Äußerungsrecht: Deutung einer Aussage stellt Meinungsäußerung dar
OLG Frankfurt a.M. v. 10.2.2022 - 16 U 87/21Die Klägerin engagiert sich in einer Initiative, die die Verhältnismäßigkeit der staatlich angeordneten Corona-Maßnahmen hinterfragt und in einer mittelhessischen Stadt seit Sommer 2021 angemeldete öffentliche Versammlungen durchführt. Im Zusammenhang mit zuvor durchgeführten nicht angemeldeten Zusammenkünften war auch die Klägerin beim Ordnungsamt angezeigt worden. Altstadtbewohner hatten den Bürgermeister auf diese Zusammenkünfte aufmerksam gemacht.
Die Klägerin veröffentlichte daraufhin im Internet ein Gedicht unter dem Titel "Denunzianten", in dem es u.a. heißt, dass "manch einer", der "genüsslich denunzierte" sich vor einem "Drei-Mann-Standgericht" wiederfand, dessen Urteil "Tod durch Erschießen" lautete.
Die Beklagte engagiert sich in einer Gegeninitiative und veröffentlichte über Facebook ihrerseits einen Text. Die Klägerin wurde dort aufgefordert zu erklären, was sie mit ihrem "unfassbaren Statement" genau meinte. Weiter hieß es: "Darin fordert (die Klägerin) sinngemäß für in ihren Augen Denunzianten ein knappes 3-Mann-Standgericht mit dem einzig richtigen Urteil "Tod durch Erschießen".
Die Klägerin forderte von der Beklagten im Eilverfahren, dass sie es unterlässt, zu behaupten, sie fordere in Bezug auf die Anzeigen von Bürgern hinsichtlich der nicht angemeldeten Zusammenkünfte die genannte Vorgehensweise. Das LG hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Auch die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem OLG erfolglos. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu, denn ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 2, Art. 1 Abs. 2 GG) wurde durch die angegriffene Äußerung nicht rechtswidrig verletzt.
Bei der angegriffenen Äußerung handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung. Aus dem Gesamtkontext ergibt sich vielmehr, dass eine Meinungsäußerung vorliegt. Maßstab ist dabei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Demnach hat die Beklagte ihr Verständnis von dem Text der Klägerin wiedergegeben. Der Leser versteht, dass die angegriffene Äußerung "die Deutung" der Beklagten darstellt. Dafür spricht allein der Zusatz "sinngemäß". Der Klägerin wird gerade keine Äußerung "in den Mund gelegt", die sie so nicht getan hat. Die angegriffene Äußerung enthält kein objektiv falsches Zitat, sondern die Interpretation eines Dritten, hier der Beklagten.
Meinungsäußerungen unterliegen grundsätzlich grundrechtlichem Schutz. Bei Abwägung der berührten Rechtspositionen stellt sich hier der mit der Äußerung verbundene Eingriff in die Ehre und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht als rechtwidrig dar. Die angegriffene Äußerung geht vielmehr auf objektive Anhaltspunkte in Form des veröffentlichten Gedichts zurück. Die Beklagte bezieht sich auch darauf. Die Veröffentlichung der Beklagten stellt somit einen Beitrag zum "geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage" dar. Die Interessen der Klägerin müssen dahinter zurücktreten.
Prof. Dr. Stephan Ory (AfP 2020, 119)
Das Äußerungsrecht auf dem Zeitstrahl
"Recht auf Vergessen" bei Medienanbieter und/oder Suchmaschine, zugleich Anm. zu den BVerfG-Entscheidungen Recht auf Vergessen I und Recht auf Vergessen II
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