anfechtungsanspruchs sieht das Gesetz jedoch nur in § 143 Abs. 3 InsO für den Anfechtungstatbestand des § 135 Abs. 2 InsO vor. Der Bürge müsste dann für eine bereits erfüllte Hauptforderung - ohne Anfechtung der Erfüllung - einstehen; dies liefe auf die Begründung einer neuen, nicht akzessorischen Forderung allein gegenüber dem Bürgen hinaus. Das widerspräche Sinn und Zweck der Bürgschaft und § 765 Abs. 1, § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Das OLG nimmt indes rechtsfehlerfrei an, dass die Zahlung des Betrags von 40.000 € an den Beklagten die Gläubiger benachteiligte. Im Ausgangspunkt ist die Gläubigerbenachteiligung von dem Insolvenzverwalter zu beweisen. Grundsätzlich spricht nach der Lebenserfahrung ein Anscheinsbeweis dafür, dass in dem eröffneten Verfahren die Masse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen. Sind die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises für eine weiterhin bestehende Gläubigerbenachteiligung erfüllt, kann der Anfechtungsgegner diesen - neben der Möglichkeit ihn zu erschüttern - nach allgemeinen Beweisgrundsätzen entkräften. Hierzu muss der Anfechtungsgegner aufzeigen, dass das Vermögen des Schuldners heute noch ausreicht, um alle zu berücksichtigenden Gläubigerforderungen zu tilgen. Einzubeziehen sind auch alle Forderungen, denen der Insolvenzverwalter widersprochen hat, weil nach der Lebenserfahrung die Möglichkeit besteht, dass ein Widerspruch durch eine Feststellungsklage (§ 179 InsO) beseitigt werden kann. Liegt der Fall so, muss der Anfechtungsgegner nachweisen, dass die angemeldeten Forderungen nicht bestehen oder nicht durchsetzbar sind und eine Feststellung zur Tabelle unter jedem Gesichtspunkt ausscheidet. Dabei muss der Tatrichter angesichts der fehlenden Bindungswirkung in seine Würdigung einbeziehen, dass die Frage in einem Feststellungsprozess möglicherweise abweichend entschieden werden wird.
Dass eine Feststellung zur Tabelle unter jedem Gesichtspunkt ausscheidet, folgt nicht allein aus der Rücknahme der Forderungsanmeldung. Dem steht entgegen, dass ein Insolvenzgläubiger grundsätzlich berechtigt ist, seine Forderung erneut anzumelden. Damit ist eine Rücknahme der Forderungsanmeldung nur dann erheblich, wenn der Gläubiger damit entweder endgültig auf die Teilnahme am Insolvenzverfahren verzichtet oder aufgrund der Rücknahme ein Erlass der Forderung (§ 397 BGB) erfolgt. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter durch Auslegung der Erklärung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Das OLG hat diese Maßstäbe beachtet. Seine Annahme, die Zahlung der Schuldnerin an den Beklagten über 40.000 € benachteilige deren Gläubiger, weist keine durchgreifenden Rechtsfehler auf.
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BGH online
Der Kläger ist Verwalter in dem am 25.8.2014 auf Eigenantrag vom 4.6.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der h. GmbH & Co. KG (Schuldnerin). Die Ehefrau des Beklagten ist Kommanditistin der Schuldnerin mit einer Hafteinlage von 200.000 € sowie Gesellschafterin der Komplementärin der Schuldnerin. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung und der Vertrieb von sog. Trockensubstanzanalysatoren ("Q-Dry"). Der Beklagte war als Gesellschafter einer GbR Ideengeber für das Produkt. Die Schuldnerin hatte aufgrund einer Lizenzvereinbarung für jeden fertiggestellten Analysator eine Gebühr an die GbR zu entrichten. Zahlungen auf diese Verpflichtung erfolgten nicht. Die Ehefrau des Beklagten erwarb die für die Herstellung der Analysatoren erforderlichen Werkzeuge und Vorrichtungen, die sie ihrerseits an die Schuldnerin verpachtete. Dazu schlossen die Ehefrau des Beklagten und die Schuldnerin einen Vertrag mit Laufzeit vom 1.1.2010 bis 31.12.2013, wonach die Pachtzinsen kreditiert wurden. Eine Zahlung darauf erfolgte ebenfalls nicht. Die Jahresabschlüsse 2011 und 2012 der Schuldnerin wiesen Fehlbeträge von rd. 86.000 € und 252.000 € aus, die Umsätze gingen zugleich von rd. 244.000 € auf 82.000 € zurück.
Die Schuldnerin unterhielt ein Konto bei der R. eG (Bank); die Bank räumte ihr einen Kontokorrentkredit i.H.v. 100.000 € ein. Der Beklagte übernahm für diesen Kredit eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 100.000 €. Zudem gewährte der Beklagte der Schuldnerin seinerseits ein Darlehen. Ende 2013 forderte der Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin die Ehefrau des Beklagten auf, 200.000 € auf ihre erweiterte Hafteinlage zu zahlen. Die Ehefrau des Beklagten überwies daraufhin am 14.2.2014 diesen Betrag von einem gemeinsamen Konto mit dem Beklagten an die Schuldnerin. Am 18.2.2014 überwies die Schuldnerin auf ihr bei der Bank geführtes Konto einen Betrag von 98.000 €. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Konto i.H.v. rd. 97.000 € im Soll. Am 21.2.2014 zahlte die Schuldnerin auf das Darlehen des Beklagten 40.000 €.
Zur Insolvenztabelle wurden zunächst Forderungen i.H.v. rd. 1,85 Mio. € angemeldet. In den folgenden Jahren wurden diese Anmeldungen zum größten Teil zurückgenommen. Zuletzt war noch eine Forderung i.H.v. 20 € zur Tabelle angemeldet. Angemeldet und später vollständig zurückgenommen wurden u.a. eine Forderung der GbR wegen Lizenzgebühren i.H.v. rd. 47.000 €, die Forderung eines Steuerberaters über rd. 5.000 € sowie - bis auf den Betrag von 20 € - eine Forderung der Ehefrau des Beklagten über rd. 321.000 €. Das Massekonto weist einen Habensaldo von rd. 400 € auf. Der Kläger verlangt von dem Beklagten im Wege der Anfechtung Erstattung der beiden Zahlungen der Schuldnerin i.H.v. insgesamt 138.000 €.
LG und OLG gaben der Klage ganz überwiegend - i.H.v. rd. 137.000 € - statt. Auf die Revision des Beklagten änderte der BGH die Urteile der Vorinstanzen insoweit, als die Klage auch wegen eines Betrags von rd. 97.000 € nebst Zinsen abgewiesen wird, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Der Anspruch des Bürgen auf Befreiung von der Bürgschaftsverpflichtung und der Anspruch des Gläubigers auf Erfüllung der Hauptschuld richten sich beide gegen den Schuldner. Beide Forderungen bestehen nebeneinander. Ihr Verhältnis ist nicht mit einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung vergleichbar. Soweit die Erfüllung der Hauptforderung zugleich zur Befreiung des Bürgen von seiner Bürgschaftsverpflichtung führt, handelt es sich um eine gesetzlich angeordnete Folge (§ 767 Abs. 1 BGB). Ein etwaiger Freistellungsanspruch des Bürgen gem. § 775 BGB steht einem Zahlungsanspruch des Bürgen gegen den Schuldner nicht gleich. Die Vollstreckung des Freistellungsanspruchs durch den Bürgen gegen den Hauptschuldner erfolgt nach § 887 ZPO, mithin als vertretbare Handlung des Schuldners. Selbst wenn der Hauptschuldner mit seiner Zahlung an den Gläubiger (auch) einem eventuellen Befreiungsanspruch des Bürgen nachkommen will, tritt die Befreiung des Bürgen als Folge der Erfüllung der Hauptforderung allein aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft ein. Die Leistung des Schuldners an den Gläubiger zur Erfüllung der gesicherten Hauptschuld führt jedoch nicht dazu, dass das Vermögen des Bürgen einen dieser eingetretenen Vermögensminderung entsprechenden Vorteil erlangt. Die Befreiung des Bürgen entspricht nicht der durch die Befriedigung der Hauptschuld eingetretenen Vermögensminderung beim Schuldner.
Die Richtigkeit dieses Ergebnisses belegt der Blick auf die Rechtsfolgen. Ist der Bürge aufgrund der Befriedigung des Gläubigers gem. § 767 Abs. 1 BGB von seiner Bürgschaftsverpflichtung freigeworden, führte eine auf die Erfüllung der Hauptforderung gestützte Anfechtung gegenüber dem freigewordenen Bürgen gem. § 143 Abs. 1 InsO grundsätzlich zum Wiederaufleben der Bürgschaft. Ein solches Wiederaufleben wäre jedoch infolge der Akzessorietät der Bürgschaft nur möglich, wenn die Befriedigung des Gläubigers erfolgreich angefochten und somit die Hauptforderung gegen den Schuldner neu begründet wird. Zu Unrecht meint das OLG, ein Wertersatzanspruch gegen den freigewordenen Bürgen gem. § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 292 Abs. 1, § 989 BGB folge daraus, dass angesichts des Erlöschens der Hauptschuld das Wiederaufleben der Bürgschaft unmöglich sei. Dies kommt im Ergebnis einer Leistungsverpflichtung des Bürgen an die Insolvenzmasse gleich. Eine solche Rechtsfolge eines Anfechtungsanspruchs sieht das Gesetz jedoch nur in § 143 Abs. 3 InsO für den Anfechtungstatbestand des § 135 Abs. 2 InsO vor. Der Bürge müsste dann für eine bereits erfüllte Hauptforderung - ohne Anfechtung der Erfüllung - einstehen; dies liefe auf die Begründung einer neuen, nicht akzessorischen Forderung allein gegenüber dem Bürgen hinaus. Das widerspräche Sinn und Zweck der Bürgschaft und § 765 Abs. 1, § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Das OLG nimmt indes rechtsfehlerfrei an, dass die Zahlung des Betrags von 40.000 € an den Beklagten die Gläubiger benachteiligte. Im Ausgangspunkt ist die Gläubigerbenachteiligung von dem Insolvenzverwalter zu beweisen. Grundsätzlich spricht nach der Lebenserfahrung ein Anscheinsbeweis dafür, dass in dem eröffneten Verfahren die Masse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen. Sind die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises für eine weiterhin bestehende Gläubigerbenachteiligung erfüllt, kann der Anfechtungsgegner diesen - neben der Möglichkeit ihn zu erschüttern - nach allgemeinen Beweisgrundsätzen entkräften. Hierzu muss der Anfechtungsgegner aufzeigen, dass das Vermögen des Schuldners heute noch ausreicht, um alle zu berücksichtigenden Gläubigerforderungen zu tilgen. Einzubeziehen sind auch alle Forderungen, denen der Insolvenzverwalter widersprochen hat, weil nach der Lebenserfahrung die Möglichkeit besteht, dass ein Widerspruch durch eine Feststellungsklage (§ 179 InsO) beseitigt werden kann. Liegt der Fall so, muss der Anfechtungsgegner nachweisen, dass die angemeldeten Forderungen nicht bestehen oder nicht durchsetzbar sind und eine Feststellung zur Tabelle unter jedem Gesichtspunkt ausscheidet. Dabei muss der Tatrichter angesichts der fehlenden Bindungswirkung in seine Würdigung einbeziehen, dass die Frage in einem Feststellungsprozess möglicherweise abweichend entschieden werden wird.
Dass eine Feststellung zur Tabelle unter jedem Gesichtspunkt ausscheidet, folgt nicht allein aus der Rücknahme der Forderungsanmeldung. Dem steht entgegen, dass ein Insolvenzgläubiger grundsätzlich berechtigt ist, seine Forderung erneut anzumelden. Damit ist eine Rücknahme der Forderungsanmeldung nur dann erheblich, wenn der Gläubiger damit entweder endgültig auf die Teilnahme am Insolvenzverfahren verzichtet oder aufgrund der Rücknahme ein Erlass der Forderung (§ 397 BGB) erfolgt. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter durch Auslegung der Erklärung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Das OLG hat diese Maßstäbe beachtet. Seine Annahme, die Zahlung der Schuldnerin an den Beklagten über 40.000 € benachteilige deren Gläubiger, weist keine durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Kommentierung | InsO
§ 129 Grundsatz
Thole in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Kommentierung | InsO
§ 133 Vorsätzliche Benachteiligung
Thole in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
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§ 143 Rechtsfolgen
Thole/Kleindiek in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Beratermodul Insolvenzrecht:
Kombiniert bewährte Inhalte von C.F. Müller und Otto Schmidt zu Insolvenzrecht, Sanierung und Restrukturierung in einer Online-Bibliothek. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!