Auskunft über Mitbeteiligte an einem Investmentfonds
EuGH v. 12.9.2024 - C-17-22 u.a.
Der Sachverhalt:
HTB Neunte Immobilien Portfolio und Ökorenta Neue Energien Ökostabil IV (Klägerinnen) sind Investmentgesellschaften, die jeweils über eine Treuhandgesellschaft mittelbar an Investmentfonds beteiligt sind. Diese Investmentfonds sind als Publikumskommanditgesellschaften und damit als Personengesellschaften organisiert. Die Beteiligung an diesen Kommanditgesellschaften ist als wirtschaftliche Geldanlage konzipiert. Bei einer indirekten Beteiligung üben die Gesellschafter ihre Rechte über treuhänderische Beteiligungsgesellschaften aus.
Die Klägerinnen fordern von den treuhänderischen Beteiligungsgesellschaften die Preisgabe der Namen und Adressen aller ihrer mittelbar über treuhänderische Beteiligungsgesellschaften beteiligten Mitgesellschafter der betreffenden Investmentfonds.
Die Beteiligungsgesellschaften widersetzen sich einer solchen Preisgabe, da ihrer Ansicht nach mit den angeforderten Daten wirtschaftliche Eigeninteressen der Klägerinnen verfolgt werden sollen, nämlich durch ihre Verwendung zur Werbung für ihre eigenen Investmentprodukte oder um Investoren zu beunruhigen und um diesen ihre Anteile unter Wert abzukaufen und über einen Weiterverkauf Gewinn zu erwirtschaften. In den Beteiligungs- und Treuhandverträgen, auf deren Grundlage die Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaften mittelbare Beteiligungen an den betreffenden Investmentfonds erworben hätten, seien Regelungen enthalten, wonach die Weitergabe dieser Daten an andere Beteiligte verboten sei.
Die Klägerinnen stellen solche Absichten in Abrede. Sie hätten das Recht, Kontakt zu den anderen Kommanditisten, die Beteiligungen an den betreffenden Investmentfonds hielten, aufzunehmen, um insbesondere über den Ankauf von deren Anteilen zu verhandeln.
Das mit der Sache befasste AG München weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BGH und des OLG München eine Pflicht zur Weitergabe der von den Klägerinnen angeforderten personenbezogenen Daten bestehen könnte. Da diese Rechtsprechung jedoch zum Teil vor dem Inkrafttreten der DSGVO ergangen sei, könnte möglicherweise eine andere Beurteilung geboten sein. Das AG hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt und um Auslegung der DSGVO ersucht. Das AG möchte wissen, ob die Bestimmungen von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, c und f DSGVO herangezogen werden können, um die etwaige Weitergabe solcher Daten an diese Dritten zu rechtfertigen.
Die Gründe:
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b DSGVO ist dahin auszulegen, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, auf Anfrage eines Gesellschafters eines als Publikumspersonengesellschaft organisierten Investmentfonds Informationen über alle Gesellschafter, die durch Treuhandgesellschaften an diesem Investmentfonds mittelbar beteiligt sind, unabhängig vom Umfang ihrer Beteiligung am Kapital dieses Fonds weiterzugeben, damit mit ihnen Kontakt aufgenommen werden kann, um mit ihnen über den Abkauf ihrer Gesellschaftsanteile zu verhandeln oder um sich mit ihnen zur gemeinsamen Willensbildung im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen abzustimmen, nur dann im Sinne dieser Bestimmung als für die Erfüllung des Vertrags, auf dessen Grundlage diese Gesellschafter solche Beteiligungen erworben haben, erforderlich angesehen werden kann, wenn diese Verarbeitung objektiv unerlässlich ist, um einen Zweck zu verwirklichen, der notwendiger Bestandteil der für dieselben Gesellschafter bestimmten Vertragsleistung ist, so dass der Hauptgegenstand des Vertrags ohne diese Verarbeitung nicht erfüllt werden könnte. Dies ist nicht der Fall, wenn dieser Vertrag die Weitergabe dieser personenbezogenen Daten an andere Anteilseigner ausdrücklich ausschließt.
Die hier in Rede stehenden Beteiligungs- und Treuhandverträge, auf deren Grundlage mittelbare Beteiligungen an den betreffenden Investmentfonds erworben wurden, verbieten es ausdrücklich, die Daten betreffend die mittelbaren Anleger anderen Anteilseignern mitzuteilen. Das wesentliche Merkmal des Erwerbs einer mittelbaren Beteiligung an einer Publikumsfondsgesellschaft über eine Treuhandgesellschaft besteht gerade in der Anonymität der Gesellschafter, auch im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das AG München ist daher eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die in der Weitergabe von Informationen in Bezug auf Gesellschafter besteht, die über eine Treuhandgesellschaft mittelbar an einer Publikumsfondsgesellschaft beteiligt sind, nicht als i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b DSGVO "für die Erfüllung eines Vertrags erforderlich" anzusehen, wenn der Vertrag, der dem Erwerb einer solchen Beteiligung zugrunde liegt, die Weitergabe dieser Daten an Mitanteilseigner ausdrücklich ausschließt.
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO ist dahin auszulegen, dass eine solche Verarbeitung nur dann als zur Wahrung der berechtigten Interessen eines Dritten erforderlich im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn sie zur Verwirklichung eines solchen berechtigten Interesses absolut notwendig ist und unter Würdigung aller relevanten Umstände die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betreffenden Gesellschafter gegenüber diesem berechtigten Interesse nicht überwiegen.
Letztlich ist es Sache des AG München, zu beurteilen, ob im Hinblick auf die hier in Rede stehende Verarbeitung personenbezogener Daten die Voraussetzungen des berechtigten Interesses, der Erforderlichkeit und der Interessenabwägung erfüllt sind. Das Interesse an der Kontaktaufnahme zwecks Kaufverhandlungen oder gemeinsamer Willensbildung kann grundsätzlich ein berechtigtes Interesse darstellen. Was die Erforderlichkeit anbelangt, ist auf die eventuell weniger in Rechte anderer eingreifende Möglichkeit hinzuweisen, den Fonds oder die Gesellschaft unmittelbar aufzufordern, die Anfrage an den anderen Gesellschafter weiterzuleiten, um ihn kennenzulernen oder sich mit ihm auszutauschen. Dieser könnte dann frei entscheiden, ob er mit dem Gesellschafter, der die Anfrage gestellt hat, Kontakt aufnehmen möchte oder ob er es vorzieht, einer solchen Anfrage nicht nachzukommen und anonym zu bleiben.
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c DSGVO ist dahin auszulegen, dass die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten nach dieser Bestimmung gerechtfertigt ist, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats unterliegt, wie es durch die Rechtsprechung dieses Mitgliedstaats präzisiert wurde. Voraussetzung ist, dass diese Rechtsprechung klar und präzise ist, ihre Anwendung für die Rechtsunterworfenen vorhersehbar ist und sie ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt, zu dem sie in einem angemessenen Verhältnis steht.
Es wird Aufgabe des AG München sein, insbesondere festzustellen, ob es nicht Maßnahmen gibt, die es ermöglichen, die Transparenz unter den Gesellschaftern von Personengesellschaften, wie sie sich aus dem deutschen Recht zu ergeben scheint, zu gewährleisten, und dabei den Schutz der vertraulichen personenbezogenen Daten der mittelbaren Gesellschafter von Publikumspersonengesellschaften weniger beeinträchtigen als die Pflicht, diese Daten an jeden anderen Gesellschafter weiterzugeben, der darum ersucht.
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EuGH online
HTB Neunte Immobilien Portfolio und Ökorenta Neue Energien Ökostabil IV (Klägerinnen) sind Investmentgesellschaften, die jeweils über eine Treuhandgesellschaft mittelbar an Investmentfonds beteiligt sind. Diese Investmentfonds sind als Publikumskommanditgesellschaften und damit als Personengesellschaften organisiert. Die Beteiligung an diesen Kommanditgesellschaften ist als wirtschaftliche Geldanlage konzipiert. Bei einer indirekten Beteiligung üben die Gesellschafter ihre Rechte über treuhänderische Beteiligungsgesellschaften aus.
Die Klägerinnen fordern von den treuhänderischen Beteiligungsgesellschaften die Preisgabe der Namen und Adressen aller ihrer mittelbar über treuhänderische Beteiligungsgesellschaften beteiligten Mitgesellschafter der betreffenden Investmentfonds.
Die Beteiligungsgesellschaften widersetzen sich einer solchen Preisgabe, da ihrer Ansicht nach mit den angeforderten Daten wirtschaftliche Eigeninteressen der Klägerinnen verfolgt werden sollen, nämlich durch ihre Verwendung zur Werbung für ihre eigenen Investmentprodukte oder um Investoren zu beunruhigen und um diesen ihre Anteile unter Wert abzukaufen und über einen Weiterverkauf Gewinn zu erwirtschaften. In den Beteiligungs- und Treuhandverträgen, auf deren Grundlage die Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaften mittelbare Beteiligungen an den betreffenden Investmentfonds erworben hätten, seien Regelungen enthalten, wonach die Weitergabe dieser Daten an andere Beteiligte verboten sei.
Die Klägerinnen stellen solche Absichten in Abrede. Sie hätten das Recht, Kontakt zu den anderen Kommanditisten, die Beteiligungen an den betreffenden Investmentfonds hielten, aufzunehmen, um insbesondere über den Ankauf von deren Anteilen zu verhandeln.
Das mit der Sache befasste AG München weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BGH und des OLG München eine Pflicht zur Weitergabe der von den Klägerinnen angeforderten personenbezogenen Daten bestehen könnte. Da diese Rechtsprechung jedoch zum Teil vor dem Inkrafttreten der DSGVO ergangen sei, könnte möglicherweise eine andere Beurteilung geboten sein. Das AG hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt und um Auslegung der DSGVO ersucht. Das AG möchte wissen, ob die Bestimmungen von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, c und f DSGVO herangezogen werden können, um die etwaige Weitergabe solcher Daten an diese Dritten zu rechtfertigen.
Die Gründe:
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b DSGVO ist dahin auszulegen, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, auf Anfrage eines Gesellschafters eines als Publikumspersonengesellschaft organisierten Investmentfonds Informationen über alle Gesellschafter, die durch Treuhandgesellschaften an diesem Investmentfonds mittelbar beteiligt sind, unabhängig vom Umfang ihrer Beteiligung am Kapital dieses Fonds weiterzugeben, damit mit ihnen Kontakt aufgenommen werden kann, um mit ihnen über den Abkauf ihrer Gesellschaftsanteile zu verhandeln oder um sich mit ihnen zur gemeinsamen Willensbildung im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen abzustimmen, nur dann im Sinne dieser Bestimmung als für die Erfüllung des Vertrags, auf dessen Grundlage diese Gesellschafter solche Beteiligungen erworben haben, erforderlich angesehen werden kann, wenn diese Verarbeitung objektiv unerlässlich ist, um einen Zweck zu verwirklichen, der notwendiger Bestandteil der für dieselben Gesellschafter bestimmten Vertragsleistung ist, so dass der Hauptgegenstand des Vertrags ohne diese Verarbeitung nicht erfüllt werden könnte. Dies ist nicht der Fall, wenn dieser Vertrag die Weitergabe dieser personenbezogenen Daten an andere Anteilseigner ausdrücklich ausschließt.
Die hier in Rede stehenden Beteiligungs- und Treuhandverträge, auf deren Grundlage mittelbare Beteiligungen an den betreffenden Investmentfonds erworben wurden, verbieten es ausdrücklich, die Daten betreffend die mittelbaren Anleger anderen Anteilseignern mitzuteilen. Das wesentliche Merkmal des Erwerbs einer mittelbaren Beteiligung an einer Publikumsfondsgesellschaft über eine Treuhandgesellschaft besteht gerade in der Anonymität der Gesellschafter, auch im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das AG München ist daher eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die in der Weitergabe von Informationen in Bezug auf Gesellschafter besteht, die über eine Treuhandgesellschaft mittelbar an einer Publikumsfondsgesellschaft beteiligt sind, nicht als i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b DSGVO "für die Erfüllung eines Vertrags erforderlich" anzusehen, wenn der Vertrag, der dem Erwerb einer solchen Beteiligung zugrunde liegt, die Weitergabe dieser Daten an Mitanteilseigner ausdrücklich ausschließt.
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO ist dahin auszulegen, dass eine solche Verarbeitung nur dann als zur Wahrung der berechtigten Interessen eines Dritten erforderlich im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn sie zur Verwirklichung eines solchen berechtigten Interesses absolut notwendig ist und unter Würdigung aller relevanten Umstände die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betreffenden Gesellschafter gegenüber diesem berechtigten Interesse nicht überwiegen.
Letztlich ist es Sache des AG München, zu beurteilen, ob im Hinblick auf die hier in Rede stehende Verarbeitung personenbezogener Daten die Voraussetzungen des berechtigten Interesses, der Erforderlichkeit und der Interessenabwägung erfüllt sind. Das Interesse an der Kontaktaufnahme zwecks Kaufverhandlungen oder gemeinsamer Willensbildung kann grundsätzlich ein berechtigtes Interesse darstellen. Was die Erforderlichkeit anbelangt, ist auf die eventuell weniger in Rechte anderer eingreifende Möglichkeit hinzuweisen, den Fonds oder die Gesellschaft unmittelbar aufzufordern, die Anfrage an den anderen Gesellschafter weiterzuleiten, um ihn kennenzulernen oder sich mit ihm auszutauschen. Dieser könnte dann frei entscheiden, ob er mit dem Gesellschafter, der die Anfrage gestellt hat, Kontakt aufnehmen möchte oder ob er es vorzieht, einer solchen Anfrage nicht nachzukommen und anonym zu bleiben.
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c DSGVO ist dahin auszulegen, dass die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten nach dieser Bestimmung gerechtfertigt ist, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats unterliegt, wie es durch die Rechtsprechung dieses Mitgliedstaats präzisiert wurde. Voraussetzung ist, dass diese Rechtsprechung klar und präzise ist, ihre Anwendung für die Rechtsunterworfenen vorhersehbar ist und sie ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt, zu dem sie in einem angemessenen Verhältnis steht.
Es wird Aufgabe des AG München sein, insbesondere festzustellen, ob es nicht Maßnahmen gibt, die es ermöglichen, die Transparenz unter den Gesellschaftern von Personengesellschaften, wie sie sich aus dem deutschen Recht zu ergeben scheint, zu gewährleisten, und dabei den Schutz der vertraulichen personenbezogenen Daten der mittelbaren Gesellschafter von Publikumspersonengesellschaften weniger beeinträchtigen als die Pflicht, diese Daten an jeden anderen Gesellschafter weiterzugeben, der darum ersucht.
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