Anspruch auf Löschung einer Gegendarstellung aus dem Online-Archiv eines Presseorgans
BGH v. 28.9.2021 - VI ZR 1228/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Entfernung einer von ihm selbst erwirkten Gegendarstellung aus deren Online-Archiv in Anspruch. Die Beklagte veröffentlichte am 15.1.2016 auf ihrem Online-Portal "www.bild.de" einen den Kläger identifizierenden Artikel, in welchem über ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren berichtet wurde. Dabei wurde auch behauptet, gegen den Kläger werde wegen des Verdachts der Zuhälterei ermittelt und er habe einen Großteil der Taten gestanden. Auf Verlangen des Klägers veröffentlichte die Beklagte am 24.1.2016 die folgende, mit seinem vollen Namen gezeichnete Gegendarstellung:
"Gegendarstellung
Auf bild.de wurde am 15.1.2016 darüber berichtet, dass die 'Kripo wegen des Verdachts der Zuhälterei' gegen mich ermittelt und ich den 'Großteil der Taten gestanden' hätte.
Die Behauptungen sind unwahr. Richtig ist, dass ich kein Geständnis abgab und gegen mich nicht wegen Zuhälterei ermittelt wird.
Frankfurt 24.01.2016
CS
Anmerkung der Redaktion: CS hat recht."
Darüber hinaus erwirkte der Kläger im Februar 2016 eine einstweilige Verfügung gegen die Beklagte, worauf diese sich im Wege der Abschlusserklärung verpflichtete, die folgenden Behauptungen zu unterlassen: "Er hat einen Großteil der Taten gestanden. Nach BILD-Informationen ermittelt die Kripo wegen Verdachts der Zuhälterei."
Die angegriffenen Äußerungen sowie der Artikel vom 15.1.2016 sind auf der Webseite der Beklagten nicht mehr verfügbar. Die Gegendarstellung kann weiterhin über ihre URL und über die Suchfunktion auf der Webseite der Beklagten abgerufen werden. Bei einer Suche nach dem Namen des Klägers auf der Webseite der Beklagten erscheint insoweit lediglich ein Sucheintrag mit dem Titel "Gegendarstellung". Bei einer Suche nach dem Namen des Klägers mit der Suchmaschine "Google" erscheint die Gegendarstellung auf den ersten zehn Ergebnisseiten nicht. Im November 2017 erging gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen (§ 182 StGB). Die Zulässigkeit der Berichterstattung vom 15.1.2016 im Übrigen war Gegenstand eines gesonderten Verfahrens (vgl. hierzu Senatsurteil vom 17.12.2019 - VI ZR 249/18, AfP 2020, 143).
LG und OLG gaben der auf Unterlassung des weiteren Vorhaltens der Gegendarstellung auf der Webseite der Beklagten gerichteten Klage statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Gegendarstellungsanspruch dient seiner Natur nach vorrangig dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Demjenigen, dessen Angelegenheiten in den Medien öffentlich erörtert werden, wird ein Anspruch darauf eingeräumt, an gleicher Stelle, mit derselben Publizität und vor demselben Forum mit einer eigenen Darstellung zu Wort zu kommen; er kann sich alsbald und damit besonders wirksam verteidigen, während etwaige daneben bestehende zivil- und strafrechtliche Mittel des Persönlichkeitsschutzes bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst in einem Zeitpunkt zum Erfolg führen, in dem der zugrundeliegende Vorgang in der Öffentlichkeit bereits wieder vergessen ist. Die Gegendarstellung bleibt dabei stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden. Der Betroffene kann nur den in der Erstmitteilung enthaltenen Tatsachen widersprechen und muss dabei einen angemessenen Rahmen wahren, der regelmäßig durch den Umfang des beanstandeten Textes bestimmt wird. Die Gegendarstellung ist damit von der Erstmitteilung abhängig.
Vor diesem Hintergrund kann der Kläger nach den Umständen des Falles von der Beklagten die Entfernung seiner Gegendarstellung vom 24.1.2016 aus deren Online-Archiv verlangen, § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Mit dem fortdauernden Vorhalten der Gegendarstellung zum Abruf in ihrem Online-Archiv greift die Beklagte in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht der persönlichen Ehre und des guten Rufes ein. Durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung werden die dort enthaltenen - unwahren - Vorwürfe in der Gegendarstellung gespiegelt und damit - wenn auch in verneinter und damit für sich genommen zutreffender Form - in Erinnerung gerufen. Auch wenn die hier maßgeblichen Behauptungen der Erstmitteilung in der Gegendarstellung in Abrede sowie in der redaktionellen Anmerkung der Beklagten richtiggestellt werden, machen sie diese doch gleichsam im Reflex weiterhin zugänglich, geben Anlass und eröffnen Raum für Spekulation und beeinträchtigen damit das Ansehen des Klägers - semper aliquid haeret.
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Gegendarstellung selbst formuliert und die Beklagte sie ursprünglich auf Verlangen des Klägers auf ihrer Webseite eingestellt hat. Denn der Kläger war gegendarstellungsrechtlich gehalten, bei Formulierung seiner Gegendarstellung an die Erstmitteilung anzuknüpfen, die Erstmitteilung folglich konkret zu bezeichnen und diejenigen Tatsachenbehauptungen, gegen die er sich wenden wollte, konkret und zutreffend wiederzugeben (vgl. u.a. Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl., Rn. 29.28; Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 11 Rn. 78 ff.). Der Kläger hat damit nicht etwa freiwillig selbst die nun beanstandeten Informationen offenbart, sondern war hierzu durch die - unwahre Tatsachenbehauptungen enthaltende - Erstmitteilung der Beklagten gezwungen, wenn er von seinem Recht auf Gegendarstellung Gebrauch machen wollte. Diese Rechtsausübung kann jedenfalls im Verhältnis zum Erstschädiger nicht gegen ihn gewendet werden. Andernfalls führte die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Gegendarstellungsrechts im Ergebnis zu einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition des Klägers.
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Der Kläger nimmt die Beklagte auf Entfernung einer von ihm selbst erwirkten Gegendarstellung aus deren Online-Archiv in Anspruch. Die Beklagte veröffentlichte am 15.1.2016 auf ihrem Online-Portal "www.bild.de" einen den Kläger identifizierenden Artikel, in welchem über ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren berichtet wurde. Dabei wurde auch behauptet, gegen den Kläger werde wegen des Verdachts der Zuhälterei ermittelt und er habe einen Großteil der Taten gestanden. Auf Verlangen des Klägers veröffentlichte die Beklagte am 24.1.2016 die folgende, mit seinem vollen Namen gezeichnete Gegendarstellung:
"Gegendarstellung
Auf bild.de wurde am 15.1.2016 darüber berichtet, dass die 'Kripo wegen des Verdachts der Zuhälterei' gegen mich ermittelt und ich den 'Großteil der Taten gestanden' hätte.
Die Behauptungen sind unwahr. Richtig ist, dass ich kein Geständnis abgab und gegen mich nicht wegen Zuhälterei ermittelt wird.
Frankfurt 24.01.2016
CS
Anmerkung der Redaktion: CS hat recht."
Darüber hinaus erwirkte der Kläger im Februar 2016 eine einstweilige Verfügung gegen die Beklagte, worauf diese sich im Wege der Abschlusserklärung verpflichtete, die folgenden Behauptungen zu unterlassen: "Er hat einen Großteil der Taten gestanden. Nach BILD-Informationen ermittelt die Kripo wegen Verdachts der Zuhälterei."
Die angegriffenen Äußerungen sowie der Artikel vom 15.1.2016 sind auf der Webseite der Beklagten nicht mehr verfügbar. Die Gegendarstellung kann weiterhin über ihre URL und über die Suchfunktion auf der Webseite der Beklagten abgerufen werden. Bei einer Suche nach dem Namen des Klägers auf der Webseite der Beklagten erscheint insoweit lediglich ein Sucheintrag mit dem Titel "Gegendarstellung". Bei einer Suche nach dem Namen des Klägers mit der Suchmaschine "Google" erscheint die Gegendarstellung auf den ersten zehn Ergebnisseiten nicht. Im November 2017 erging gegen den Kläger ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen (§ 182 StGB). Die Zulässigkeit der Berichterstattung vom 15.1.2016 im Übrigen war Gegenstand eines gesonderten Verfahrens (vgl. hierzu Senatsurteil vom 17.12.2019 - VI ZR 249/18, AfP 2020, 143).
LG und OLG gaben der auf Unterlassung des weiteren Vorhaltens der Gegendarstellung auf der Webseite der Beklagten gerichteten Klage statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Gegendarstellungsanspruch dient seiner Natur nach vorrangig dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Demjenigen, dessen Angelegenheiten in den Medien öffentlich erörtert werden, wird ein Anspruch darauf eingeräumt, an gleicher Stelle, mit derselben Publizität und vor demselben Forum mit einer eigenen Darstellung zu Wort zu kommen; er kann sich alsbald und damit besonders wirksam verteidigen, während etwaige daneben bestehende zivil- und strafrechtliche Mittel des Persönlichkeitsschutzes bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst in einem Zeitpunkt zum Erfolg führen, in dem der zugrundeliegende Vorgang in der Öffentlichkeit bereits wieder vergessen ist. Die Gegendarstellung bleibt dabei stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden. Der Betroffene kann nur den in der Erstmitteilung enthaltenen Tatsachen widersprechen und muss dabei einen angemessenen Rahmen wahren, der regelmäßig durch den Umfang des beanstandeten Textes bestimmt wird. Die Gegendarstellung ist damit von der Erstmitteilung abhängig.
Vor diesem Hintergrund kann der Kläger nach den Umständen des Falles von der Beklagten die Entfernung seiner Gegendarstellung vom 24.1.2016 aus deren Online-Archiv verlangen, § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Mit dem fortdauernden Vorhalten der Gegendarstellung zum Abruf in ihrem Online-Archiv greift die Beklagte in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht der persönlichen Ehre und des guten Rufes ein. Durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung werden die dort enthaltenen - unwahren - Vorwürfe in der Gegendarstellung gespiegelt und damit - wenn auch in verneinter und damit für sich genommen zutreffender Form - in Erinnerung gerufen. Auch wenn die hier maßgeblichen Behauptungen der Erstmitteilung in der Gegendarstellung in Abrede sowie in der redaktionellen Anmerkung der Beklagten richtiggestellt werden, machen sie diese doch gleichsam im Reflex weiterhin zugänglich, geben Anlass und eröffnen Raum für Spekulation und beeinträchtigen damit das Ansehen des Klägers - semper aliquid haeret.
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Gegendarstellung selbst formuliert und die Beklagte sie ursprünglich auf Verlangen des Klägers auf ihrer Webseite eingestellt hat. Denn der Kläger war gegendarstellungsrechtlich gehalten, bei Formulierung seiner Gegendarstellung an die Erstmitteilung anzuknüpfen, die Erstmitteilung folglich konkret zu bezeichnen und diejenigen Tatsachenbehauptungen, gegen die er sich wenden wollte, konkret und zutreffend wiederzugeben (vgl. u.a. Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl., Rn. 29.28; Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 11 Rn. 78 ff.). Der Kläger hat damit nicht etwa freiwillig selbst die nun beanstandeten Informationen offenbart, sondern war hierzu durch die - unwahre Tatsachenbehauptungen enthaltende - Erstmitteilung der Beklagten gezwungen, wenn er von seinem Recht auf Gegendarstellung Gebrauch machen wollte. Diese Rechtsausübung kann jedenfalls im Verhältnis zum Erstschädiger nicht gegen ihn gewendet werden. Andernfalls führte die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Gegendarstellungsrechts im Ergebnis zu einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition des Klägers.
- Rechtsprechung: OLG Koblenz vom 12.4.2021, 4 W 108/21 - Kein Gegendarstellungsanspruch gegenüber Kanzleimarketing (AfP 2021, 365)
- Rechtsprechung: OLG Karlsruhe vom 6.4.2021, 6 U 51/21 - Gegendarstellungsfähige Behauptung einer Rückkehr zum Ehepartner (AfP 2021, 243)
- Soehring/Hoene, Presserecht, §29 Gegendarstellung Rn. 29.1 ff.
- Handbuch: Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Kap. 11 - Gegendarstellungsanspruch
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