Ausübung der Funktionen der Bankeinlagensicherung und der Abwicklung: Unabhängigkeit einer nationalen Abwicklungsbehörde
EuGH v. 12.12.2024 - C-118/23
Der Sachverhalt:
Im Dezember 2021 bestellte die Finanzaufsichtskommission in Polen einen vorläufigen Verwalter für die Getin Noble Bank, um die Lage dieser Bank zu verbessern. Mit dieser Funktion wurde der polnische Bankgarantiefonds (BFG) betraut. Nach nationalem Recht besteht die Aufgabe des BFG in erster Linie in der Ausübung der Funktionen der Bankeinlagensicherung und der Abwicklung.
In Anbetracht des Risikos einer Zahlungsunfähigkeit der Getin Noble Bank traf der BFG als Abwicklungsbehörde im September 2022 die Entscheidung zur Einleitung einer Krisenmanagementmaßnahme, deren Zweck im Wesentlichen darin bestand, diese Bank einem Abwicklungsverfahren zu unterwerfen. Der Aufsichtsrat der Getin Noble Bank erhob gegen diese Entscheidung Klage vor dem zuständigen polnischen Verwaltungsgericht. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung wird auch von weiteren Personen angefochten, u. a. von den Aktionären der Bank, den Inhabern von Anleihen dieser Bank sowie von Privatpersonen, die mit ihr Darlehensverträge abgeschlossen haben, deren Gültigkeit wegen des Vorliegens möglicherweise missbräuchlicher Klauseln bestritten wurde. Insgesamt wurden mehr als 8.000 Klagen eingereicht, was der durchschnittlichen Zahl der bei diesem Gericht erhobenen Klagen während eines Zeitraums von zwei Jahren entspricht.
Im Rahmen dieses Rechtsstreits wandte sich das Verwaltungsgericht an den EuGH und äußerte Zweifel in zweierlei Hinsicht, und zwar zum einen in verfahrensrechtlicher und zum anderen in materiell-rechtlicher Hinsicht.
Erstens weist es darauf hin, dass es nach einer Verfahrensbestimmung verpflichtet sei, alle Klagen zu gemeinsamer Prüfung und zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden. Deswegen sei es äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, innerhalb einer angemessenen Frist ein Urteil zu erlassen. Vor diesem Hintergrund wirft es die Frage auf, ob das Recht zur Beschreitung des Verwaltungsrechtswegs, das sämtlichen von der streitigen Entscheidung betroffenen Personen zustehe, unverzichtbar sei, um die ihnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte zu schützen.
Hierzu befragt, hat der EuGH festgestellt, dass eine Entscheidung zum Erlass einer Krisenmanagementmaßnahme in Bezug auf eine Bank eine beträchtliche Zahl von Personen betreffen und somit zu zahlreichen Klagen führen kann. Deren Verbindung birgt die Gefahr einer Beeinträchtigung des Rechts einer jeden Person, dass ihre Sache innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Ferner stellt der EuGH fest, dass das Unionsrecht für den Fall der Ausübung mehrerer Funktionen durch eine nationale Abwicklungsbehörde vorsieht, dass bei der Wahrnehmung des Abwicklungsauftrags die Entscheidungsfindung dieser Behörde vor jeglicher internen Einflussnahme zu schützen ist, die außerhalb des Abwicklungsauftrags liegt.
Die Gründe:
Es ist Sache des nationalen Gerichts, erforderlichenfalls die Bestimmungen unangewendet zu lassen, die es ihm verbieten würden, die Verbindung der in Rede stehenden Klagen aufzuheben. Außerdem muss es in der Lage sein, die Maßnahmen zu ergreifen, die es ihm ermöglichen, den Rechtsstreit innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden und gleichzeitig die Gefahr einander widersprechender Urteile unterschiedlicher Richter zu vermeiden.
Der EuGH stellte außerdem fest, dass das Unionsrecht allen von der in Rede stehenden Entscheidung betroffenen Personen das Recht verleiht, diese Entscheidung gerichtlich anzufechten. Ihnen darf nicht das Recht genommen werden, ihre eigenen Klagegründe zur Stützung ihrer Klage in einer kontradiktorischen Erörterung geltend zu machen. Die inhaltliche Prüfung allein der vom Aufsichtsrat der Bank erhobenen Klage und der Umstand, dass ein Urteil, mit dem über diese Klage entschieden wird, Wirkungen gegenüber jedermann haben wird, lässt nicht den Schluss zu, dass damit das Recht jeder anderen Person auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewahrt wäre.
Zweitens möchte das nationale Gericht in Bezug auf den Erlass der streitigen Entscheidung wissen, welche Anforderungen an die Unabhängigkeit der Abwicklungsbehörde zu stellen sind, wenn sie auch die Funktion eines vorläufigen Verwalters der betreffenden Bank ausgeübt hat und außerdem mit der Funktion der Bankeinlagensicherung betraut ist.
Der EuGH stellt hierzu fest, dass das Unionsrecht für den Fall der Ausübung mehrerer Funktionen durch eine nationale Abwicklungsbehörde vorsieht, dass bei der Wahrnehmung des Abwicklungsauftrags die Entscheidungsfindung dieser Behörde vor jeglicher internen Einflussnahme zu schützen ist, die außerhalb des Abwicklungsauftrags liegt. In Bezug auf diese sonstigen Funktionen schreibt das Unionsrecht vor, strukturbezogene Regelungen zu erlassen, um die operative Unabhängigkeit der Abwicklungsbehörde sicherzustellen und Interessenkonflikte zu vermeiden.
Wenn interne schriftliche Vorschriften zur Gewährleistung dieser Unabhängigkeit fehlen, kann sich die Einhaltung dieser Anforderung aus für diesen Zweck hinreichenden organisatorischen und sonstigen Maßnahmen ergeben. Ferner führt die fehlende Veröffentlichung solcher Vorschriften nicht automatisch zur Ungültigkeit der Abwicklungsentscheidung. Es obliegt jedoch der Abwicklungsbehörde, nachzuweisen, dass diese Vorschriften beachtet wurden und infolgedessen ihre Entscheidung ausschließlich zur Erreichung von Abwicklungszielen getroffen wurde.
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EuGH PM Nr. 197 vom 12.12.2024
Im Dezember 2021 bestellte die Finanzaufsichtskommission in Polen einen vorläufigen Verwalter für die Getin Noble Bank, um die Lage dieser Bank zu verbessern. Mit dieser Funktion wurde der polnische Bankgarantiefonds (BFG) betraut. Nach nationalem Recht besteht die Aufgabe des BFG in erster Linie in der Ausübung der Funktionen der Bankeinlagensicherung und der Abwicklung.
In Anbetracht des Risikos einer Zahlungsunfähigkeit der Getin Noble Bank traf der BFG als Abwicklungsbehörde im September 2022 die Entscheidung zur Einleitung einer Krisenmanagementmaßnahme, deren Zweck im Wesentlichen darin bestand, diese Bank einem Abwicklungsverfahren zu unterwerfen. Der Aufsichtsrat der Getin Noble Bank erhob gegen diese Entscheidung Klage vor dem zuständigen polnischen Verwaltungsgericht. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung wird auch von weiteren Personen angefochten, u. a. von den Aktionären der Bank, den Inhabern von Anleihen dieser Bank sowie von Privatpersonen, die mit ihr Darlehensverträge abgeschlossen haben, deren Gültigkeit wegen des Vorliegens möglicherweise missbräuchlicher Klauseln bestritten wurde. Insgesamt wurden mehr als 8.000 Klagen eingereicht, was der durchschnittlichen Zahl der bei diesem Gericht erhobenen Klagen während eines Zeitraums von zwei Jahren entspricht.
Im Rahmen dieses Rechtsstreits wandte sich das Verwaltungsgericht an den EuGH und äußerte Zweifel in zweierlei Hinsicht, und zwar zum einen in verfahrensrechtlicher und zum anderen in materiell-rechtlicher Hinsicht.
Erstens weist es darauf hin, dass es nach einer Verfahrensbestimmung verpflichtet sei, alle Klagen zu gemeinsamer Prüfung und zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden. Deswegen sei es äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, innerhalb einer angemessenen Frist ein Urteil zu erlassen. Vor diesem Hintergrund wirft es die Frage auf, ob das Recht zur Beschreitung des Verwaltungsrechtswegs, das sämtlichen von der streitigen Entscheidung betroffenen Personen zustehe, unverzichtbar sei, um die ihnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte zu schützen.
Hierzu befragt, hat der EuGH festgestellt, dass eine Entscheidung zum Erlass einer Krisenmanagementmaßnahme in Bezug auf eine Bank eine beträchtliche Zahl von Personen betreffen und somit zu zahlreichen Klagen führen kann. Deren Verbindung birgt die Gefahr einer Beeinträchtigung des Rechts einer jeden Person, dass ihre Sache innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
Ferner stellt der EuGH fest, dass das Unionsrecht für den Fall der Ausübung mehrerer Funktionen durch eine nationale Abwicklungsbehörde vorsieht, dass bei der Wahrnehmung des Abwicklungsauftrags die Entscheidungsfindung dieser Behörde vor jeglicher internen Einflussnahme zu schützen ist, die außerhalb des Abwicklungsauftrags liegt.
Die Gründe:
Es ist Sache des nationalen Gerichts, erforderlichenfalls die Bestimmungen unangewendet zu lassen, die es ihm verbieten würden, die Verbindung der in Rede stehenden Klagen aufzuheben. Außerdem muss es in der Lage sein, die Maßnahmen zu ergreifen, die es ihm ermöglichen, den Rechtsstreit innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden und gleichzeitig die Gefahr einander widersprechender Urteile unterschiedlicher Richter zu vermeiden.
Der EuGH stellte außerdem fest, dass das Unionsrecht allen von der in Rede stehenden Entscheidung betroffenen Personen das Recht verleiht, diese Entscheidung gerichtlich anzufechten. Ihnen darf nicht das Recht genommen werden, ihre eigenen Klagegründe zur Stützung ihrer Klage in einer kontradiktorischen Erörterung geltend zu machen. Die inhaltliche Prüfung allein der vom Aufsichtsrat der Bank erhobenen Klage und der Umstand, dass ein Urteil, mit dem über diese Klage entschieden wird, Wirkungen gegenüber jedermann haben wird, lässt nicht den Schluss zu, dass damit das Recht jeder anderen Person auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewahrt wäre.
Zweitens möchte das nationale Gericht in Bezug auf den Erlass der streitigen Entscheidung wissen, welche Anforderungen an die Unabhängigkeit der Abwicklungsbehörde zu stellen sind, wenn sie auch die Funktion eines vorläufigen Verwalters der betreffenden Bank ausgeübt hat und außerdem mit der Funktion der Bankeinlagensicherung betraut ist.
Der EuGH stellt hierzu fest, dass das Unionsrecht für den Fall der Ausübung mehrerer Funktionen durch eine nationale Abwicklungsbehörde vorsieht, dass bei der Wahrnehmung des Abwicklungsauftrags die Entscheidungsfindung dieser Behörde vor jeglicher internen Einflussnahme zu schützen ist, die außerhalb des Abwicklungsauftrags liegt. In Bezug auf diese sonstigen Funktionen schreibt das Unionsrecht vor, strukturbezogene Regelungen zu erlassen, um die operative Unabhängigkeit der Abwicklungsbehörde sicherzustellen und Interessenkonflikte zu vermeiden.
Wenn interne schriftliche Vorschriften zur Gewährleistung dieser Unabhängigkeit fehlen, kann sich die Einhaltung dieser Anforderung aus für diesen Zweck hinreichenden organisatorischen und sonstigen Maßnahmen ergeben. Ferner führt die fehlende Veröffentlichung solcher Vorschriften nicht automatisch zur Ungültigkeit der Abwicklungsentscheidung. Es obliegt jedoch der Abwicklungsbehörde, nachzuweisen, dass diese Vorschriften beachtet wurden und infolgedessen ihre Entscheidung ausschließlich zur Erreichung von Abwicklungszielen getroffen wurde.
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