Becker vs. Pocher: Satirischer Fernsehbeitrag stellt keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten dar
LG Offenburg v. 15.11.2022 - 2 O 20/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der ehemalige Tennisprofi Boris Becker. Dieser machte gegenüber dem Comedian Oliver Pocher Ansprüche wegen eines in der Fernsehsendung "Pocher - gefährlich ehrlich" bei RTL am 29.10.2020 ausgestrahlten Fernsehbeitrags geltend. Gegenstand des Fernsehbeitrags war ein unter dem Slogan "MAKE BORIS R!CH AGAIN" getätigter Spendenaufruf, durch den ein dreistelliger Betrag für Boris Becker gesammelt worden war. Die Übergabe des Geldes scheiterte, da Boris Becker die Annahme verweigerte.
Der Comedian Pocher erschuf daraufhin einen Fantasie-Mode-Preis mit einer Preistrophäe, in der das gesammelte Bargeld versteckt war. Dass der Preis nur zu dem Zweck geschaffen und an Boris Becker verliehen wurde, um ihm unbemerkt den eingesammelten Bargeldbetrag zukommen zu lassen, wusste dieser bei der Preisübergabe nicht. Die Auflösung ergab sich für die Zuschauer des Filmbeitrages in der am 29.10.2020 ausgestrahlten Ausgabe der Sendung "Pocher - gefährlich ehrlich".
Boris Becker fühlte sich durch den Beitrag in seiner Ehre sowie seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und ging gegen die Verwendung der Film- und Bildaufnahmen vor. Er war der Ansicht, ihm stünden gegen den Beklagten wegen der rechtswidrigen Bildnisverwendung Ansprüche auf Unterlassung und Löschung analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, § 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. §§ 22, 23 KUG zu.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Der klägerseits geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung besteht nicht, da die Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.
Der streitgegenständliche Filmbeitrag vom 29.10.2020 und die darin erfolgte Verbreitung der Film- und Bildaufnahmen des Klägers sowie anschließende Folgeveröffentlichungen auf den Präsenzen des Beklagten in den sozialen Medien sind zwar zweifellos dem Bereich der journalistischen Tätigkeit i.S.d. Art. 85 DS-GVO zuzuordnen. Der Beklagte konnte sich auch nicht auf eine Einwilligung des Klägers stützen, weil diesem die Einzelheiten der geplanten Verbreitung - insbesondere deren satirischer Charakter - vorher nicht mitgeteilt worden war. Allerdings war die Veröffentlichung dennoch möglich, da es sich um Bildnisse der Zeitgeschichte handelte.
Bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Klägers an seiner Privatsphäre überwogen aus Sicht der Kammer auf Grund der Umstände des Einzelfalls die Belange der Meinungs- und Rundfunkfreiheit. Es gehört zum Kern dieses Grundrechtes gem. Art. 5 Abs. 1 GG, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Auch unterhaltende Beiträge, etwa über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen, nehmen grundsätzlich an diesem Schutz teil, ohne dass dieser von der Eigenart oder dem Niveau des jeweiligen Beitrags oder des Presseerzeugnisses abhängt. Dabei wird auch eine satirische Befassung mit einem der Meinungsbildung dienenden Gegenstand vom Schutzbereich der Meinungs- und Rundfunkfreiheit bzw. der Pressefreiheit umfasst.
In diesem Zusammenhang war zu berücksichtigen, dass der Kläger zweifellos eine "public figure/personne publique" i.S.d. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist, so dass Informationen zu dem über sein Vermögen eröffneten Insolvenzverfahren, auch wenn dieses Verfahren sein Privatvermögen betrifft, durchaus Informationswert für die Öffentlichkeit haben. Als langjähriger erfolgreicher Profi-Tennisspieler stand der Kläger über viele Jahre im Licht der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Schließlich nahm der dem Kläger überreichte Award auch Bezug auf die durch den Kläger herausgebrachte Modelinie, die ebenfalls dem öffentlichen Wirken des Klägers zurechnen ist und hinsichtlich derer ebenso ein entsprechendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht.
Letztlich wurden in dem Filmbeitrag vom 29.10.2020 keine falschen Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Eine Schmähkritik kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn eine Äußerung überzogen oder ausfällig ist. Hinzutreten muss eine das sachliche Anliegen der Äußerung völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BGH, Urteil vom 24.07.2018 - VI ZR 330/17). Eine Meinungsäußerung wird dementsprechend nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Auskunftsanspruch bzgl. des Hubschrauberflugs des Sohns einer Bundesministerin
VG Köln vom 22.08.2022 - 6 L 978/22
AfP 2022, 463
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LG Offenburg - Pressemitteilung v. 15.11.2022
Der Kläger ist der ehemalige Tennisprofi Boris Becker. Dieser machte gegenüber dem Comedian Oliver Pocher Ansprüche wegen eines in der Fernsehsendung "Pocher - gefährlich ehrlich" bei RTL am 29.10.2020 ausgestrahlten Fernsehbeitrags geltend. Gegenstand des Fernsehbeitrags war ein unter dem Slogan "MAKE BORIS R!CH AGAIN" getätigter Spendenaufruf, durch den ein dreistelliger Betrag für Boris Becker gesammelt worden war. Die Übergabe des Geldes scheiterte, da Boris Becker die Annahme verweigerte.
Der Comedian Pocher erschuf daraufhin einen Fantasie-Mode-Preis mit einer Preistrophäe, in der das gesammelte Bargeld versteckt war. Dass der Preis nur zu dem Zweck geschaffen und an Boris Becker verliehen wurde, um ihm unbemerkt den eingesammelten Bargeldbetrag zukommen zu lassen, wusste dieser bei der Preisübergabe nicht. Die Auflösung ergab sich für die Zuschauer des Filmbeitrages in der am 29.10.2020 ausgestrahlten Ausgabe der Sendung "Pocher - gefährlich ehrlich".
Boris Becker fühlte sich durch den Beitrag in seiner Ehre sowie seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und ging gegen die Verwendung der Film- und Bildaufnahmen vor. Er war der Ansicht, ihm stünden gegen den Beklagten wegen der rechtswidrigen Bildnisverwendung Ansprüche auf Unterlassung und Löschung analog § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, § 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. §§ 22, 23 KUG zu.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Der klägerseits geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung besteht nicht, da die Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.
Der streitgegenständliche Filmbeitrag vom 29.10.2020 und die darin erfolgte Verbreitung der Film- und Bildaufnahmen des Klägers sowie anschließende Folgeveröffentlichungen auf den Präsenzen des Beklagten in den sozialen Medien sind zwar zweifellos dem Bereich der journalistischen Tätigkeit i.S.d. Art. 85 DS-GVO zuzuordnen. Der Beklagte konnte sich auch nicht auf eine Einwilligung des Klägers stützen, weil diesem die Einzelheiten der geplanten Verbreitung - insbesondere deren satirischer Charakter - vorher nicht mitgeteilt worden war. Allerdings war die Veröffentlichung dennoch möglich, da es sich um Bildnisse der Zeitgeschichte handelte.
Bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Klägers an seiner Privatsphäre überwogen aus Sicht der Kammer auf Grund der Umstände des Einzelfalls die Belange der Meinungs- und Rundfunkfreiheit. Es gehört zum Kern dieses Grundrechtes gem. Art. 5 Abs. 1 GG, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Auch unterhaltende Beiträge, etwa über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen, nehmen grundsätzlich an diesem Schutz teil, ohne dass dieser von der Eigenart oder dem Niveau des jeweiligen Beitrags oder des Presseerzeugnisses abhängt. Dabei wird auch eine satirische Befassung mit einem der Meinungsbildung dienenden Gegenstand vom Schutzbereich der Meinungs- und Rundfunkfreiheit bzw. der Pressefreiheit umfasst.
In diesem Zusammenhang war zu berücksichtigen, dass der Kläger zweifellos eine "public figure/personne publique" i.S.d. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist, so dass Informationen zu dem über sein Vermögen eröffneten Insolvenzverfahren, auch wenn dieses Verfahren sein Privatvermögen betrifft, durchaus Informationswert für die Öffentlichkeit haben. Als langjähriger erfolgreicher Profi-Tennisspieler stand der Kläger über viele Jahre im Licht der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Schließlich nahm der dem Kläger überreichte Award auch Bezug auf die durch den Kläger herausgebrachte Modelinie, die ebenfalls dem öffentlichen Wirken des Klägers zurechnen ist und hinsichtlich derer ebenso ein entsprechendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht.
Letztlich wurden in dem Filmbeitrag vom 29.10.2020 keine falschen Tatsachenbehauptungen aufgestellt. Eine Schmähkritik kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn eine Äußerung überzogen oder ausfällig ist. Hinzutreten muss eine das sachliche Anliegen der Äußerung völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BGH, Urteil vom 24.07.2018 - VI ZR 330/17). Eine Meinungsäußerung wird dementsprechend nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung.
Rechtsprechung:
Auskunftsanspruch bzgl. des Hubschrauberflugs des Sohns einer Bundesministerin
VG Köln vom 22.08.2022 - 6 L 978/22
AfP 2022, 463
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