08.04.2013

Anwendbarkeit von § 439 Abs. 2 S. 3 HGB erfordert keinen Gleichlauf zwischen Haftungsgrundlagen im Primärhaftungs- und Rückgriffsverhältnis

Die Anwendbarkeit des § 439 Abs. 2 S. 3 HGB erfordert keinen Gleichlauf zwischen den Haftungsgrundlagen im Primärhaftungs- und im Rückgriffsverhältnis. Der neutral gefasste Wortlaut deckt auch die Fallgestaltung ab, dass der Rückgriffsgläubiger im Primärhaftungsverhältnis nicht nach den §§ 425 ff. HGB, sondern z.B. nach Seefrachtrecht für einen eingetretenen Schaden einstehen muss.

BGH 2.10.2012, I ZR 157/11
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Verkehrshaftungsversicherer eines finnischen Speditionsunternehmens (Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die im Hamburger Hafen den Südwest-Terminal betreibt, im Wege eines Regresses aus abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen Beschädigung von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch. Das finnische Unternehmen W veräußerte Ende 2006 Generatoren an ein in China ansässiges Unternehmen. Mit dem Transport von Finnland nach China beauftragte die Verkäuferin einer Spedition, welche die Versicherungsnehmerin mit der Seebeförderung des Gutes auf der ersten Teilstrecke von Finnland zum Hafen in Hamburg beauftragte. Dort sollte das Gut für den Weitertransport nach China auf ein anderes Schiff umgeladen werden. Mit dem Umschlag im Hamburger Hafen beauftragte die Versicherungsnehmerin die Beklagte.

Bei der Verladung des Guts auf das für den Weitertransport vorgesehene Schiff am 12.1.2007 stürzte einer der Generatoren ab und kippte um. Der dadurch entstandene Schaden belief sich nach der Behauptung der Klägerin auf rd. 1,6 Mio. US-Dollar. Die finnische Versenderin und die chinesische Empfängerin nahmen die Spedition und die Versicherungsnehmerin zunächst in der genannten Schadenshöhe in Anspruch. Zwischen diesen vier Parteien fanden Vergleichsverhandlungen statt, die am 27.10.2009 damit endeten, dass sich die Klägerin verpflichtete, an den Transportversicherer der chinesischen Empfängerin rd. 360.000 US-Dollar zu zahlen. Die Zahlung der Vergleichssumme erfolgte nach der Darstellung der Klägerin Ende Oktober 2009.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte schulde für den während ihrer Obhutszeit eingetretenen Schaden gem. § 425 Abs. 1, § 435 HGB vollen Schadensersatz, weil der Schaden durch ein qualifiziertes Verschulden ihrer Leute verursacht worden sei, das sich die Beklagte gem. § 428 HGB zurechnen lassen müsse. Es werde jedoch nur der von ihr an den Transportversicherer der chinesischen Empfängerin gezahlte Betrag geltend gemacht, der unterhalb der Haftungshöchstsumme gem. § 431 Abs. 1 und 2 HGB liege. Mit ihrer am 14.4.2010 bei Gericht eingegangenen Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten im Wege eines Regresses die 360.000 US-Dollar nebst Zinsen ersetzt.
Die Beklagte beruft sich demgegenüber hauptsächlich auf die Einrede der Verjährung nach § 439 Abs. 1 S. 1 HGB.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG gab ihr mit Ausnahme eines Teils des geltend gemachten Zinsanspruchs statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht verjährt ist.

Die Revision wendet sich vergeblich gegen die Beurteilung des OLG, der von der Klägerin geltend gemachte Regressanspruch sei nicht gem. § 439 Abs. 1 S. 1 HGB verjährt, weil der Lauf der Verjährungsfrist nach § 439 Abs. 2 S. 3 HGB erst mit Erfüllung der gegen die Versicherungsnehmerin gerichteten Ersatzansprüche Ende Oktober/Anfang November 2009 eingesetzt habe. Entgegen der Auffassung der Revision setzt die Anwendbarkeit des § 439 Abs. 2 S. 3 HGB keinen Gleichlauf zwischen den Haftungsgrundlagen im Primärhaftungs- (hier: das Rechtsverhältnis zwischen der Spedition und der Versicherungsnehmerin) und im Rückgriffsverhältnis (hier: das Vertragsverhältnis zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten) voraus. Dem Wortlaut der Bestimmung kann eine derartige Beschränkung des Anwendungsbereichs nicht entnommen werden.

Die Regelung in § 439 Abs. 2 S. 3 HGB befasst sich mit der Verjährung von Ansprüchen des Rückgriffsgläubigers, denen dieser im Primärhaftungsverhältnis möglicherweise ausgesetzt ist, unmittelbar nur in Bezug auf den Beginn der Verjährung. Der Verjährungsbeginn wird auf den Zeitpunkt hinausgeschoben, an dem ein rechtskräftiges Urteil gegen den Rückgriffsgläubiger vorliegt oder dieser den gegen ihn gerichteten Anspruch befriedigt hat. Die Vorschrift des § 439 Abs. 2 S. 3 HGB sagt jedoch nichts darüber aus, nach welchen Bestimmungen der Rückgriffsgläubiger haften muss, damit die Sonderregelung zur Anwendung kommen kann. In § 439 Abs. 2 S. 3 HGB ist nur ganz allgemein von Rückgriffsansprüchen, dem Rückgriffsgläubiger und dem Rückgriffsschuldner die Rede. Der neutral gefasste Wortlaut deckt daher auch die Fallgestaltung ab, dass der Rückgriffsgläubiger im Primärhaftungsverhältnis nicht nach den §§ 425 ff. HGB, sondern wie hier nach Seefrachtrecht für einen eingetretenen Schaden einstehen muss.

Entgegen der Auffassung der Revision erfordern auch Sinn und Zweck des § 439 Abs. 2 S. 3 HGB keine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf den Fall, dass der Rückgriffsgläubiger seinerseits ebenfalls nach den §§ 425 ff. HGB haftet. Um den Rückgriffsgläubiger zu schützen und um zu verhindern, dass dieser möglicherweise verfrüht rechtliche Schritte gegen den Rückgriffsschuldner einleitet, hat der Gesetzgeber in § 439 Abs. 2 S. 3 HGB bestimmt, dass die Verjährung von Rückgriffsansprüchen abweichend von § 439 Abs. 2 S. 1 und 2 HGB hinausgeschoben wird. Für die Anwendung des § 439 Abs. 2 S. 3 HGB auf die streitgegenständliche Fallgestaltung spricht zudem, dass auf diese Weise unnötige Feststellungsklagen vermieden werden. Denn der Rückgriffsgläubiger wäre ansonsten genötigt, frühzeitig eine Feststellungsklage zu erheben.

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