Beihilfe von Deutschland zugunsten des Luftfahrtunternehmens Condor Flugdienst nichtig
EuG v. 9.6.2021 - T-665/20
Der Sachverhalt:
Im April 2020 meldete Deutschland bei der Kommission eine Einzelbeihilfe zugunsten des Luftfahrtunternehmens Condor Flugdienst GmbH (im Folgenden: Condor) in Form von zwei staatlich abgesicherten Darlehen mit vergünstigtem Zinssatz in Höhe von 550 Mio. € an. Mit dieser Maßnahme sollten Condor die Schäden ersetzt werden, die ihr unmittelbar durch die Annullierung oder die Verschiebung ihrer Flüge infolge der Einführung von Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie entstanden waren.
Condor ist ein Luftfahrtunternehmen, das zuvor im Eigentum der Thomas Cook Group plc stand. Nach der Eröffnung des Liquidationsverfahrens über diese Gruppe geriet Condor in finanzielle Schwierigkeiten und musste im September 2019 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Dieses Insolvenzverfahren, das nach dem Verkauf von Condor an einen interessierten Investor hätte abgeschlossen werden sollen, wurde im April 2020 verlängert, da der Investor sein Kaufangebot zurückzog.
Mit Beschluss vom 26.4.2020 erklärte die Kommission die angemeldete Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV für mit dem Binnenmarkt vereinbar. Gemäß dieser Bestimmung sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Binnenmarkt vereinbar.
Zur Bemessung der Schäden, die Condor durch die Annullierung oder die Verschiebung ihrer Flüge infolge der Einführung von Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie entstanden sind, hat die Kommission zunächst die Differenz zwischen den Gewinnprognosen vor Steuern für den Zeitraum von März bis Dezember 2020 berechnet, die vor und nach der Ankündigung der Reisebeschränkungen und der Eindämmungsmaßnahmen erstellt wurden. Diese Differenz wurde sodann um die Kosten im Zusammenhang mit der Verlängerung des Insolvenzzeitraums von Condor nach deren gescheitertem Verkauf an den interessierten Investor erhöht.
Das Luftfahrtunternehmen Ryanair hat Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission erhoben. Das EuG hat der Klage stattgegeben, wobei es aber die Wirkungen der Nichtigerklärung bis zum Erlass eines neuen Beschlusses aussetzt. In seinem Urteil äußert sich das Gericht dazu, wie weit die Begründungspflicht der Kommission reicht, wenn diese vom Bestehen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen den Schäden, die durch eine Beihilfemaßnahme ersetzt werden sollen, und außergewöhnlichen Ereignissen i.S.v. Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV ausgeht. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage machte Ryanair u.a. eine Verletzung der Begründungspflicht durch die Kommission geltend, da diese in keiner Weise erläutert habe, aus welchen Gründen sie die Kosten im Zusammenhang mit der Verlängerung des Insolvenzzeitraums von Condor nach deren gescheitertem Verkauf an einen potenziellen Investor in die Berechnung der Schäden, die durch die in Rede stehende Beihilfemaßnahme ersetzt werden könnten, einbezogen habe. Hierzu ist klarzustellen, dass gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV nur die unmittelbar durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse verursachten wirtschaftlichen Nachteile im Sinne dieser Vorschrift ausgeglichen werden dürfen. Es muss also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den durch das außergewöhnliche Ereignis verursachten Schäden und der staatlichen Beihilfe bestehen und die entstandenen Schäden müssen möglichst genau bewertet werden. Die Kommission muss somit prüfen, ob sich die in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen dazu eignen, den durch außergewöhnliche Ereignisse verursachten Schaden zu beseitigen, wobei Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV Maßnahmen untersagt, die allgemeiner Natur und unabhängig von Schäden sind, die angeblich durch derartige Ereignisse verursacht wurden. Im Übrigen muss die Kommission überprüfen, dass sich die Höhe des vom betreffenden Mitgliedstaat gewährten Ausgleichs auf das beschränkt, was erforderlich ist, um den Schaden auszugleichen, der den durch die betreffende Maßnahme Begünstigten entstanden ist.
Im Hinblick hierauf ist als Erstes das erklärte Ziel der Beihilfemaßnahme zu prüfen und festzustellen, dass die Beihilfemaßnahme nach dem Wortlaut des angefochtenen Beschlusses darauf abzielt, Condor ausschließlich für die Schäden zu entschädigen, die unmittelbar durch die Annullierung und die Verschiebung ihrer Flüge aufgrund der im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen entstanden sind, und nicht für alle anderen Schadensursachen allgemeiner Natur im Zusammenhang mit dieser Pandemie.
Als Zweites ist zu prüfen, aus welchen Gründen die Kommission zu der Auffassung gelangt ist, dass die zusätzlichen Kosten, die Condor aufgrund der Verlängerung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, unmittelbar durch die Annullierung und die Verschiebung der Flüge entstanden sind. Die Kommission hat sich auf den Hinweis beschränkt, dass es "berechtigt" sei, die im Rahmen der Verlängerung des Insolvenzverfahrens von Condor entstandenen zusätzlichen Kosten zu den geltend gemachten Schäden hinzuzufügen, ohne hinreichend klar und genau zu erläutern, aus welchen Gründen sie der Ansicht war, dass die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie die entscheidende Ursache für diese Kosten seien.
Als Drittes ist festzustellen, dass der angefochtene Beschluss keinerlei Anhaltspunkt dafür enthält, dass der Verkauf von Condor wegen der Annullierung und der Verschiebung dieser Flüge gescheitert wäre. Aus dem angefochtenen Beschluss geht vielmehr hervor, dass das vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie eröffnete Insolvenzverfahren aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich Condor nach der Liquidation ihrer Muttergesellschaft befand, eingeleitet wurde. Unter diesen Umständen oblag es der Kommission, ihre Prüfung insbesondere unter Berücksichtigung der Frage vorzunehmen, ob die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor aufgrund der im Zusammenhang mit der Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen tatsächlich die entscheidende Ursache für die zusätzlichen Kosten waren, die Condor aufgrund der Verlängerung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, und ihre Entscheidung insoweit rechtlich hinreichend zu begründen.
Als Viertes ist festzustellen, dass die Kommission weder erläutert hat, wie die durch die Verlängerung des Insolvenzverfahrens verursachten zusätzlichen Kosten bemessen wurden, noch welcher Art sie waren. Im Übrigen hat sie die Frage nicht beantwortet, ob sämtliche oder nur ein Teil dieser Kosten als unmittelbar durch die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor verursacht angesehen wurde.
Unter diesen Umständen wird festgestellt, dass der angefochtene Beschluss im Hinblick auf den unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen den durch die Verlängerung des Insolvenzzeitraums und den durch die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor aufgrund der im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen angefallenen Kosten unzureichend begründet ist. Folglich erklärt das Gericht den angefochtenen Beschluss für nichtig.
Angesichts der Tatsache, dass der angefochtene Beschluss aufgrund seiner unzureichenden Begründung für nichtig erklärt wird und die unmittelbare Infragestellung der Vereinnahmung der durch die angemeldete Beihilfemaßnahme vorgesehenen Geldbeträge besonders nachteilige Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben Deutschlands hätte, und zwar in einem wirtschaftlichen und sozialen Kontext, der bereits durch die beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben aufgrund der Covid-19-Pandemie geprägt ist, werden die Wirkungen der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses jedoch bis zum Erlass eines neuen Beschlusses durch die Kommission ausgesetzt.
EuG PM Nr. 98 vom 9.6.2021
Im April 2020 meldete Deutschland bei der Kommission eine Einzelbeihilfe zugunsten des Luftfahrtunternehmens Condor Flugdienst GmbH (im Folgenden: Condor) in Form von zwei staatlich abgesicherten Darlehen mit vergünstigtem Zinssatz in Höhe von 550 Mio. € an. Mit dieser Maßnahme sollten Condor die Schäden ersetzt werden, die ihr unmittelbar durch die Annullierung oder die Verschiebung ihrer Flüge infolge der Einführung von Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie entstanden waren.
Condor ist ein Luftfahrtunternehmen, das zuvor im Eigentum der Thomas Cook Group plc stand. Nach der Eröffnung des Liquidationsverfahrens über diese Gruppe geriet Condor in finanzielle Schwierigkeiten und musste im September 2019 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Dieses Insolvenzverfahren, das nach dem Verkauf von Condor an einen interessierten Investor hätte abgeschlossen werden sollen, wurde im April 2020 verlängert, da der Investor sein Kaufangebot zurückzog.
Mit Beschluss vom 26.4.2020 erklärte die Kommission die angemeldete Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV für mit dem Binnenmarkt vereinbar. Gemäß dieser Bestimmung sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Binnenmarkt vereinbar.
Zur Bemessung der Schäden, die Condor durch die Annullierung oder die Verschiebung ihrer Flüge infolge der Einführung von Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie entstanden sind, hat die Kommission zunächst die Differenz zwischen den Gewinnprognosen vor Steuern für den Zeitraum von März bis Dezember 2020 berechnet, die vor und nach der Ankündigung der Reisebeschränkungen und der Eindämmungsmaßnahmen erstellt wurden. Diese Differenz wurde sodann um die Kosten im Zusammenhang mit der Verlängerung des Insolvenzzeitraums von Condor nach deren gescheitertem Verkauf an den interessierten Investor erhöht.
Das Luftfahrtunternehmen Ryanair hat Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission erhoben. Das EuG hat der Klage stattgegeben, wobei es aber die Wirkungen der Nichtigerklärung bis zum Erlass eines neuen Beschlusses aussetzt. In seinem Urteil äußert sich das Gericht dazu, wie weit die Begründungspflicht der Kommission reicht, wenn diese vom Bestehen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen den Schäden, die durch eine Beihilfemaßnahme ersetzt werden sollen, und außergewöhnlichen Ereignissen i.S.v. Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV ausgeht. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage machte Ryanair u.a. eine Verletzung der Begründungspflicht durch die Kommission geltend, da diese in keiner Weise erläutert habe, aus welchen Gründen sie die Kosten im Zusammenhang mit der Verlängerung des Insolvenzzeitraums von Condor nach deren gescheitertem Verkauf an einen potenziellen Investor in die Berechnung der Schäden, die durch die in Rede stehende Beihilfemaßnahme ersetzt werden könnten, einbezogen habe. Hierzu ist klarzustellen, dass gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV nur die unmittelbar durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse verursachten wirtschaftlichen Nachteile im Sinne dieser Vorschrift ausgeglichen werden dürfen. Es muss also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den durch das außergewöhnliche Ereignis verursachten Schäden und der staatlichen Beihilfe bestehen und die entstandenen Schäden müssen möglichst genau bewertet werden. Die Kommission muss somit prüfen, ob sich die in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen dazu eignen, den durch außergewöhnliche Ereignisse verursachten Schaden zu beseitigen, wobei Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV Maßnahmen untersagt, die allgemeiner Natur und unabhängig von Schäden sind, die angeblich durch derartige Ereignisse verursacht wurden. Im Übrigen muss die Kommission überprüfen, dass sich die Höhe des vom betreffenden Mitgliedstaat gewährten Ausgleichs auf das beschränkt, was erforderlich ist, um den Schaden auszugleichen, der den durch die betreffende Maßnahme Begünstigten entstanden ist.
Im Hinblick hierauf ist als Erstes das erklärte Ziel der Beihilfemaßnahme zu prüfen und festzustellen, dass die Beihilfemaßnahme nach dem Wortlaut des angefochtenen Beschlusses darauf abzielt, Condor ausschließlich für die Schäden zu entschädigen, die unmittelbar durch die Annullierung und die Verschiebung ihrer Flüge aufgrund der im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen entstanden sind, und nicht für alle anderen Schadensursachen allgemeiner Natur im Zusammenhang mit dieser Pandemie.
Als Zweites ist zu prüfen, aus welchen Gründen die Kommission zu der Auffassung gelangt ist, dass die zusätzlichen Kosten, die Condor aufgrund der Verlängerung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, unmittelbar durch die Annullierung und die Verschiebung der Flüge entstanden sind. Die Kommission hat sich auf den Hinweis beschränkt, dass es "berechtigt" sei, die im Rahmen der Verlängerung des Insolvenzverfahrens von Condor entstandenen zusätzlichen Kosten zu den geltend gemachten Schäden hinzuzufügen, ohne hinreichend klar und genau zu erläutern, aus welchen Gründen sie der Ansicht war, dass die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie die entscheidende Ursache für diese Kosten seien.
Als Drittes ist festzustellen, dass der angefochtene Beschluss keinerlei Anhaltspunkt dafür enthält, dass der Verkauf von Condor wegen der Annullierung und der Verschiebung dieser Flüge gescheitert wäre. Aus dem angefochtenen Beschluss geht vielmehr hervor, dass das vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie eröffnete Insolvenzverfahren aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich Condor nach der Liquidation ihrer Muttergesellschaft befand, eingeleitet wurde. Unter diesen Umständen oblag es der Kommission, ihre Prüfung insbesondere unter Berücksichtigung der Frage vorzunehmen, ob die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor aufgrund der im Zusammenhang mit der Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen tatsächlich die entscheidende Ursache für die zusätzlichen Kosten waren, die Condor aufgrund der Verlängerung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, und ihre Entscheidung insoweit rechtlich hinreichend zu begründen.
Als Viertes ist festzustellen, dass die Kommission weder erläutert hat, wie die durch die Verlängerung des Insolvenzverfahrens verursachten zusätzlichen Kosten bemessen wurden, noch welcher Art sie waren. Im Übrigen hat sie die Frage nicht beantwortet, ob sämtliche oder nur ein Teil dieser Kosten als unmittelbar durch die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor verursacht angesehen wurde.
Unter diesen Umständen wird festgestellt, dass der angefochtene Beschluss im Hinblick auf den unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen den durch die Verlängerung des Insolvenzzeitraums und den durch die Annullierung und die Verschiebung der Flüge von Condor aufgrund der im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen angefallenen Kosten unzureichend begründet ist. Folglich erklärt das Gericht den angefochtenen Beschluss für nichtig.
Angesichts der Tatsache, dass der angefochtene Beschluss aufgrund seiner unzureichenden Begründung für nichtig erklärt wird und die unmittelbare Infragestellung der Vereinnahmung der durch die angemeldete Beihilfemaßnahme vorgesehenen Geldbeträge besonders nachteilige Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben Deutschlands hätte, und zwar in einem wirtschaftlichen und sozialen Kontext, der bereits durch die beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben aufgrund der Covid-19-Pandemie geprägt ist, werden die Wirkungen der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses jedoch bis zum Erlass eines neuen Beschlusses durch die Kommission ausgesetzt.