20.01.2022

Anspruch auf Verzugszinsen? Zu den Folgen der Reduzierung einer Geldbuße

Das EuG hat der Deutschen Telekom vorliegend eine Entschädigung i.H.v. rd. 1,8 Mio. € zugesprochen, um den Schaden auszugleichen, der ihr durch die Weigerung der EU-Kommission entstanden ist, ihr Verzugszinsen auf den Betrag der Geldbuße zu zahlen, den sie im Zusammenhang mit einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln rechtsgrundlos gezahlt hatte.

EuG v. 19.1.2022 - T-610/19
Der Sachverhalt:
Im Oktober 2014 verhängte die EU-Kommission gegen die Deutsche Telekom AG eine Geldbuße i.H.v. rd. 31 Mio. € wegen eines gegen Art. 102 AEUV und Art. 54 des EWR-Abkommens verstoßenden Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem slowakischen Markt für Breitbandtelekommunikationsdienste. Die Deutsche Telekom erhob eine Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss, zahlte aber im Januar 2015 die Geldbuße. Mit Urteil vom 13.12.2018 (T-827/14) gab das EuG der Klage der Deutschen Telekom teilweise statt und setzte die Geldbuße in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung um rd. 12 Mio. € herab. Im Februar 2019 erstattete die Kommission der Deutschen Telekom diesen Betrag.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28.6.2019 lehnte es die Kommission hingegen ab, der Deutschen Telekom für den Zeitraum von der Zahlung der Geldbuße bis zur Rückzahlung des für rechtsgrundlos befundenen Teils der Geldbuße Verzugszinsen zu zahlen. Daher erhob die Deutsche Telekom beim EuG Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses sowie auf Verurteilung der Kommission zur Zahlung einer Entschädigung für den entgangenen Gewinn infolge der Vorenthaltung der Nutzung des Hauptbetrags des rechtsgrundlos gezahlten Teils der Geldbuße im fraglichen Zeitraum oder, hilfsweise, auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die Weigerung der Kommission, Verzugszinsen auf diesen Betrag zu zahlen, entstanden sei.

Das EuG gab der Klage teilweise statt und äußerte sich zu der Frage, inwieweit die Kommission verpflichtet ist, Verzugszinsen auf den Teil der Geldbuße zahlen, der dem betroffenen Unternehmen im Anschluss an ein unionsgerichtliches Urteil zu erstatten ist.

Die Gründe:
Der Antrag der Deutschen Telekom, sie im Rahmen der außervertraglichen Haftung der Union für den entgangenen Gewinn zu entschädigen, der ihr durch die Vorenthaltung der Nutzung des rechtsgrundlos gezahlten Teils der Geldbuße im fraglichen Zeitraum entstanden sei und der jährlichen Rendite ihres eingesetzten Kapitals oder ihren gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten entspreche, war zurückzuweisen. Insoweit hängt die außervertragliche Haftung der Union davon ab, dass mehrere kumulative Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht, das tatsächliche Bestehen des Schadens sowie ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß und dem entstandenen Schaden, wofür der Kläger beweispflichtig ist. Die Deutsche Telekom hat keine schlüssigen Beweise dafür vorgelegt, dass der geltend gemachte Schaden tatsächlich und sicher eingetreten ist. Insbesondere hat sie weder nachgewiesen, dass sie den rechtsgrundlos gezahlten Betrag der Geldbuße zwangsläufig in ihre Tätigkeiten investiert hätte, noch, dass die Vorenthaltung der Nutzung dieses Betrags sie dazu veranlasst hat, auf bestimmte konkrete Projekte zu verzichten. In diesem Zusammenhang hat die Deutsche Telekom auch nicht dargetan, dass sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügte, um eine Investitionsmöglichkeit zu nutzen.

Als Zweites hat sich das EuG mit dem von der Deutschen Telekom hilfsweise gestellten Schadensersatzantrag wegen Verstoßes gegen Art. 266 AEUV, dessen Abs. 1 vorsieht, dass die Organe, deren Handeln durch ein unionsgerichtliches Urteil für nichtig erklärt wird, alle sich aus diesem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen haben. Art. 266 Abs. 1 AEUV verleiht dadurch, dass er den Organen die Verpflichtung auferlegt, alle sich aus unionsgerichtlichen Urteilen ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, dem vor dem Unionsgericht erfolgreichen Einzelnen Rechte. Verzugszinsen stellen einen unerlässlichen Bestandteil der den Organen nach dieser Bestimmung obliegenden Verpflichtung zur Wiederherstellung des vorherigen Standes dar. Im Fall der Nichtigerklärung und Herabsetzung einer gegen ein Unternehmen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße ergibt sich folglich aus dieser Bestimmung eine Verpflichtung der Kommission, den rechtsgrundlos gezahlten Betrag der Geldbuße zuzüglich Verzugszinsen zu erstatten.

Da zum einen das anwendbare Haushaltsrecht eine Erstattungsforderung zugunsten des Unternehmens vorsieht, das eine später aufgehobene und herabgesetzte Geldbuße vorläufig gezahlt hat, und zum anderen die Aufhebung und Herabsetzung der Geldbuße durch den Unionsrichter rückwirkend gilt, bestand die Forderung der Deutschen Telekom und war hinsichtlich ihres Höchstbetrags bestimmt, als die Geldbuße vorläufig gezahlt wurde. Die Kommission war daher nach Art. 266 Abs. 1 AEUV verpflichtet, Verzugszinsen auf den vom Gericht für rechtsgrundlos befundenen Teil der Geldbuße zu zahlen, und zwar für den gesamten fraglichen Zeitraum. Sinn dieser Verpflichtung ist, die mit einer objektiven Verspätung zusammenhängende Vorenthaltung eines zu zahlenden Geldbetrags pauschal auszugleichen und die Kommission dazu zu veranlassen, beim Erlass eines Beschlusses, der zur Zahlung einer Geldbuße verpflichtet, besondere Vorsicht walten zu lassen.

Entgegen dem Vorbringen der Kommission steht die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nicht im Widerspruch zur Abschreckungsfunktion von Geldbußen in Wettbewerbssachen, da der Unionsrichter diese Abschreckungsfunktion notwendigerweise berücksichtigt, wenn er von seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung Gebrauch macht, um die Höhe einer Geldbuße rückwirkend herabzusetzen. Im Übrigen muss die Abschreckungsfunktion von Geldbußen mit dem in Art. 47 der Charta der Grundrechte der EU verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in Einklang gebracht werden, dessen Beachtung durch die Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV gewährleistet wird, ergänzt um die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hinsichtlich der Höhe der Geldbuße. Das Gericht weist auch die weiteren Argumente der Kommission zurück.

Zum einen war die Kommission, auch wenn der Betrag der von der Klägerin gezahlten Geldbuße keine Zinsen eingebracht hatte, während er im Besitz der Kommission war, im Anschluss an das Urteil des Gerichts vom 13.18.2018 verpflichtet, der Klägerin den für rechtsgrundlos befundenen Teil der Geldbuße zzgl. Verzugszinsen zurückzuzahlen, ohne dass Art. 90 der Delegierten Verordnung Nr. 1268/2012, der die Einziehung von Geldbußen betrifft, dem entgegenstünde. Überdies ergibt sich die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen unmittelbar aus Art. 266 Abs. 1 AEUV, und die Kommission ist nicht befugt, mit einer Einzelfallentscheidung die Voraussetzungen festzulegen, unter denen sie im Fall der Nichtigerklärung des Beschlusses, mit dem eine Geldbuße verhängt wurde, und im Fall der Herabsetzung der Geldbuße Verzugszinsen zahlen wird. Zum anderen handelt es sich bei den im vorliegenden Fall geschuldeten Zinsen um Verzugszinsen und nicht um Ausgleichszinsen. Die Hauptforderung der Deutschen Telekom war nämlich eine Rückzahlungsforderung, die damit zusammenhing, dass die Zahlung einer Geldbuße vorläufig vorgenommen worden war. Diese Forderung bestand und war hinsichtlich ihres Höchstbetrags bestimmt oder zumindest anhand feststehender objektiver Faktoren bestimmbar, als die fragliche Zahlung erfolgte.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Kommission der Deutschen Telekom den rechtsgrundlos gezahlten Teil der Geldbuße zzgl. Verzugszinsen erstatten musste und insoweit über keinerlei Ermessen verfügte, gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Weigerung, diese Zinsen an die Deutsche Telekom zu zahlen, einen qualifizierten Verstoß gegen Art. 266 Abs. 1 AEUV darstellt, der die außervertragliche Haftung der Union auslöst. Angesichts des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem festgestellten Verstoß und dem Schaden, der im Verlust von Verzugszinsen auf den rechtsgrundlos gezahlten Teil der Geldbuße im fraglichen Zeitraum besteht, war der Deutschen Telekom eine Entschädigung i.H.v. rd. 1,75 Mio. € zuzusprechen, berechnet durch entsprechende Anwendung des in Art. 83 Abs. 2 Buchst. b der Delegierten Verordnung Nr. 1268/2012 vorgesehenen Zinssatzes, nämlich des von der EZB im Januar 2015 für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte zugrunde gelegten Zinssatzes von 0,05 % zuzüglich dreieinhalb Prozentpunkten.

Mehr zum Thema:

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  • Kurzbeitrag: EuGH GA: Haftung der Tochter für Wettbewerbsverstoß der Mutter (ZIP 2021, R31)
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EuGH PM Nr. 7 vom 19.1.2022
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